Weihnachtsansprache von Bischof Wilhelm Krautwaschl

„Fürchtet euch nicht!“, ruft der Engel den Hirten zu, die dem Licht zum Stall nach Bethlehem gefolgt sind.

Sie werden sich sagen: „Das ist eine nette Geschichte.“ – Aber ist es nicht zum Fürchten, wenn wir daran denken, wie es um unsere Welt, unsere Gesellschaft und um unsere Kirche steht?

Ja, wir wissen um viele, mitunter berechtigte Ängste und Sorgen. Die Finsternis der Nacht, in die wir als Menschheit blicken, ist undurchsichtig und manchmal sogar tiefschwarz: Terror und die persönliche Erfahrung von Gewalt – auch die der Worte –, Angst um den Arbeitsplatz, das persönliche Ertragen von Krankheit, Leid und Tod. – Und trotzdem erschallt auch heute der Ruf des Engels: „Fürchtet euch nicht!“

Warum soll ich diesem Ruf Glauben schenken?

Aus meinem persönlichen Glauben heraus kann ich antworten: Weil uns in dieser unscheinbaren Krippe zu Bethlehem, mitten in die Nacht hinein, in einer Zeit politischer Verfolgung, in unverschuldeter Obdachlosigkeit, in ärmlichen Windeln, Jesus, der ersehnte Retter, geboren wird. Das heißt: Gott wendet sich ganz DIESER Welt zu.

Wilhelm Krautwaschl

Katholische Kirche Steiermark/Schiffer

Bischof Wilhelm Krautwaschl

Nicht einem Konzept, einer perfekten Idee oder einer bestimmten Form wendet sich Gott zu. DIESER zerbrechlichen, unfertigen, endlichen Welt sagt er mit der Geburt des Menschensohnes: „Ich wende mich mit all meiner Liebe DIR zu.“ Gott wird so die vollkommene Zuwendung zu einer unvollkommenen Welt. Darum schenke ich diesem Ruf „Fürchtet euch nicht!“ Glauben und Vertrauen.

Jetzt fragen Sie sich vielleicht: „Und das soll uns angesichts unserer Probleme hier erretten?“

„Ja!“, sage ich. Gerade Zuwendung kann ein solcher Weg sein – und sogar ein hochpolitischer. Dazu drei Gedanken:

  • Wenden wir uns der Gerechtigkeit ganz zu! Dabei haben wir uns den Fragen zu stellen: Was heißt es für Kinder, groß zu werden in einer sozial auseinanderklaffenden Gesellschaft? Wie haben wir Chancengleichheit über Bildung, über marktregulatorische Maßnahmen, über Umverteilungswege hinaus zu denken?
  • Wenden wir uns der Zukunft ganz zu! Wenn bereits so viele Ressourcen zur Lebensfähigkeit verbrannt und zerstört wurden, müssen wir schier Un-glaub-liches möglich machen. Zuwendung bedeutet, sichere Vorstellungen und gewohnte Pfade zu verlassen, sich wieder nach dem Unvorstellbaren, dem Unmöglichen zu strecken. Wie die Hirten einst in Bethlehem, als Gott Mensch wurde, müssen wir mutig sein, dieses Licht zu suchen und ihm zu folgen.
  • Wenden wir uns gegenseitig in Solidarität ganz zu! Lassen wir uns als Kirche, als Gesellschaft in unseren Grundfesten nicht gegenseitig ausspielen! Steirisch gesagt: Wir müssen gerade durch vermehrte Herausforderungen, die an uns zerren, in unserem Land mehr „Z´samm stehn“.

„Fürchtet Euch nicht vor dieser Zuwendung!“, rufe ich Ihnen durchs Radio hindurch zu. Doch wie die Geschichte der schier un-glaub-lichen Zuwendung Gottes, still und leise in der Geburt eines Kindes begann, so beginnt auch der Weg der jeweils persönlichen Zuwendung leise.

Die Ansprache zum Nachhören

Die Weihnachtsansprache von Bischof Wilhelm Krautwaschl können Sie hier auch nachhören:

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Zuwendung schenken Sie vielleicht soeben bei der persönlichen Feier in der Familie – auch wenn es mitunter schwierig ist – oder in Ihrer Pfarre, wenn Sie zur Christmette gehen. Geben Sie diese Zuwendung auch gerade in der Trauer, im Gebet für jemanden weiter, oder wenn Sie jetzt gerade im Dienst stehen, den Sie zum Wohle anderer ausüben. Zuwendung braucht manchmal nicht mehr, als Da zu sein für jemanden.

Denn Zuwendung ist der Name Gottes – des „Ich bin der Ich bin Da“. Und wenn Sie vielleicht gerade an Vielem zweifeln oder einen schweren Weg gehen müssen, so wünsche ich Ihnen ganz besonders, dass sie diese Kraft der Zuwendung durch jemanden erfahren mögen.

Daher glaube ich dem Ruf des Engels „Fürchtet euch nicht!“ Weihnachten lässt ihn erschallen, denn Gott wendet sich uns ganz und gar zu. Seien Sie und bleiben Sie offen für diesen Ruf! So wünsche ich Ihnen, Ihren Familien und allen, die Ihnen nahe stehen, Gottes reichen Segen in dieser Heiligen Nacht und darüber hinaus.

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