50. steirischer herbst: Kaup-Haslers Abschied

Der 50. steirische herbst ist Freitagabend feierlich eröffnet worden. Intendantin Veronica Kaup-Hasler nimmt nach zwölf Saisonen Abschied vom herbst und skizzierte in ihrer Rede den „genetischen Code“ des Festivals.

„Diskontinuität, Bruch mit der jeweils etablierten Tradition, Selbstbefragung und Infragestellung. Und gerade diese waren und sind Garant der Dauer. Es ist die Wildnis, die Kultur hat“, so die Eröffnungsworte der längstgedienten Intendantin Veronica Kaup-Hasler in der Grazer Helmut-List-Halle.

Wuchernder Organismus gegen reaktionäre Enge

Kaup-Hasler bezeichnete die Anfänge des „in Europa einzigartigen Festivals“ als einen „wuchernden Organismus, einen Hybrid - gewachsen aus der Initiative einzelner Kulturschaffender und kultureller Institutionen, die sich mit der geistigen, reaktionären Enge im bürgerlichen Graz nicht abfinden wollten“.

Zeitgeist gegen Nazi-Mief

Der herbst sei in einem Zeitgeist entstanden, der sich gegen das Weiterleben des Nationalsozialismus gestellt habe: „Von einer visionären liberalen Kulturpolitik, die damals nicht opportunistisch auf Mehrheitsfähigkeit schielte. Eine Politik, die eine Kunst förderte und mehr noch: einforderte, die sie selbst und eine konservative bürgerliche Klientel immer wieder auch angegriffen hat“, so die Intendantin laut ihrem schriftlichen Redemanuskript.

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Der steirische herbst findet heuer bis 15. Oktober statt.

„Kultureller Reibebaum“

Es sei den Gründern dieser Zeit um die „bewusste Einsetzung eines kulturellen Reibebaums“ gegangen. „Heimat ist Tiefe, nicht Enge,“ zitierte die Intendantin Hanns Koren, der mit Mitstreitern wie Emil Breisach, Kurt Jungwirth oder Wilfried Skreiner nicht müde geworden sei, „das Sperrige, das an den Rändern Befindliche einzufordern und zu fördern“.

Kaup-Hasler zitierte weiter aus der Gründungsrede von Koren: „Der Künstler ist nicht der Dekorateur einer bürgerlichen Welt, deren sentimentale Gefühle, deren heroische Erbauungen und deren sinnliche Empfindungen er zu illustrieren hat, sondern er ist heute der Mitwissende, der Mitleidende und der Mitschuldige geworden an dieser Zeit, an ihren Zuständen, und seine Werke sind die Urkunden, mit denen er diese Zugehörigkeit ausweist und mit denen er sich auch verpflichtet, einen neuen Weg in eine neue Welt zu suchen.“

Standortbestimmung auch zum Jubiläum

„Where are we now?“ ist das Leitmotiv des 50. herbsts - mehr dazu in Jelinek und Jubiläum - der steirische herbst 2017 -, der nie müde geworden sei, „stets neue und durchaus widersprüchliche Positionen zur jeweiligen Gegenwart zu beziehen.“ Es sei ein „Zeiterkundungsfestival, dem das Nomadologische eingeschrieben war“ - zitierte Kaup-Hasler ihre Vorgänger. Es sei aber auch eine Geschichte, „die von Anfang an eine Geschichte des Zweifels an der Institution selbst war - schon 1972 wurde der baldige Tod des Festivals konstatiert, aus den Abgesängen des steirischen herbst ließe sich ein mehrstimmiges Chorwerk in Auftrag geben.“ Der steirische herbst habe dennoch Dekaden überlebt. „Wo sonst Weiterführung, Kontinuität von Kulturinstitutionen eingefordert wird, hat der herbst eine ganz andere Strategie entwickelt: Die Tradition der Brüche und der permanenten Neuerfindung.“

Wechsel an der Spitze

Für Kaup-Hasler war es die letzte Eröffnungsrede, denn nach zwölf Saisonen - sie ist die bisher längstdienende Leiterin - geht die Intendanz 2018 an Ekaterina Degot über. Damit bleibt die Nochintendantin der Diskontinuität des herbsts treu und öffnet die Tür für eine Neuinterpretation des Festivals. Sie bedankte sich zum Schluss beim Publikum, den vielen Künstlern, dem Team des steirischen herbst und ihrer Familie: „Sie alle haben mein Leben verändert.“

50 Jahre musikprotokoll

Auch das musikprotokoll, das Festival für neue Musik im steirischen herbst, ist 50 Jahre alt. Zum Jubiläum gibt es auch eine Dokumentation - mehr dazu in „50 x Gegenwart - 50 x musikprotokoll“.

Eröffnung mit Jelinek-Zitat

Mit den Worten von Elfriede Jelinek erklärte Kaup-Hasler den 50. steirischen herbst für eröffnet: „Die Steiermark ist schon lange da. Und jedes Jahr wieder trifft sie der Schlag. Er reißt sie aus sich heraus, es stimmt, es ist wieder Herbst geworden. Ob wir ihn diesmal überleben? Ob dieses Land von seiner eigenen Bildfläche verschwinden und anderen Ländern Platz machen wird? Nein. Wird es nicht. Im Gegenteil. Es wird sich behaupten, es wird sogar noch an Boden gewinnen. Keiner wird es überspringen und woandershin gehen können. Es wird selber überspringen. Und in diesem Überspringen, in diesem Sprung wird viel geschehen, das vielleicht eine Zeit lang in der Luft stehen bleibt, dann aber vor den Sehenden, die dort wartend stehen, aufprallt und sie mitreißen wird, egal, wer oder was da springt.“

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