Schüler niedergestochen: Frage der Notwehr

In Leoben hat am Mittwoch die Neuauflage des Prozesses gegen eine junge Obersteirerin begonnen. Die 16-Jährige soll einem Mitschüler in den Bauch gestochen haben. Es soll Notwehr gewesen sein. Weder Opfer noch Angeklagte sagten aus.

Ein monatelanger Streit mit wüsten Beschimpfungen, Mobbing und Drohungen, der über ein Soziales Netzwerk ausgetragen wurde, endete im Mai 2013 an einer Kapfenberger Schule mit einer Messerstecherei. Die Neuauflage des Prozesses findet nun vor einem Jugendgeschworenengericht statt, auch die Anklage hat sich geändert - mehr dazu in 15-jährige Messerstecherin erneut angeklagt (24.5.2014).

Notwehr oder Tötungsabsicht?

Die damals 14 Jahre alte Schülerin ergriff - nachdem ihr Klassenkamerad sie in den Schwitzkasten genommen und durch das Klassenzimmer gezerrt hatte - ein Jausenmesser und stach diesem damit in den Bauch. Die Verteidigung betont seither, dass das Mädchen aus Notwehr gehandelt habe - die Staatsanwaltschaft sah zuerst in der Tat eine Tötungsabsicht, erhob jedoch im ersten Prozess nur Anklage wegen schwerer Körperverletzung.

Unzuständigkeitsurteil im ersten Prozess

Im Laufe des Prozesses kam die Richterin dann zur Ansicht, dass wohl doch ein Mordversuch vorliegen könnte; weil es aber keine Anklage wegen Mordversuchs gab, musste sie ein Unzuständigkeitsurteil fällen. Nun werden die Ereignisse vor einem Jugendgeschworenengericht neu aufgerollt, und die mittlerweile 16-Jährige muss sich tatsächlich wegen versuchten Mordes verantworten.

Prozess

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Prozessauftakt für die Neuauflage am Mittwoch

Notwehr oder nicht?

Die zentrale Frage beim Prozessauftakt am Mittwoch war, ob das Mädchen aus Notwehr gehandelt hat oder nicht. Die Staatsanwaltschaft ist der Meinung, dass in den Schwitzkasten genommen zu werden, keinen Messerstich als Reaktion rechtfertigen würde. Von Notwehr könne daher keine Rede sein, zumal die Angeklagte zuvor das Opfer über Facebook bedroht und das Messer vorsätzlich in die Klasse mitgenommen hätte - daher auch die Anklage Mordversuch.

Ein Schwitzkasten sei sehr wohl mit der Gefahr von Ohnmacht und sogar des Erstickungstodes verbunden, argumentierte hingegen der Verteidiger. Der Bursche habe zuvor dem Mädchen einen Tritt in den Bauch versetzt, sei dann von einem Sessel auf die 14-Jährige draufgesprungen und habe sie im Schwitzkasten durch die Klasse gezerrt. Sie habe keine Luft mehr bekommen. Der Griff zum Messer sei daher als Notwehr zu sehen, zumal der Stich nicht gezielt ausgeführt worden sei, sondern nur um sich aus diesem Würgegriff zu befreien, so der Verteidiger.

Opfer und Angeklagte sagten nicht aus

Die Angeklagte wollte vor dem Richter neuerlich nicht aussagen. Es wurden die Protokolle der ersten Einvernahmen durch Polizei und Haftrichterin direkt nach der Tat verlesen, schon dabei hatte die heute 16-Jährige von Notwehr gesprochen. Auch das Opfer machte von seinem Recht, vor dem Richter die Aussage zu verweigern, Gebrauch. Von ihm wurde eine Videoeinvernahme gezeigt, bei der auch er Morddrohungen gegenüber der Angeklagten zugegeben hat - diese habe er aber niemals ernst gemeint.

Die psychiatrische Sachverständige hatte der 16-Jährigen im Gutachten eine „Störung des Sozialverhaltens“ bescheinigt, außerdem eine „Unerreichbarkeit für Erziehungsmaßnahmen“. Mittlerweile lebt das Mädchen bei den Großeltern und macht derzeit extern den Hauptschulabschluss nach.

Bis zu zehn Jahre Haft drohen

Am Nachmittag wurden die Zeugenbefragungen fortgesetzt. Der Prozess ist für insgesamt drei Tage anberaumt, ein Urteil könnte es aber schon am Donnerstag geben. Der jungen Frau drohen bis zu zehn Jahre Haft.