IS-Prozess: 20 Jahre Haft für Prediger

Zu 20 Jahren Haft ist der angeklagte Prediger im Grazer Dschihadistenprozess verurteilt worden. Der zweite Angeklagte, ein mutmaßlicher IS-Kämpfer wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Mehr als vier Stunden lang hatten die Geschworenen vor den Urteilen beraten. Die Geschworenen befanden schließlich, dass der angeklagte Prediger schuldig ist der Verbrechen der terroristischen Organisation und der kriminellen Vereinigung, außerdem Bestimmungstäter für die terroristischen Straftaten Mord und schwere Nötigung. Der zweite Angeklagte wurde ebenfalls in den Punkten terroristische Organisation und kriminelle Vereinigung sowie schwere Nötigung für schuldig befunden. Vom Vorwurf des Mordes wurde er freigesprochen.

Der verurteilte Prediger und der Staatsanwalt kündigten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, der zweite Angeklagte erbat sich drei Tage Bedenkzeit.

Terrorismus, Anstiftung zum Mord, Mord

Der Prozess gegen den in Serbien geborenen Wiener Prediger und einen weiteren mutmaßlichen Kämpfer für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ist ein Präzedenzfall; der Prediger gilt als Schlüsselfigur - in der Anklage ist vom „Popstar“ der österreichischen Dschihadistenszene die Rede.

Der 35-Jährige, der 2014 verhaftet wurde, soll IS-Kämpfer angeworben haben – ihm wird Terrorismus und Anstiftung zum Mord vorgeworfen. Vor Richtersenat und Geschworenen mitangeklagt ist auch ein 28 Jahre alter Tschetschene: Er soll in Syrien Morde begangen haben. Im Prozessverlauf gab er zu, beim IS gewesen zu sein, leugnete aber, gekämpft und getötet zu haben.

Im Februar hatte der Prozess gegen die beiden begonnen und war im Mai vertagt worden - mehr dazu in Dschihadistenprozess – fortgesetzt und vertagt (17.5.2016). Am Dienstag wurden die Verfahren mit Zeugenaussagen fortgesetzt - mehr dazu in Dschihadistenprozess im Finale.

Gutachter: „Neues Material zu alten Themen“

Am Mittwoch wurde nun ein Islamexperte erneut zu zehn Reden des Predigers befragt. Der Sachverständige hatte bereits im Februar seine Meinung dazu geäußert - damals war er zu dem Schluss gekommen, dass der Angeklagte eine dschihadistische Ideologie vertritt: „Er wirbt für den bewaffneten Kampf in Syrien und Tschetschenien“, war der Experte überzeugt, außerdem würde er „die individuelle Pflicht zum bewaffneten Kampf befürworten“.

„Am Gutachten ändert sich nichts“

Drei Gutachten hatte der Sachverständige erstellt, doch der Verteidiger wollte noch eine Ergänzung, basierend auf der kompletten Übersetzung der Predigten, die zuvor nur teilweise auf Deutsch vorlagen: „Am Gutachten ändert sich nichts“, so der Sachverständige gleich zu Beginn des Prozesses am Mittwoch: Er habe „neues Material zu alten Themen“ gefunden.

In den Predigen sei es unter anderem auch um das Thema gegangen, wie man mit jenen umgehe, die den Propheten beleidigen - in diesem Zusammenhang wird auch ein tödlicher Angriff auf die amerikanische Botschaft in Saudi-Arabien 2004 genannt und, wie der Gutachter meinte, vom Angeklagten befürwortet. So heißt es etwa wörtlich: „Wer an demokratischen Wahlen teilnimmt, ist ohnehin ungläubig.“

Der Angeklagte vertrete in den zehn zusätzlichen Predigten „eine sehr radikale Form des Monotheismus“ und würde nur „eine sehr kleine Gruppe als Muslime akzeptieren“; gegen den größten Teil der Menschheit wolle er den „Dschihad“ führen. Zum Thema „Pflicht jedes Moslems“ meinte der Prediger laut Sachverständigem: „Islam ist nicht Frieden, der Angriff ist verpflichtend.“

„Da hat sich jemand entschieden“

„Große Sympathien für Al-Kaida“ ließen sich weiters aus den Texten ableiten. Bezeichnend war für den Islamexperten aber die schwarze Fahne mit dem Prophetensiegel, die sich in der Wohnung des Predigers gefunden hatte und die als IS-Flagge gilt: Sie wird ausschließlich von dschihadistischen Gruppierungen benutzt. „Mir war klar, da hat sich jemand entschieden“, so der Sachverständige.

Der Verteidiger des Predigers hatte einen Privatgutachter mitgebracht, der Fragen an den Sachverständigen stellte. An der Frage, ob und seit wann die schwarze Flagge ein eindeutiger Hinweis auf IS-Zugehörigkeit sei, schieden sich die Geister. „Kann man sagen, dass es darüber eine Meinungsverschiedenheit gibt“, fragte der Privatgutachter den Sachverständigen. „Wenn sie eine andere Meinung haben, haben wir schon eine Meinungsverschiedenheit“, antwortete ein besitzender Richter.

Am Nachmittag wurden dann noch einige Videos vorgeführt, die unter anderem den Abschied von Selbstmordattentätern zeigten. Der Prediger betonte, er habe damit nie etwas zu tun gehabt: „Ich bin nicht auf dem Video, und sie haben auch nicht meinen Namen genannt“, stellte er jede Verbindung in Abrede.

Gerichtssaal wurde plötzlich geräumt

Im Anschluss hatte sich das Gericht für eine Beratung in einen der hinteren Räume zurückgezogen, als überraschend die Räumung des Gerichtssaales veranlasst wurde. Der plötzlichen Räumung ging laut einer Sprecherin aber keine konkrete Drohung voraus - der Landesverfassungsschutz habe jedoch einen „sprunghaften“ Anstieg bei der Besucherzahl wahrgenommen, weshalb eine neuerliche genaue Kontrolle aller Zuschauer im Gerichtssaal veranlasst wurde; danach erfolgte der erneute Einlass der Zuschauer und Journalisten in „geordneten Bahnen“.

„Mörder, Räuber, Vergewaltiger und Versklaver“

Der Staatsanwalt sprach dann in seinem 70-minütigem Plädoyer davon, dass beim IS „alle nur Mörder, Räuber, Vergewaltiger und Versklaver“ seien, und der 35-jährige Prediger einer ihrer Vordenker in Österreich: „Wenn jemand mordet, muss er ins Gefängnis, wenn jemand andere dazu anstiftet, muss er erst recht ins Gefängnis“, argumentierte der Ankläger.

„Ich bin kein Terrorist“

Der angeklagte Prediger wollte sich dann offenbar nicht auf seinen Anwalt verlassen: Nachdem dieser kurz und knapp erklärte, dass es „keinen einzigen Beweis“ geben habe und „alles nur Spekulation“ sei, ergriff sein Mandant das Wort. Der geübte Prediger wandte sich an die Laienrichter und sprach mehr als doppelt so lang - insgesamt fast 40 Minuten - wie der Jurist. Seine Ausführungen betrafen vor allem Erklärungen zu Religionsbegriffen, außerdem wiederholte er immer wieder, dass er unschuldig sei: „Ich bin kein Terrorrist.“