Das war Tag eins im Amokfahrerprozess

Am Dienstag hat am Straflandesgericht der Prozess gegen den Grazer Amokfahrer begonnen. Der 27-Jährige und die ersten Zeugen wurden befragt. Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt.

Liveticker aus dem Gerichtssaal

steiermark.ORF.at berichtete via Liveticker direkt aus dem Gerichtssaal: Das war Tag eins im Grazer Amokfahrerprozess

Der Mann soll im Juni vorigen Jahres bei seiner Amokfahrt durch Graz drei Menschen getötet und mehr als 100 verletzt haben - mehr dazu in Prozess gegen Amokfahrer von Graz gestartet. Da er als nicht zurechnungsfähig eingestuft wurde, hat die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingebracht; daher wird der Amokfahrer im Prozess auch als „Betroffener“ und nicht als „Angeklagter“ bezeichnet.

Zahlreiche Sicherheitskräfte

Die Polizei traf einige Vorkehrungen, gut 15 Polizisten sicherten den Eingang ab und hielten sich bis zum Ende des ersten Verhandlungstags bereit - betont freundlich, aber bestimmt: Gefüllte Trinkflaschen und Schirme sowie ein Motorradhelm mussten etwa abgegeben werden. Vor dem Schwurgerichtssaal wurden die Taschen noch einmal geöffnet und ein weiteres Mal mit einem Metallscanner abgesucht.

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Auftakt zum Prozess

Die Sicherheitsvorkehrungen vor Prozessbeginn waren enorm. Um 9.10 Uhr wurde der Betroffene in den Gerichtssaal geführt.

Optisches Erscheinungsbild nicht abgesprochen

Die Verhandlung begann aufgrund der Verspätung der Verteidigerin zehn Minuten später als geplant. Der Betroffene war nicht wiederzuerkennen: weißer Anzug, weißes Hemd, weiße Schuhe, die Haare kurz geschnitten, der Bart völlig abrasiert, eine Brille. Sein optisches Erscheinungsbild sei nicht abgesprochen gewesen, sagte so die Verteidigerin: „Die Entscheidung, was er heute anzieht, hat er alleine getroffen.“

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Der 27-Jährige wirkte ruhig, saß regungslos da, verfolgte aber die Eröffnungsplädyoers der Staatsanwaltschaft aufmerksam, sprach zögernd. Während der Befragung durch das Gericht entstand oft der Eindruck, dem Mann gehe es eher um Selbstmitleid. Immer wieder dieselben Sätze: Er sei verfolgt und bedroht worden, von der türkischen Mafia, Islamisten und seinem Schwiegervater, er sei selbst Opfer gewesen, niemand habe ihm geholfen.

Hergang der Amokfahrt geschildert

Einer der beiden Staatsanwälte schilderte dann noch einmal die Wahnsinnsfahrt vom 20. Juni, die nur wenige Minuten dauerte, aber „für viele Menschen eine Zäsur darstellte“. Der Betroffene raste „mit bis zu 80 km/h durch die Herrengasse“, wobei sein Geländewagen zahlreiche Personen erfasste. Eine Frau und ein vierjähriger Bub waren sofort tot, ein Fußgänger war bereits zu Beginn der Fahrt niedergemäht und getötet worden. Ein weiteres schwerverletztes Opfer war einige Monate später an Herzversagen gestorben, was aber laut Staatsanwaltschaft nichts mit der Tat zu tun hatte.

Der zweite Staatsanwalt erklärte den Geschworenen in erster Linie das Problem mit den unterschiedlichen psychiatrischen Gutachten, von denen zwei den 27-Jährigen als nicht zurechnungsfähig eingestuft hatten, während ihm ein Sachverständiger Zurechnungsfähigkeit bescheinigte. Der Staatsanwalt betonte allerdings, dass letztlich das Gericht und damit die Geschworenen entscheiden würden.

„Wollte niemanden überfahren“

Bei der Befragung betonte der Betroffene, er habe Panik gehabt, weil er sich verfolgt gefühlt habe. Angeblich habe er Schüsse gehört, dann sei er geflüchtet. „Ich wollte niemanden überfahren, ich wollte nur weg, damit ich nicht erschossen werde“, sagte er. Auch technische Defekte seines Wagens führte er ins Treffen, doch das hatte der Gutachter im Vorfeld widerlegt. „Auf mich macht es den Eindruck, als hätten sie die Menschen gezielt anvisiert“, so der Richter. „Ich habe mich verfolgt gefühlt“, kam es immer wieder vom Betroffenen.

Der Richter meinte außerdem, er sei „verwundert“ über das überaus gepflegte Aussehen des mutmaßlichen Amokfahrers: „Die Zeit in der Unterbringung hat ihnen offenbar gutgetan“, so der Vorsitzende. Ein wichtiges Thema waren die Eheprobleme mit seiner mittlerweile geschiedenen Frau, die er bedroht und zum Tragen der Burka gezwungen haben soll. „Das stimmt nicht, sie war Muslima, ich bin Christ“, sagte er. Eine der beiden beisitzende Richterinnen hakte nach: „Seit wann sind sie Christ? Sie haben immer angegeben, dass sie Muslim sind. Wann wurden sie getauft?“ „Nie“, sagte der 27-Jährige. „Dann sind Sie kein Christ“, sagte die Richterin. „Kein getaufter“, räumte der Befragte ein.

