Ein bildgewaltiges Verwirrspiel

Ein rarer Psychokrimi ist derzeit am Grazer Opernhaus zu sehen: Die 1920 uraufgeführte Oper „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold, bildgewaltig in Szene gesetzt von Regisseur Johannes Erath.

Brügge ist die tote Stadt, in der Witwer Paul seine Frau Marie nicht und nicht vergessen kann. Eine schier unantastbare Kirche des Gewesenen hat er ihr errichtet, doch als die wolllüstige Tänzerin Marietta als Maries Ebenbild erscheint, gerät alles ins Wanken.

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„Die Trauerphasen von einer Trennung sind schlussendlich genau die selben, wie wenn man einen Menschen durch Tod verliert - deswegen ist das Gewesene Beziehung. Beide versuchen, sich anzunähern und wieder zu trennen, sie können nicht miteinander und nicht ohne einander. Das gibt mehr Möglichkeiten, mal zu merken, ob man das nicht kennt“, sagt der deutsche Regisseur Johannes Erath.

„Lebendige Frau könnte das nicht erfüllen“

Er deutet Marietta als eine Vision Pauls. Sie erscheint einer Diva gleich auf breiter Showtreppe, umtanzt von sechs haargleichen Frauen: „Eine Aufspaltung von Femme Fragile, Femme Fatal, der Heiligen, der Hure, die Heilige heißt auch noch Marie - eine lebendige Frau kann diese beiden Extreme gar nicht erfüllen.“ Den zerrissenen Paul singt statt des erkrankten Johannes Chum der ungarische Tenor Zoltan Nyari.

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Sendungshinweis:

„Der Tag in der Steiermark“, 16.1.2015

Korngold’s dichtes Werk sei wie ein Sog

Die Oper verlangt nicht nur den Solisten, sondern auch dem Orchester viel ab: Korngolds dichtes Werk, inspiriert von Freuds Traumdeutung, spiegelt mitreißend unterschiedlichste Seelenzustände, sei wie ein Sog, sagt der Chefdirigent der Grazer Philharmoniker Dirk Kaftan: „Das ist ein sich Reinstürzen eines jungen Mannes in die Turbulenzen des Bewusstseins, und das macht es so authentisch, das macht es so intensiv und so empfunden. Das ist so eine Musik, die mich mit 18 in einen Ausnahmezustand versetzt hat.“

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Inszenierung war Vorlage für Hitchcocks Vertigo

Von der Aufspaltung des Ich, vom Wahn bis zum Alptraum, neben den Abgründen der Seele, spielt Erath in seiner bereits 5. Inszenierung an der Grazer Oper auch mit Hollywood, war der Opernstoff doch auch Vorlage für Hitchcocks „Vertigo“. Zudem finden sich in Mariettas Theatertruppe u.a. Marilyn Monroe, Nosferatu oder Sally Powles aus dem Musical „Cabaret“ - Verweise auf Korngolds Oscar-gekrönte Karriere als Filmkomponist nach seiner Flucht vor den Nazis.

Johannes Erath wartet neben einem bildgewaltigen Verwirr- und Irrspiel auch mit einer Neudeutung der wirklichen Liebe Pauls auf, ob mit oder ohne Happy End ist dabei dem Publikum überlassen.

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