Vor Identitären-Prozess: Kritik an Anklage

17 Anhänger der rechtsextremen Identitären müssen sich ab Mittwoch in Graz vor Gericht verantworten. Angeklagt sind sie auch wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. An dieser Anklage gibt es nun Kritik.

Beschuldigt sind zehn führende Mitglieder, sieben weitere sind als Sympathisanten einzustufen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, sich an einer kriminellen Vereinigung beteiligt zu haben, und hat auch Verhetzung und Sachbeschädigung angeklagt - mehr dazu in Grazer Identitäre: Prozesstermine stehen fest und in Identitäre: Vorerst kein Auflösungsverfahren.

„Zu scharfes Schwert“

Manche Politiker halten das für ein „zu scharfes Schwert“ und warnen davor, in Richtung des Gesinnungsstrafrechts zu kommen. Die Justizsprecher von NEOS und SPÖ bezweifeln, dass der Tatbestand der kriminellen Vereinigung auch tatsächlich erfüllt ist; und auch der Strafrechtler Helmut Fuchs bezweifelt das.

Ursprünglich war der Paragraf im Jahr 2002 in Umsetzung des Palermo-Übereinkommens gegen Mafia-Gruppierungen gerichtet.

Es geht um Paragraf 278 StGB

Denn eine kriminelle Vereinigung liegt laut Paragraf 278 StGB nur dann vor, wenn ein Zusammenschluss von Personen darauf ausgerichtet ist, Verbrechen, erhebliche Gewalttaten, schwere Sachbeschädigungen, Diebstähle, Betrügereien, Verhetzung, Bestechung, Terrorfinanzierung, Schlepperei, Geldwäscherei oder Geldfälscherei zu begehen.

Fuchs: Ganz konkrete Auslegen vonnöten

Deshalb sei die Anklage auf Verhetzung ausgerichtet, erklärte Fuchs. Aber der frühere Vorstand des Strafrechtsinstituts der Uni Wien kann der Anklage nichts entnehmen, wodurch Verhetzung erfüllt wäre. Das bedeute Aufrufen zur Gewalt (was nicht behauptet werde) oder Aufstacheln zu Hass - wobei schon der Paragraf „sehr unbestimmt“ formuliert sei und nicht - was eigentlich geboten wäre - ganz klar sage, was verboten ist. Also müsse die Sache „ganz konkret ausgelegt“ werden, „sonst besteht Gefahr, dass es zum politischen oder Gesinnungsstrafrecht wird und ideologisch verwendet werden könnte“.

Funk stellt Sinnfrage

Auch der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk bemängelt, dass die Tatbestände der kriminellen Vereinigung und Verhetzung „sehr weit gefasst“ sind, „sehr breit streuen“ und „in Richtung des Gesinnungsstrafrechts“ weisen. Die Staatsgewalt sollte da sehr zurückhaltend sein und nur dort einschreiten, wo es handfeste Straftaten gibt. Bei den Identitären handle es sich um „Menschen mit anderer Einstellung, weltfremd, spinnerisch“. Nur wenn sich eine solche Gesinnung in Handlungen - sei es auch nur Kommunikation - manifestiert, wäre der Straftatbestand erfüllt, meinte Funk. Wobei sich für ihn die Frage stelle, so Funk, ob man solchen Gruppierungen - wenn es nur um Gesinnungsfragen geht - mit einer Anklage erfolgreich begegnen kann.

Funk sieht „Falle der schweren Geschütze“

„Die scharfe Variante der Strafverfolgung könnte auch die Überzeugungen stärken“ - und damit könnte sich ein solches System festigen, so Funk. Sinnvoller wäre es vielleicht, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, den Dialog zu führen. Wobei auch zu kritisieren sei, dass es zu wenig Spielraum für präventive Maßnahmen gibt. Die Polizei bräuchte eine Möglichkeit, solche Gruppierungen „im Auge zu behalten, ohne gleich das Fallbeil der Verurteilung“ bemühen zu müssen. Mit der geltenden Rechtsordnung sei die Staatsgewalt „in der Falle der schweren Geschütze“.

Griss von NEOS: Sehr aufpassen

„Da muss man sehr aufpassen, dass nicht die Gesinnung bestraft wird“, sagte NEOS-Justizsprecherin Irmgard Griss. „Wenn es in erster Linie darum geht, Ideen zu verbreiten, ist das ein zu scharfes Schwert. Man sollte nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“, sagte die frühere Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH), die wenig von der Anklage als kriminelle Vereinigung hält.

Jarolim von der SPÖ: Luft wird dünn im Rechtsstaat

„Die Luft wird dünn im demokratischen Rechtsstaat Österreich“, sagte SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim, der eine generelle Tendenz erkennt. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sei es „offensichtlich ein Anliegen, Gruppen, die ihn stören oder lautstark kritisieren, aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen“. So werde auch gegen Erdogan-Gegner nach einer Kundgebung wegen krimineller Vereinigung ermittelt, das Demonstrationsrecht sei eingeschränkt worden - und jetzt solle mit dem Strafrechtsänderungsgesetz die ausdrückliche Ausnahme zivilgesellschaftlicher Aktivitäten von den Terrordelikten gestrichen werden. Auch die Identitären-Anklage hält Jarolim für überzogen. Für diese hege er zwar keine Sympathien, aber „entweder gilt etwas oder es gilt nicht, und zwar für alle“.

Nicht sinnfremd verwenden

Wenn es um politische Inhalte geht, müsste „größtmögliche Sensiblität“ gelten. Es wäre sehr darauf zu achten, „dass es nicht in Richtung Gesinnungsstrafrecht geht“ und solche Paragrafen sinnfremd verwendet werden, um Demonstrationen oder Aktivitäten zu verfolgen, die aus Kritik an Zuständen oder aus politischer Überzeugung gesetzt werden, meinte der SPÖ-Justizsprecher.