Böller-Prozess: Tödliches „Halbwissen“

Am ersten Prozesstag rund um die illegale Böller-Produktion, die in Kapfenstein zu einer tödlichen Explosion geführt hatte, ist ein noch größeres Ausmaß der Umstände öffentlich geworden. Der Hauptangeklagte gestand die ihm zu Last gelegten Vorwürfe, bestritt aber den Vorsatz.

Bereits die Aufnahme der Generalien gestaltete sich für die Richterin langwierig und teils kompliziert: So mancher Angeklagter wusste nicht über die Höhe seiner Schulden Bescheid, einer der Pyrotechnik-Händler konnte offenbar nicht zwischen Umsatz und Gewinn unterscheiden - mehr dazu in Prozess zu Kapfenstein-Explosion hat begonnen.

Nach einer Stunde war dann der Staatsanwalt am Wort und fasste die Anklage zusammen: „Im Zuge einer illegalen Herstellung von Böllern kam es am 17. September 2014 zu einer Explosion, bei der zwei Menschen starben.“ Ein 33-Jähriger soll für die Produktion verantwortlich sein - er soll seit 2012 Böller hergestellt haben. Das geschah zuerst im eigenen Keller und im Haus seiner Eltern, später mit Unterstützung zweier Brüder sowie ab 2014 auf deren Anwesen in Kapfenstein.

Kapfenstein-Prozess

APA/Erwin Scheriau

Insgesamt gibt es neun Angeklagte

Einige Beschuldigte haben die Gewerberechtigung für die Erzeugung und den Handel bestimmter pyrotechnischer Gegenstände, andere wiederum sollen überhaupt kein Fachwissen haben und bei der Produktion der Böller geholfen haben ohne überhaupt über die Gefährlichkeit der Knallsätze Bescheid zu wissen.

Weder Betriebsstätten-, noch Lagergenehmigung

Ein Helfer, der keinen Pyrotechnik-Ausweis hatte, bekam etwa von einem anderen mitangeklagten Pyrotechnikhändler einen Zettel ausgedruckt - mit dem sei er dann zur Bezirkshauptmannschaft gegangen, die hätte ihm danach den Ausweis geschickt. Der 33-Jährige selbst hatte zwar eine Berechtigung zur Erzeugung dieser Knallsätze, es lagen aber weder eine Betriebsstättengenehmigung noch eine Lagergenehmigung dafür vor.

Beteiligt waren auch ein Pyrotechnik-Händler aus der Südsteiermark sowie sein Vater: Sie hatten die Böller bestellt, transportiert, zwischengelagert und verkauft. Transporte soll laut Anklage auch ein 67-jähriger Pensionist und Inhaber eines Pyrotechnik-Geschäfts durchgeführt haben. Ihm wird auch falsche Beweisaussage vorgeworfen - ebenso der Lebensgefährtin eines Todesopfers sowie anderen Bekannten im Umfeld der Böller-Produktion.

„Dilettantisch, improvisiert, gefährlich“

Laut dem Staatsanwalt war die Herstellung der Blitzknallsätze dilettantisch, improvisiert und barg immenses Gefährdungspotenzial. Wegen der nicht fachgerechten Abläufe und der unsachgemäßen Handhabung sei es dann am 17. November 2014 zur Explosion von 25 Kilogramm Böllern in einem Wirtschaftsgebäude der beiden Brüder in Kapfenstein gekommen. Der jüngere der beiden - er war 29 Jahre alt - starb, ebenso der Vater, der gerade in der Nähe war. Der ältere Bruder - er ist heute 35 Jahre alt - erlitt leichte Verletzungen. Er zählt zu den Angeklagten - mehr dazu in Kapfenstein: Brüder bunkerten Tausende Böller (19.11.2014)

Der Staatsanwalt führte aus, dass nur durch „glückliche Umstände“ keine weiteren 175 Kilogramm explodiert sind; er führte auch an, dass durch die weitgehend unkooperativen Aussagen der Verdächtigen Beamte bei der Aushebung weiterer Lagerstätten in beträchtlicher Gefahr waren.

„Wie ein Ehepaar“

Der Verteidiger des 33-jährigen mutmaßlichen Kopfs der Gruppe meinte, sein Mandant sei seit dem Unfall ein gebrochener Mann: Er trage die Verantwortung dafür, dass sein bester Freund und dessen Vater starben. Der 33-Jährige und ihr Freund seien wie ein Ehepaar gewesen, sagte später die Lebensgefährtin des Getöteten aus.

