„Anschluss“: Kein Vergessen in der Steiermark

Genau 80 Jahre ist es her, dass Österreich an das damalige Nazi-Deutschland „angeschlossen“ wurde. Am Montag regten mehrere steirische Initiativen zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit an.

Am 12. März 1938 übernahmen Wehrmacht, SS und Polizeieinheiten das Kommando im Land. Jubel und Begeisterung Tausender auf den Straßen, Angst und Schrecken bei vielen, die ahnen, was kommen würde: Österreich verschwindet als eigenständiger Staat von der Landkarte, noch am Tag des sogenannten „Anschlusses“ gibt es auch in der Steiermark die ersten Verhaftungen.

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März 1938: Der Grazer Hauptplatz zwischen Jubel und Angst

Bereits 1932 war der Nationalsozialismus präsent, schildert der Historiker Helmut Konrad: „Da gibt es ein Milieu an den Grazer Universitäten, den steirischen Universitäten, so eine Art ‚intellektuellen Nationalsozialismus‘, der stark national-völkisch denkt. Und dann haben wir eine zweite Ebene des Nationalsozialismus: Arbeiter, die Arbeitslosigkeit massiv am eigenen Leib spüren, zum Teil auch deshalb arbeitslos sind, weil sie sich vorher politisch betätigt haben - und jetzt den Verlockungen erliegen, zum Nationalsozialismus zu wechseln. Mit dem Argument, dass man ab 33 in Deutschland den Konjunkturaufschwung sieht.“

Zum Nachhören:

Paul Sihorsch hat mit dem Historiker Helmut Konrad über die Zeit vor dem „Anschluss“ in der Steiermark gesprochen - der mit Hitlers Ansprache am Heldenplatz offiziell abgeschlossen war:

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„‚Anschluss‘ als Prozess von innen“

Neben der Obersteiermark war im Bereich der Unis vor allem Graz eine Hauptstadt der Veränderung von innen: „Graz ist mehr als andere Hauptstädte der Bundesländer durch Unis geprägt - und Unis waren hier Kampfschauplatz. Es ist kein Zufall, dass die einzige SS-Akademie für Ärzte in Europa in Graz angesiedelt ist. Es ist also ein starkes intellektuelles Milieu, das diese Stadt auf die Machtübernahme vorbereitet. Der Titel ‚Stadt der Volkserhebung‘ kommt letztlich daher, dass Graz eine komplette nationalsozialistische Machtübernahme vollzogen hat, bevor die deutsche Armee auch nur in der Nähe gewesen ist. Diese Stadt hat den sogenannten ‚Anschluss‘ auch als Prozess von innen und von unten deutlich gemacht - und nicht als aggressive außenpolitische Maßnahme.“

„Eine Wahnsinns-Aufbruchsstimmung“

Diese Vorreiterrolle zeigt sich wenige Tage nach dem „Anschluss“ an Nazi-Deutschland: In einer Uni-Sitzung im März 1938 wird um eine Umbenennung der Grazer Uni in „Adolf-Hitler-Uni“ angesucht. Dieser Antrag wird aber abgelehnt, so Konrad: „In der gleichen Sitzung unmittelbar nach dem Anschluss geht es um die Aberkennung von Doktoraten von Wissenschaftlern, die aus dem Ständestaatsregime kommen und dort hohe Funktionen haben: Bei Rintelen hat man es vertagt, bei Gorbach hat man den akademischen Grad blitzartig aberkannt.“

Alfons Gorbach war in den 30er-Jahren Gemeinderat und bis zum besagten März Landesrat - und Anton Rintelen zweimal steirischer Landeshauptmann und Figur im sogenannten Juliputsch von 1934: „Es ist eine Wahnsinns-Aufbruchsstimmung von denen, die sagen: ‚Jetzt haben wir das Sagen! Jetzt zeigen wir es diesen Ständestaatlern und den Juden‘“, so Konrad.

Die TU Graz sei dabei die erste Universität gewesen, die sich „judenfrei“ meldete: „Die Karl Franzens Universität war verzweifelt, dass sie dabei nur auf den zweiten Platz kam. Es ist wirklich schlimm, wie viel da an aufgestauter Energie da war, wo man nur den Deckel runternehmen musste - und der Nationalsozialismus vollzog die Machtübernahme in diesem Land deutlicher als in anderen Bundesländern“, zeigt sich der Historiker betroffen.

Auch die Schulen vergessen nicht

Die Ereignisse vor 80 Jahren waren am Montag auch Thema im Grazer Privatgymnasium Sacré Coeur: Mit Gedenk-Läuten, Gedenk-Minuten in den Klassen und weiteren Aktionen wurden die Schüler darauf aufmerksam gemacht. Fenster der Schule wurden mit schwarzem Papier abgedeckt, alle Lehrer kleideten sich schwarz. Gemeinsam mit Schülern aller Altersgruppen wurden Texte von damals gelesen, die Ereignisse von 1938 besprochen. Den Initiatoren geht es vor allem um das Heute und Morgen - wenn man über das Gestern nachdenkt.

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Gedenkveranstaltungen und Initiativen

Auch in der Steiermark hat es am Montag viele Gedenkveranstaltungen gegeben. Helmut Schöffmann hat sie für „Steiermark heute“ besucht.

In einer anderen Grazer Schule, dem Gymnasium der Ursulinen, gab es noch einen Startschuss für eine weitere Aktion: ein sogenanntes intergeneratives Jugendprojekt zum heurigen Mehrfach-Gedenkjahr.

„Die Geschichte wiederholt sich nicht“

Bereits am Wochenende hatte der Künstler Joachim Baur Fähnchen in der Grazer Herrengasse verteilt - dort, wo vor 80 Jahren Tausende jubelten. Die Botschaft darauf ist ein Zitat Simon Wiesenthals:

Fähnchen

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Und ein Buch, das am Montag in der Landstube des Grazer Landhauses präsentiert wurde, dokumentiert erstmals die Orte und Zeichen der Erinnerung für die Opfer des Nationalsozialismus in der Steiermark.

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