20 Jahre Vinzidorf

Obdachlosen, alkoholkranken Männern einen Platz zum Wohnen zu geben - und das, ohne ihnen das Trinken zu verbieten: In seinen Anfängen vor 20 Jahren war das Vinzidorf umstritten. Dieser Tage feiert das Erfolgsprojekt einen runden Geburtstag.

Vor 20 Jahren lebten obdachlose Menschen in Graz unter Brücken oder schliefen im Freien. Pfarrer Wolfgang Pucher und sein Team holten sie von der Straße und gaben ihnen ein neues Zuhause. „Eine Heimat für Heimatlose“ nennt sich das Grazer Vinzidorf, das dieser Tage sein 20-jähriges Bestehen feiert.

Zu einem Container-Dorf gewachsen

Die Einrichtung ist ein Platz für Menschen, die auf der Straße gelebt haben und alkoholkrank sind. Das Vinzidorf war die erste Einrichtung in Österreich, die es diesen Menschen erlaubte, auch im Dorf Alkohol zu trinken - und es ihnen somit ermöglichte, trotz ihrer Sucht ein neues Zuhause zu finden. Es begann mit einigen Containern, heute steht in Graz-St. Leonhard ein ganzes Dorf mit Wohnungen, einem Gasthaus und einer Kapelle.

Vinzidorf Container

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In den Containern sind neben Wohnungen auch eine Kapelle und ein Gasthaus untergebracht

Angst wandelte sich zu Hilfsbereitschaft

Am Anfang gab es gegen das Projekt viele Proteste, doch nach und nach überzeugte man die Bevölkerung, erzählt Pfarrer Wolfgang Pucher, der das Projekt ins Leben rief: „Vor allem die Friedhofsbesucher hatten Angst vor den Bewohnern. Ältere Frauen haben, bevor sie auf den Friedhof gegegangen sind, ihre Handtaschen im Pfarrhaus abgegeben - es könnte ja ein Vinzimann hinter einem Grabstein lauern und ihnen was wegnehmen. Inzwischen hat sich die Situation dermaßen gewandelt, dass jeden Tag Menschen kommen und Dinge bringen, Kleidung bringen, Essen bringen.“

Viele Freiwillige halten den Betrieb aufrecht

Die 33 Männer, die derzeit hier leben, beteiligen sich mit 15 Prozent ihres Einkommens an den Kosten, der Rest wird zu einem Drittel von Stadt und Land, zu zwei Dritteln aus Spenden finanziert. 70 Freiwillige arbeiten im Dorf: Sie versorgen die Männer mit Essen, geben ihnen aber auch Wärme. Frau Gerda etwa ist Pflegehelferin - sie unterstützt die Männer beim Aufräumen ihrer Wohnungen. „Es kommt so viel zurück von den Männern“, erzählt sie, „sie belohnen uns dermaßen, sie schenken uns Blumen; ich glaube niemand, keine Frau kriegt so viel Schokolade wie wir da.“

Besucher sind willkommen

Damit die Menschen sehen, wie man helfen kann, kommen auch immer wieder Besucher ins Vinzidorf. Eine Schulklasse der Neuen Mittelschule Bad Waltersdorf hat sich das Projekt angesehen - einige Schüler waren beeindruckt: „Wenn man sich denkt, was die Leute durchgemacht haben - bei minus 20 Grad draußen leben müssen und jetzt mit so einer Freude da wohnen können“, ist da zu hören; doch auch über die „Wegwerf-Gesellschaft“ macht man sich Gedanken: „Wir verschwenden das ganze Essen und schmeißen alles weg - und die brauchen es“, stellt eine Schülerin fest.

Pfarrer Pucher

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Wolfgang Pucher gründete die Vinzi-Aktionen

Ihnen erklärt Pfarrer Pucher, dass es jedem passieren kann, dass das Leben anders verläuft, als man es erwartet hat. Die Auslöser, mit dem Trinken anzufangen, waren für die Bewohner des Vinzidorfs unterschiedlichster Natur. Auch sie erzählen ihre Geschichten - wie etwa der Mann, dem - nachdem ihn seine Frau verlassen hatte - die Wohnung zu teuer wurde; oder ein Bewohner, in dessen Haus der Blitz einschlug und der daraufhin „mit null und nichts dahergekommen“ ist, wie er sagt.

„Wie es ist, ist es“

Doch wer alkoholkrank ist, der lebt kürzer, das merkt man auch im Vinzidorf. In den letzten 20 Jahren sind hier 59 Mitbewohner gestorben, in der Dorfkapelle hängen ihre Bilder, am angrenzenden Friedhof sind sie begraben. Und trotzdem gibt das Vinzidorf nicht nur Wärme und ein Dach über dem Kopf, es gibt auch Hoffnung - weil hier an die geglaubt wird, die die meisten aufgegeben haben. „So gut wie da ist es mir schon lange nicht mehr gegangen“, sagt ein Bewohner, und ein anderer: „Ich habe genug mitgemacht in meinem Leben. Wie es ist, ist es - ich bin glücklich, dass ich da bin.“

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