Der Hauptangeklagte zeigte sich geständig - mit Ausnahme des Vorsatzes: „Wir teilten die Faszination und die Leidenschaft für Pyrotechnik, ich bedauere aber zutiefst, dass ich meinen besten Freund zur Pyrotechnik gebracht habe.“

„Wollte nicht der Buh-Mann sein“

Weitere Beschuldigte bekannten sich nur teilweise oder gar nicht schuldig. Umfassend geständig war die Lebensgefährtin des getöteten Bruders - sie muss sich wegen Falschaussage verantworten. Die Frau gab zu, bei der ersten Befragung nicht alles gesagt zu haben, was sie wusste: „Ich wollte nicht diejenige sein, die alles sagt. Ich wollte nicht der Buh-Mann sein. Die sind für mich ja wie Verwandtschaft.“

Dann zeigte die Richterin ein sichergestelltes Video, bei der die Detonation eines einzigen Böllers zu sehen ist: Einer der Brüder steckte ihn in einen etwa 40 Zentimeter starken und ebenso hohen Holzblock. Kurz nachdem er in Deckung geht, ist zu sehen, wie die Wucht der Explosion das massive Holzstück zerreißt und die Teile meterweit weg und aus dem Bild springen. Wenige Sekunden danach ist die Stimme eines kleinen Mädchens zu hören, das offenbar in der Nähe war - es handelt sich um die Tochter der Lebensgefährtin.

Kleinkind unmittelbar neben Produktionstisch

Die Richterin fragte die Angeklagte, warum sie denn die Machenschaften nicht angezeigt habe. „Wer zeigt denn seinen eigenen Freund an?“, meinte die Frau. Daraufhin sagte die Richterin: „Ist es besser, dass er nun tot ist?“ „Damit muss ich nun eh leben“, gab die Beschuldigte eher wortkarg zu.

Auf einem der sichergestellten Beweisfotos ist einer der Bastler zusammen mit dem kleinen Mädchen in der „Werkstatt“ zu sehen - es wirkt, als wollte sie ihm beim „Zustoppeln“ der Böller mit einer in Eigenbau gefertigten Druckluft-Maschine helfen. Für die Richterin gab es zu den Fotos nichts mehr hinzuzufügen.

„Es war schlimm für die ganze Branche“

Anschließend wurde noch einer der Abnehmer, ein Pyrotechnik-Händler und ehemaliger Polizist, befragt: Er bestritt eine Falschaussage und meinte, er sei von seinen ehemaligen Kollegen von der Kriminalpolizei nicht nach den Böllern gefragt worden. Die Aussage sorgte für Heiterkeit beim Schöffengericht - zumal er sich als ehemaliger Beamter ja auskenne, worum es bei solchen Befragungen gehe.

Trotz eines abgehörten Telefonats, das ihn belastet, blieb er bei seiner Verantwortung: „Ich wollte niemanden begünstigen. Das hat mich viel Geld gekostet. Es war schlimm für die ganze Branche.“ „Eure Umsatzeinbrüche interessieren da herinnen so sehr wie wenn in China ein Radl umfällt. Euch interessieren nur die Umsätze, aber da sind zwei Menschen gestorben“, fuhr ihm die Richterin dazwischen.

Böller auf Biertischen zusammengebaut

Am Nachmittag schilderte dann der 33-jährige Hauptangeklagte, wie er 2012 durch seinen Sprenglehrer - bei ihm handelt es sich um einen 44-jährigen mitangeklagten Obersteirer - zu dem Vater-Sohn-Gespann aus der Südsteiermark kam: Die beiden Pyrotechnik-Händler wollten, dass der 33-Jährige für ihr Geschäft die sogenannten „Cobra 44“ Böller nachbaut. Der Beschuldigte erklärte, dass er damals zwar das Gewerbe für die Herstellung besaß, aber keine Bewilligung für eine Betriebsstätte hatte. Dennoch sei es zwischen den Händlern und ihm zum Geschäft gekommen. Alle Beteiligten hätten gewusst, dass der 33-Jährige bei sich oder seinen Eltern und später am Anwesen der beiden Brüder produzierte.

