Vom Nazitum in der eigenen Familie

„Sag Du es Deinem Kinde!“ lautet der Titel einer Schau des Künstlers Friedemann Derschmidt: Die eine Auseinandersetzung mit dem Nazitum in der eigenen Familie ist derzeit im Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz zu sehen.

Ausgangspunkt für Friedemann Derschmidts über 25 Jahre gehende Forschungs- und Dokumentationsarbeit ist sein Urgroßvater Heinrich Reichel: Von 1933 bis 1942 Professor der Hygiene an der Medizinischen Universität Graz, war Reichel zur Zeit des Zweiten Weltkrieges einer der bekanntesten Forscher auf dem Gebiet der Eugenik und prägte damals den Begriff der „Rassenhygienischen Vererbungstheorie“.

„Ideologischer Erbstrom“

„Man nennt es nicht mehr Eugenik, nicht mehr Rassenhygiene, man spricht auch nicht mehr vom Volkskörper, aber die Ideen sind immer noch da. Die Eugeniker sprechen vom Erbstrom. Mir ist das kein Thema, ich hab das nur zum Anlass genommen, über das Jahrhundert meinem Urgroßvater zu antworten“, so Friedemann Derschmidt.

Er, so der Künstler, spreche „in einer ironischen Art vom ideologischen Erbstrom - Kinder lernen von ihren Eltern zu sprechen, sie lernen, körperlich, aber auch geistig, Haltung einzunehmen. Da hilft es nicht, wenn man sozusagen die zehn wichtigsten Nazis aufgehängt hat, aber die ganze ideologische Basis, von der das alles gekommen ist, niemals hinterfragt.“

Schau NS in eigener Familie

Minoriten

Sendungshinweis:

„Der Tag in der Steiermark“, 4.3.2015

Dokumentation in der eigenen Familie

Derschmidt begann zu dokumentieren, sammelte Briefe, medizinische Unterlagen und offizielle Akten und führte Interviews mit Familienmitgliedern - die Ergebnisse setzt er künstlerisch in einen Kontext: „Es gibt einen Begriff, der noch nicht sehr bekannt ist, aber wir haben ein Forschungsprojekt an der Akademie der Bildenden Künste, das nennt sich ‚Programm zur Erforschung und Erschließung der Künste‘, der Begriff ist die ‚kunstbasierte Forschung‘ oder ‚forschungsbasierte Kunst‘. Die Idee ist, dass auch Kunst wissengenerierend wirkt, dass die beiden Disziplinen aber einander brauchen.“

Schutzmauern abgebaut

Er habe lange Zeit die Kunst als auch die Wissenschaft als Schutzmauer gesehen, so Derschmidt: „Ich hab es lange Zeit überhaupt nicht wahrgenommen, wie es mir geht. Ich bin ja da hineingeboren oder -geworfen worden. Dass es mir damit komisch oder auch immer wieder schlecht geht, das kam erst später. Erst nachdem ich rausgegangen bin, nachdem ich viele Leute aus der betroffenen Opfergruppe kennengelernt habe, erst da habe ich langsam gesehen, dass das, was für mich so selbstverständlich ausgeschaut hat, gar nicht selbstverständlich ist, sondern Ausdruck einer bestimmten Ideologie, die gar nicht mehr da war. Da gab es schon Momente, wo es mir wirklich scheiße gegangen ist“.

Gemeinsames Erinnern mit Shimon Lev

Im Jahr 2012 traf er auf den israelischen Künstler Shimon Lev - symbolträchtig betreiben sie seither gemeinsam Erinnerungsarbeit. Besonders berührend ist ein Foto von Shimon Levs Tochter, das sie neben einer Abbildung ihrer im Holocaust umgekommenen Großtante zeigt. „Es ist nicht leicht für mich, und es gab Momente, in denen ich unsere Arbeit stilllegen wollte. Doch für mich - und das habe ich Friedemann oft gesagt, auch, wenn er es nicht hören wollte - geht es nicht um unseren Dialog, sondern darum, wie weit ich gehen kann in der gemeinsamen Aufarbeitung. Was mich freut: Das Limit liegt wohl sehr hoch“, so Lev.

Shimon Levs und Friedemann Derschmidts Beiträge werden abgerundet von Forschungsbeiträgen der Med-Uni Graz zu Medizin in der NS-Zeit. Die Schau „Sag Du es Deinem Kinde - Nationalsozialismus in der eigenen Familie“ von Friedemann Derschmidt ist bis 2. April zu sehen.

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