Vertauschte Babys: Keine Einigung in Sicht

Am Grazer Zivilgericht ist am Montag der Prozess rund um die angebliche Verwechslung zweier Babys am LKH Graz fortgesetzt worden. Die Betroffenen forderten je 30.000 Euro Schadenersatz, eine Einigung ist nicht in Sicht.

Bekannt wurde der Fall Anfang des Jahres: Durch Zufall - bei einem Bluttest - hatte eine 25-jährige Frau bemerkt, dass sie mit ihrer vermeintlichen Mutter gar nicht verwandt ist - mehr dazu in Babys vertauscht: Nach 25 Jahren entdeckt (13.1.2016).

Die Tochter weiß bis heute nicht, wer ihre leiblichen Eltern sind, das wird sich möglicherweise auch nie aufklären. Diesmal wurden die Eltern und die Tochter befragt, ein psychiatrischer Gutachter wird bestellt werden.

„Im ersten Moment war es schlimm“

Zuerst war der Vater der Familie befragt worden, der meinte: „Im ersten Moment war es schlimm.“ Seine Frau und seine vermeintliche Tochter hatten ihn erst nach über einem Jahr eingeweiht. „Man möchte schon wissen, wie es dem eigenen Kind geht, gerade jetzt zu Weihnachten.“ Der Vater gab jedoch auch an, dass die Geschehnisse die Familie noch mehr zusammengeschweißt hätten. Die Familie hat seit Bekanntwerden des Falls keine psychologische Hilfe in Anspruch genommen.

Die Mutter schilderte, wie sie einen Tag nach der Geburt das Mädchen - ein Frühchen - zum ersten Mal gesehen habe. Sie sei sicher, dass dieses Kind das gleiche war, mit dem sie dann nach Hause gegangen sei. Die Vertauschung könne ihrer Meinung nach nur unmittelbar nach der Geburt passiert sein. Sie beschrieb anschaulich, dass auf dem rosa Erkennungsband des Mädchens „Doris“ gestanden sei.

"Meine Welt ist zusammengebrochen“

Doch der Anwalt der Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft (KAGes) legte das Buch der Geburtenstation vor, wo das Bändchen unter dem Namen „Evelin Grünwald“ verzeichnet ist. Die Bänder wurden üblicherweise mit dem Namen der Mutter versehen. Auch die Tochter will sich an das rosa Band mit Namen „Doris“ erinnern, das erst vor einigen Jahren verschwunden sein soll. Die junge Frau schilderte, dass sie durch einen Bluttest erfahren habe, dass ihre Blutgruppe eine andere sei als in ihren Unterlagen verzeichnet. „Im ersten Moment ist meine Welt zusammengebrochen“, beschrieb die 26-Jährige.

Als Zeugin wurde eine Hebamme gehört, die aussagte, das Erkenntnisbändchen trage immer den Namen der Mutter, später auch das Geburtsdatum des Kindes, aber nie dessen Namen. „Mit den Bändchen ist immer sehr sorgfältig umgegangen worden.“ Frauen würden immer zwei Stunden auf der Entbindungsstation bleiben, in dieser Zeit sei damals kein anderes Kind auf die Welt gekommen.

Fall weiter ungeklärt

Für die Mutter sei sofort klar gewesen, so Gunter Ledolter, der Anwalt der Betroffenen, dass die Verwechslung der Babys nur in den ersten Tagen im Spital möglich gewesen sei. Das LKH Graz versuchte daraufhin alle 200 Frauen, die im selben Zeitraum entbunden hatten, über die Medien zu einem DNA-Test aufzurufen, um eine etwaige Verwechslung aufzuklären; aber nur wenige meldeten sich, und keiner der Tests löste das Rätsel - mehr dazu in Babyverwechslung in Graz weiter ungeklärt (2.2.2016).

Da der Fall strafrechtlich schon verjährt ist und die Frau und ihre Mutter zu keiner Einigung mit dem LKH kamen, klagt die Familie nun Schadenersatz ein - mehr dazu in Forderungen nach Babyverwechslung (20.7.2016). Das Grazer Zivilgericht muss sich nun damit befassen, ob diese Forderung auch zu Recht besteht.

Laut LKH keine Beweise

Bis zuletzt beharrte man seitens des Spitals und seiner Betreibergesellschaft KAGes auf dem Standpunkt, dass es keine Beweise dafür gebe, dass das Baby im Krankenhaus vertauscht wurde, weshalb keine Haftung übernommen werden müsse - ein Standpunkt, den KAGes-Anwalt Robert Wiesler auch am ersten Verhandlungstag im Oktober bekräftigte: Man sehe keine Grundlage für eine Schadenersatzzahlung, man könne nichts anbieten.

Für den Anwalt der Familie ist dieser Standpunkt nicht nachvollziehbar: „Es ist der Säugling nach 17 Tagen stationären Aufenthalts bei der KAGes mit den Eltern mit nach Hause gekommen. Sollte man davon ausgehen, dass danach eine Kindesverwechslung passiert ist, müssten die Kinder am Spielplatz oder bei der Bushaltestelle vertauscht worden sein oder an sonst einem öffentlichen Ort ein falsches Kinderwagerl, ein falsches Kind mit äußerlichen Merkmalen mitgenommen worden sein, und das ist aus unserer Sicht so unwahrscheinlich, dass wir hoffen, dass das Gericht zu dieser Entscheidung nicht gelangt.“

Richterin in Richtung KAGes: „Mutiger Standpunkt“

Die Mutter sei bei der Geburt in Vollnarkose gelegen, der Vater hatte nach den damaligen Regeln gar nicht bei der Entbindung dabei sein dürfen - die Eltern sahen also ihr Kind überhaupt erst einige Zeit nach der Geburt zum ersten Mal, so der Anwalt. Dass die KAGes die Babyverwechslung im Spital kategorisch ausschließt, bezeichnete beim ersten Verhandlungstag selbst die vorsitzende Richterin wörtlich als „mutigen Standpunkt“.

30.000 Euro pro Familienmitglied gefordert

Anwalt Gunter Ledolter hält ein Schmerzensgeld von weit mehr als 100.000 Euro pro Familienmitglied - also Mutter, Vater und Tochter - für angemessen, dennoch werden pro Familienmitglied 30.000 Euro gefordert. Die Familie selbst wollte den Medien gegenüber bislang keinen Kommentar abgeben - das übernimmt ihr Anwalt: „Das ist vor allem für die Mutter eine ganz schlimme Situation, dass ihr direkt und auch dem Vater vorgeworfen wird, sie hätten ihr Kind zu wenig beaufsichtigt, dass sie es nach zwei, zweieinhalb Wochen noch vertauschen hätte können.“

Fortsetzungstermin noch unklar

Die Richterin kündigte an, dass ein psychiatrischer Sachverständiger beauftragt werden wird. Wann der Prozess fortgesetzt wird, war daher am Montag noch nicht absehbar.