Dirigent Nikolaus Harnoncourt gestorben

Der österreichische Musiker und Dirigent Nikolaus Harnoncourt ist tot. Er starb in der Nacht auf Sonntag im Kreise seiner Familie nach einer schweren Erkrankung im Alter von 86 Jahren.

Harnoncourt wurde am 6. Dezember 1929 in Berlin als Johannes Nicolaus Graf de la Fontaine und d’Harnoncourt-Unverzagt geboren. Wenige Jahre später siedelte seine Familie zurück nach Graz.

Pionier der Aufführungskunst

Harnoncourt war ein österreichischer Dirigent, Cellist, Musikschriftsteller und einer der Pioniere der historischen Aufführungspraxis. Harnoncourt musizierte mit den großen Orchestern von Amsterdam bis Wien, gilt als Doyen der Alten Musik. Mit seinen Interpretationen polarisierte er zwischen glühenden Anhängern und ebensolchen Gegnern.

Nikolaus Harnoncourt

Styriarte

„Fetzen fliegen einem um die Ohren“

Was es hieß, als das Phänomen Harnoncourt auf der Bildfläche erschien, versuchte vor einigen Jahren Ö1-Opernexpertin Chris Tina Tengel so in Worte zu fassen: Sie sprach damals von einem „Schock“, als er zum ersten Mal die „Zauberflöte“-Ouvertüre im Salzburger Festspielhaus „explodieren“ ließ: „So, als würden einem die Fetzen der Musik um die Ohren fliegen, wirkte das damals. Wir wissen es nicht mehr, weil unsere Ohren heute, mittlerweile, nicht mehr an Böhm, Karajan, Sawallisch, Keilberth, Fricsay gewöhnt sind, sondern an Harnoncourt und alles, was er ausgelöst hat.“

Beim 1985 gegründeten steirischen Klassikfestival styriarte fungierte er von Anfang an als Aushängeschild.

Revolution eingeleitet

Harnoncourt leitete einst mit seiner Weigerung, bewährte Pfade ungeprüft zu beschreiten, und seiner Forderung nach Quellenstudium und Originalklang-Instrumenten eine Revolution in der Aufführungspraxis ein. Heute ist der früher Angefeindete einer der höchstdekorierten Weltstars des Musikbetriebes: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man ein Leben lebt, in dem alle Wünsche erfüllt werden“, so Harnoncourt, „außerdem bedeutet ja jeder erfüllte Wunsch auch weitere unerfüllte, die ich in dieser Zeit nicht verwirklichen kann“.

Nikolaus Harnoncourt

Werner Kmetitsch

„Musik als Klangrede“

Mit Neugier und Enthusiasmus hatte der Musiker sich praktisch von Beginn seiner Laufbahn an das Quellenstudium und die Verwendung von Originalklanginstrumenten propagiert. „Musik als Klangrede“ lautete dabei das große Credo. Diese Revolution der Aufführungspraxis, der Aufstieg der Originalklangbewegung sind nicht zuletzt das Verdienst des umtriebigen Suchers, dessen missionarischer Eifer bis ins hohe Alter ungebremst blieb. „Repertoire ist für mich geradezu ein Horror. Ich meine, dass man durch das Immer-wieder-Spielen derselben Werke diese vollkommen degradiert“, hatte er noch vor wenigen Jahren postuliert - mehr dazu in Harnoncourt: Wichtige Buch-Publikationen.

Kindheit und Jugend in der Steiermark

Nikolaus Harnoncourt wurde am 6. Dezember 1929 in Berlin geboren und verbrachte ab dem zweiten Lebensjahr seine Kindheit und Jugend in der Steiermark. Den Zweiten Weltkrieg mit den Bombenangriffen auf Graz zählt er heute zu seinen prägendsten Erlebnissen. Als Kind war er Augenzeuge des Besuches von Adolf Hitler in Graz und war schockiert über den Fanatismus der Bevölkerung. 1938 wurde die Familie Harnoncourt von den Nationalsozialisten gezwungen, ihren Wohnsitz - das Palais Meran in Graz - aufzugeben. Es diente einst Erzherzog Johann, dem Ururgroßvater von Nikolaus Harnoncourt, als Grazer Stadtwohnsitz.

Harnoncourt ist Träger zahlreicher Preise, u.a. des renommierten Kyoto-Preises für sein Lebenswerk.

Nach Kriegsende nahm Nikolaus Harnoncourt Cello-Unterricht bei Paul Grümmer im Salzkammergut, 1948 begann er sein Studium in Wien. 1952 wurde er bei den Wiener Symphonikern aufgenommen, ein Jahr später gründete er mit seiner Frau Alice den Concentus Musicus, mit dem er sich international einen Namen als Spezialist für die Aufführung von Renaissance- und Barockmusik machte. Nach seiner ersten Opernaufführung 1972 wuchs sein Erfolg als Dirigent; seine Karriere führte ihn an die bedeutendsten Konzert- und Opernhäuser der Welt. Mit seinen Aufführungen und Platten- bzw. CD-Aufnahmen hat er ein Millionenpublikum gewonnen.