Wollte am 20. Juni eine Frau treffen

Am 20. Juni wollte er sich angeblich mit einer Frau treffen, weil er sich bereits nach einer neuen Partnerin umsah. Doch die Internetbekanntschaft erschien nicht. „Mein Schwiegervater wollte mich dorthin locken“, vermutet er heute. Dann habe er Schüsse gehört und sei losgerast. „Der Tag war für sie schrecklich, und zwar nicht in Bezug auf die Fahrt. Ihre Frau und ihre Kinder waren im Frauenhaus, beruflich lief nichts, und die Frau ist nicht erschienen. Da haben sie sich ins Auto gesetzt und gedacht, ich habe doch noch die Macht“, so der Richter. „Nein, ich hatte ein erfülltes Leben“, entgegnete der Befragte.

Immer wieder erwähnt er, dass sein Schwiegervater hinter allem stecken könnte. Er gibt auch an, diesen während der Fahrt gesehen zu haben; wo genau, wisse er allerdings nicht mehr.

Video von der ersten Einvernahme

Vorgespielt wurde auch ein Video von der Einvernahme am 21. Juni 2015, einen Tag nach der Tat. Damals war der Beschuldigte weit weniger zuvorkommend und höflich als bei der Verhandlung ein Jahr später, weigerte sich sogar, den Namen seiner Frau zu nennen: „Weil mir das alles auf die Nerven geht“, sagte er damals. Mit den Frauen - er war zweimal verheiratet - habe es „immer nur Stress gegeben“.

Amokfahrerprozess in Graz

APA/Erwin Scheriau

Der Richter konstatierte: „Sie fühlen sich immer als Opfer, zuerst daheim in der Ehe, dann am 20. Juni und heute hier im Gerichtssaal.“ - „Ja“, lautete die leise Antwort.

Nagl als erster Zeuge befragt

Am Nachmittag startete dann die Befragung der Zeugen der Amokfahrt. Als erster sagte der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl aus. Nagl war am 20. Juni in der Zweiglgasse unterwegs gewesen, wo die Wahnsinnsfahrt erst kurz zuvor begonnen hatte. „Ich habe durch den Helm hindurch einen lauten Knall gehört und gesehen, wie der Wagen mit großer Geschwindigkeit zwei Personen überfahren hat.“ Die beiden lagen „wie Puppen auf dem Gehsteig“, so der Bürgermeister.

„Wollte ihm heute in die Augen schauen“

Dann schilderte er, wie der Fahrer „mit quietschenden Reifen beschleunigte und schnurstracks auf die andere Seite auf ein anderes Opfer zugefahren ist.“ An ihm raste das Auto vorbei, er selbst blieb stehen, rief die Polizei und leistete Erste Hilfe. „Hatten sie den Eindruck, dass er sie gezielt angesteuert hat?“, fragte einer der Staatsanwälte. „Bei mir weiß ich es nicht, bei den anderen schon“, antwortete der Zeuge.

Im Interview mit dem ORF Steiermark sagte Nagl im Anschluss an seine Befragung: „Ich wollte ihm heute in die Augen schauen. Es waren aber andere Augen, ohne diese Aggression, die ich damals in ihm gesehen habe, als er gnadenlos auf Menschen gezielt hat. Die Geschichte, die er heute erzählt, glaube ich ihm einfach nicht.“

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Der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl im Interview mit ORF-Steiermark-Reporter Michael Pendl

Zeugen widersprechen Aussagen des 27-Jährigen

Anschließend schilderten weitere Zeugen ihre Erinnerungen an den 20. Juni des Vorjahres. Schüsse will dabei niemand gehört haben, auch die vom Beschuldigten mehrfach erwähnten Drohungen oder drohenden Bewegungen habe niemand wahrgenommen. Auch habe keiner der Zeugen den Amokfahrer vor der Fahrt gekannt.

„Mandant nicht zurechnungsfähig“

„Seine heutigen Aussagen, die sehr widersprüchlich sind, zeigen meines Erachtens, was die beiden psychiatrischen Gutachten bereits festgestellt haben; nämlich, dass mein Mandant zum Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig war“, so die Verteidigerin am Dienstag.

Einmal sagte er während des Prozesses - es tue ihm furchtbar leid, was passiert sei. Eine beisitzende Richterin wollte wissen: „Was empfinden sie heute?“ Antwort: „Trauer.“ „Worüber?“, hakte die Richterin nach. „Dass mir solche Dinge vorgeworfen werden“, so der Amokfahrer. Kurz nach 15.00 Uhr wurde der Prozess dann vertagt.