Gaffer: Rettungskräfte testen Schutzwände

Schaulustige werden immer öfter zum Problem. Strafen dürften nicht das Allheilmittel sein - stattdessen wollen die steirischen Einsatzkräfte Wände als Sichtschutz testen, um die Rechte von Opfern und Helfern zu wahren.

Wer Opfer bei Unfällen fotografiert und die Fotos veröffentlicht, verletzt nicht nur die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen - teilweise behindern Gaffer auch die Einsatzkräfte bei ihrer Arbeit.

Mehr Druck für Helfer

Für die Mitarbeiter des steirischen Roten Kreuzes bedeutet das Gaffer-Problem auch, dass sie zusätzlichem Druck ausgesetzt sind: „Es ist auch bei unseren Mitarbeitern ein Eingriff in deren Persönlichkeitsrechte, wie in die Rechte des Opfers, wenn bei Unfällen gefilmt wird“, sagt der steirische Landesrettungskommandant Peter Hansak. Man habe auch schon einen Fall gehabt, bei dem eine Begleitperson den ganzen Einsatz mitfilmen habe wollen, so Hansak.

Testbetrieb startet in Graz

Um die Rettungskräfte und Opfer künftig besser vor den Blicken der Gaffer abzuschirmen, testet das Rote Kreuz nun mobile Sichtschutzwände: Sie sind faltbar und werden ab sofort in Graz in einem Notarztfahrzeug getestet.

RK setzt auf Sichtschutzwände gegen Gaffer

ORF

„Wenn diese Tests zeigen, dass sie die Wirkung erreichen, die wir uns vorstellen - wirklich die Opfer und auch die Helfer vor den ganzen Zusehern mit ihrem medialen Voyeurismus abzuschirmen - dann werden wir das System in alle Notarztwägen in der Steiermark geben“, sagt Hansak.

Zusammenarbeit unter Beweis stellen

Auch die Feuerwehren betrachten einen Sichtschutz als sinnvoll. In Vorarlberg und Niederösterreich hat der Testbetrieb bereits begonnen, in der Steiermark will man ebenfalls nachziehen und sich dann bei gemeinsamen Einsätzen mit anderen Organisationen gut abstimmen. Der tatsächliche Einsatz soll sich danach richten, wer über mehr Kapazitäten vor Ort verfügt. „Ich denke, das ist für die Zukunft ein toller Ansatz, wo man die Zusammenarbeit unter Beweis stellt“, sagt der steirische Landesfeuerwehrkommandant Albert Kern.

RK setzt auf Sichtschutzwände gegen Gaffer

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Problem mit Angehörigenverständigung

Die Polizei ist mit einem weiteren Problem konfrontiert: Fotos von Unfällen sind manchmal schneller im Netz, als Angehörige verständigt werden können. „Für die Polizei ist das ein äußerst sensibler Bereich. Wir müssen hier, beispielsweise bei einem Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang zuerst die Identität zu 100 Prozent feststellen. Dann machen wir meist mit dem Kriseninterventionsteam eine professionelle Angehörigenverständigung“, so Jürgen Haas von der Landespolizeidirektion.

Gaffen für den eigenen Selbstwert

Mit einem eigenen Video (Youtube) wird in Deutschland derzeit Bewusstseinsbildung betrieben: Drei Jugendliche werden zu Unfallzeugen und zu Gaffern; gierig nach Sensation und Anerkennung in Form von Social-Media-Likes machen sie den Rettungseinsatz zu ihrer Showbühne - mit erschreckendem Ausgang.

Der Mensch fühle sich besonders lebendig, wenn er aufregende Erlebnisse hat, erklärt Psychologe Michael Lehofer das Phänomen des Gaffens: „Der Mensch ist offensichtlich ständig darauf bedacht, sich aufzuwerten, den eigenen Selbstwert zu stabilisieren. Und wenn ich dann meinen Freunden etwas schicken kann, was ganz besonders ist, was sie vielleicht nicht erlebt haben, und ich habe es erlebt, dann mache ich mich auch zu etwas Besonderem vor mir selbst“, so Lehofer.

„Der Mensch sollte sich dafür schämen“

Wurde das Erlebte früher nur erzählt, so sind heute Smartphones der ideale Helfer zur Steigerung des Selbstwerts. „Dieses Phänomen der Schaulustigen ist alt. Das gibt es ganz unabhängig davon, aber Social Media haben Eigenschaften, die diesen Effekt verstärken könnten“, sagt Heinz Wittenbrink, Lehrender an der FH Joanneum.

Der Gesetzgeber überlegt die Einführung von Strafen für das Gaffen - Experten bezweifeln aber, dass sie in der Praxis auch tatsächlich exekutiert werden können. „Wesentlich wäre, wenn wir eine andere innere Haltung, andere Werte leben würden und wenn sich Menschen schämen müssten, wenn sie so etwas machen. Es ist die Scham vor solchen Handlungen vollkommen verloren gegangen – wenn sie jemals da war“, so Lehofer.