Flechten: Grazer schreiben Lehrbücher um

In Kooperation mit den USA und Schweden sind Lichenologen aus Graz auf Hefepilze als neuer Partner von Flechten gestoßen. Diese Erkenntnis könnte dazu führen, dass Lehrbücher umgeschrieben werden.

Seit 140 Jahren ging man davon aus, dass Flechten (Lichenes) keine eigenständigen Organismen sind, sondern eine enge Lebensgemeinschaft aus Pilz und Alge, so Philipp Resl, Evolutionsbiologe in der Arbeitsgruppe von Helmut Mayrhofer am Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Graz - er ist einer jener Forscher, der im Team mit Kollegen von der University of Montana in Missoula und der Uppsala University in Schweden erkannt hat, dass die mehrere hundert Millionen alten symbiotischen Verflechtungen komplexer sein können, als bisher gedacht.

„Erschüttert grundlegendes Wissen über Flechten“

„Wir haben gesehen, dass sehr oft eine dritte Spezies bei den Flechten vorhanden ist“, schilderte Resl die einschneidende Entdeckung, die dem Fachmagazin „Science“ sogar eine Titelgeschichte wert ist: „Die Erkenntnis erschüttert unser grundlegendes Wissen über Flechten. Wir müssen von Neuem untersuchen, wie diese Lebewesen entstehen und wer welche Funktionen in der Gemeinschaft übernimmt“, brachte sein Grazer Kollege und Evolutionsbiologe, Toby Spribille, die Bedeutung auf den Punkt.

Flechte

APA/Uni Graz/Toby Spribille

Die Flechten-Verflechtungen dürften weit komplexer sein als bisher gedacht

Ihren Ausgang nahm die Entdeckung beim Vergleich zweier eng verwandter Bartflechten aus Montana in den USA: Bryoria fremontii und Bryoria tortuosa. Während die eine für Säugetiere giftig ist, wird die andere (B. fremontii) von den Einheimischen als Nahrungsmittel verwendet. „Phylogenetische Analysen haben uns nicht geholfen herauszufinden, wodurch sich die beiden Arten wirklich unterscheiden“, so Resl.

Daraufhin nahmen die Grazer Forscher das gesamte Transkriptom der Allianz aus Pilzen und Algen unter die Lupe, und die Ergebnisse der mRNA-Sequenzierung ließen die Forscher staunen: Sie fanden in 15 Proben der beiden Flechtenarten aus Montana mehr als 500 genetische Signaturen, die auf das Vorhandensein eines Hefepilzes hinwiesen. „Nicht statt, sondern neben jenen der bisher bekannten Flechtenpilze der Pilz-Gruppe Ascomycetes“, wie Resl schilderte.

„Mehr als Parasitismus“

„Das ist mehr als Parasitismus. Es muss einen gegenseitigen Vorteil für die gesamte Flechte geben. Wir wissen jedoch noch nicht, welchen - und sie geben ihr Geheimnis nicht so einfach preis “, so der Grazer Wissenschaftler.

Führend in der Flechtenforschung

Das Institut für Pflanzenwissenschaften der Karl-Franzens-Universität ist ein weltweit führendes Zentrum der Flechtenforschung: Mit rund zehn Experten befindet sich in Graz eine der europaweit größten Lichenologengruppen. Sie arbeitet seit den 70er-Jahren an mehreren Aspekten der Flechtensymbiose, besonders an Fragen der Biodiversität, Biologie und Evolution dieser Lebensform. Die Gruppe zeichnet sich durch die spezielle Kenntnis der Mikroflechten und flechtenparasitische Pilze aus.

Ein zentrales Thema der Forschungen sind Flechten der Hochlagen, insbesondere der Alpen. Ökologie und Diversität alpiner Flechten bilden auch den Kern die Aktivitäten in den kommenden Jahren. Ein neues Thema der Gruppe bildet die Selektivität der Partnerschaften in der Flechtensymbiose.

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