Harnoncourt

Kmetitsch

Gefahr für berühmte Orchester

Dass er noch immer bei Konzerten mit stechendem Blick seine Musiker in Bann hält, erklärt Harnoncourt heute so: „Die Gefahr besteht immer, dass man sich lächerlich macht, wenn man so viel von sich hineinlegt. Ich habe sicher keine hypnotische Wirkung, aber ich würde wollen, dass jeder Musiker im Moment des Musikmachens in jeder Sekunde mit seiner ganzen Fantasie an der Gestaltung teilnimmt.“

Das sei auch der Grund, warum er mit manchem durchaus berühmten Orchester nicht arbeiten wolle, denn manchmal habe er sich nach gemeinsamen Konzerten gefragt, „warum ich sie nicht umgebracht habe. Im Dienst der Kunst hätte ich es vielleicht machen sollen“.

Rücktritt im Dezember 2015

Am 5. Dezember 2015, einen Tag vor seinem 86. Geburtstag, teilte Harnoncourt in einem offenen Brief seinen Rücktritt vom Dirigentenpult mit - mehr dazu in Nikolaus Harnoncourt zieht sich zurück (5.12.2015). In der Nacht auf Sonntag verstarb der große Dirigent. Entsprechende Informationen bestätigte die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Sonntagmittag. Harnoncourt war Ehrenmitglied des Musikvereins.

„Eine Ära ist zu Ende gegangen“

Trauer und Dankbarkeit sind groß. Es war eine wunderbare Zusammenarbeit", heißt es in einer kurzen Bekanntgabe von Gattin Alice Harnoncourt und der Familie. „Eine Ära ist zu Ende gegangen“, sagte Musikvereins-Intendant Thomas Angyan tief erschüttert. "Ich hätte nie erwartet, dass zwischen seinem Rückzug aus dem Konzertleben und seinem Ableben so eine kurze Zeitspanne liegen würde. Harnoncourt sei „das Original des Originalklangs“ gewesen: „Das ist unwiederbringlich. Wir haben die Verpflichtung, das musikalische Erbe, das er uns hinterlassen hat, weiterzuführen.“

„Original des Originalklangs“

Bundespräsident Heinz Fischer, den die Nachricht vom Ableben des Dirigenten Nikolaus Harnoncourt in Kolumbien erreichte, zeigte sich tief erschüttert: „Er war ein konsequenter Erneuerer der Musik, indem er den Weg zu den Quellen des musikalischen Schaffens suchte und auch fand. Er war ein großartiger Dirigent und ein Lehrer für mehrere Musikgenerationen. Der Tod von Nikolaus Harnoncourt bedeutet einen unersetzlichen Verlust für das österreichische und internationale Musikleben.“

„Mit Nikolous Harnoncourt verliert Österreich einen Ausnahmekünstler und eine große Persönlichkeit, die wie keine andere die Kultur in diesem Land über Jahrzehnte prägte. Harnoncourt gehörte zu den bedeutendsten Musikern der Gegenwart. Er war ein Künstler, der Altes auf geniale Weise in die Gegenwart transportierte", so Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ). „Meine Anteilnahme gilt in diesen schweren Stunden seiner Familie, seinen Kollegen und seinen ihm nahe stehenden Freunden.“

„Mit Nikolaus Harnoncourt verliert Österreich einen Ausnahmekünstler, der die heimische klassische Musik entscheidend geprägt hat“, sagt ÖVP-Bundesparteiobmann Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. "Nikolaus Harnoncourt hinterlässt eine große Lücke in der österreichischen Kunstszene - mehr dazu in „Original des Originalklangs“ (news.ORF.at).

Reaktionen aus der Steiermark

Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) zeigte sich traurig: „Mit Nikolaus Harnoncourt verlieren wir einen der größten und wichtigsten Künstler und Kulturschaffenden, den unser Land je gehabt hat. In diesen Stunden gilt unser tief empfundenes Mitgefühl seiner Familie.“

Landeshauptmann-Stv. Michael Schickhofer (SPÖ) bezeichnete Harnoncourt als „eine steirische, österreichische und internationale Künstlerpersönlichkeit, die sich, wie er selbst einmal schrieb, eine besondere persönliche Beziehung zu seinem Publikum aufgebaut hat und damit auch viele andere Künstler prägte“.

Kulturlandesrat Christian Buchmann (ÖVP) zum Tod von Nikolaus Harnoncourt: „Nikolaus Harnoncourt war weltweit einer der bedeutendsten Musiker der vergangenen Jahrzehnte. Seiner Heimat ist er trotz seines großen internationalen Erfolges immer eng verbunden geblieben. So wird die styriarte, mit der er in den vergangenen 30 Jahren wesentlich dazu beigetragen hat, das Kulturland Steiermark auf eine internationale Landkarte zu bringen, auch in Zukunft untrennbar mit seinem Namen verbunden bleiben."

„Ein echter Weltstar aus Graz hat die Augen für immer geschlossen. Ein Dirigent der mit seinem Enthusiasmus für klassische Musik das Publikum auf der ganzen Welt begeistern konnte und der mit seinem trockenen Humor auch abseits des Dirigentenpults ein großartiger Mensch war. Nikolaus Harnoncourt war ein besonderer Botschafter unserer Stadt und er hat durch sein Wirken bleibende Spuren hinterlassen“, so der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP).

„Der Tod von Nikolaus Harnoncourt ist ein schwerer Verlust für die Musikwelt und auch für die Stadt Graz. Als Gründer des Festivals styriarte prägte er das Kulturleben in der steirischen Landeshauptstadt entscheidend mit.Er war ein herausragender Künstler und ein großer Humanist“, so die Grazer KPÖ-Stadträtin Elke Kahr.

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