Der Angeklagte beschrieb vor Gericht, wie er die Zutaten von Hand auf Biertischen mischte und anschließend in die Hülsen füllte, zustoppelte und mit Zündschnüren versah. „So wie ich gearbeitet habe, war ich überzeugt, dass nichts passiert“, meinte er. Der Sachverständige klärte ihn auf, dass bei seinen Materialien die kritische Masse, bei der es zu einer Detonation kommen kann, bereits bei 50 Gramm liegt. Das entspreche jener Masse, die er in jeweils einen Böller füllte, doch beim Mischen habe der Beschuldigte eigenen Angaben zufolge etwa einen Kilogramm Masse am Tisch gemischt.

Der 33-Jährige erklärte, dass er nach dem Jahr 2013 nicht mehr in seiner Garage produzieren wollte, doch für eine Betriebsgenehmigung hätte er mehrere zehntausend Euro in Sicherungsmaßnahmen investieren müssen. Da er das Geld nicht hatte, erhielt er diese Genehmigung nie. Doch seine Vertragspartner hätten Druck auf ihn ausgeübt, er müsse liefern, denn die Böller seien bereits Kunden versprochen. Daher entschied er zusammen mit seinem besten Freund, dass sie die Herstellung nach einem weiteren Jahr auf das Anwesen der Brüder nach Kapfenstein verlegen. So wurden weitere tausende Blitzknallkörper illegal in mehreren landwirtschaftlichen Gebäuden hergestellt - auf Biertischen und mit selbst gebastelten Maschinen. 2013 haben sie etwa 13.000 Böller hergestellt und um rund 33.000 Euro verkauft.

„Ich weiß nicht, wie es passiert ist“

Für den 17. November 2014, dem Tag der Explosion, sei eigentlich keine Produktion geplant gewesen, sagte der Beschuldigte. Er musste Waren abholen und konnte nicht in die Bastelwerkstatt kommen. „Wir haben normal immer zusammen gearbeitet.“ An dem Tag aber schrieb er seinem Freund, dass es sich nicht ausgehe. Später am Abend erfuhr er, was passiert war. „Ich kann mir den Unfall nicht erklären. Ich weiß nicht, wie er passiert ist“, sagte er. Die Richterin zeigte anhand von Luftbildern das zerstörte Anwesen. „Ihr bester Freund hatte keinen Kopf mehr. Seine Torso lag am Dach des Nebengebäudes“, beschrieb sie die Folgen - der Beschuldigte senkte bei den Worten nur den Kopf.

„Pyrotechnisches Halbwissen“

Der Hauptangeklagte gestand weiters, mehr als 1.000 Stück Böller mit seinem Privatauto bis nach Tschechien zu einem Abnehmer gefahren zu haben. Er sei überzeugt gewesen, dass er 20 Kilogramm der Ware legal im normalen Wagen transportieren darf - das habe ihm sein Sprenglehrer, der 44-jährige Obersteirer, gesagt. Doch der Sachverständige klärte ihn auf, dass das nur unter bestimmten Voraussetzungen und mit entsprechender Verpackung und Lagerung erlaubt sei. Die Richterin kritisierte den 33-Jährigen, dass sein gesamtes pyrotechnisches Wissen nur „Halbwissen“ sei.

Nach dem Hauptangeklagten beantwortete der 31-Jährige aus dem Vater-Sohn-Gespann die Fragen des Schöffengerichts: Er bekannte sich nicht schuldig und meinte, der 33-Jährige habe ihnen gesagt, er habe alle Genehmigungen und würde in Italien produzieren. Diese Verantwortung hielt die Richterin aber für unglaubwürdig, zumal die Pyrotechnik-Händler Hülsen und andere Bauteile für den 33-Jährigen bestellt hatten und ihm nach Hause brachten; außerdem hätten oft kurzfristige Bestellungen von einem Tag auf dem anderen funktioniert. Doch der Händler und Gastwirt blieb bei seiner Italien-Version.

Der Prozess wird am Donnerstag mit weiteren Beschuldigten-Einvernahmen sowie mit den ersten Zeugen fortgesetzt. Ein für Freitag geplantes Urteil erscheint nach dem ersten Prozesstag eher unwahrscheinlich, da man bereits Mittwochabend hinter dem Zeitplan lag.