„Salome“ ohne „Femme Fatale“-Klischee

„Salome“ ist die letzte große Premiere der Saison im Grazer Schauspielhaus. Dabei kommt aber nicht Oscar Wildes Text zur Aufführung, sondern die Bearbeitung von Einar Schleef, die mit Salomes „Femme Fatale“-Klischee aufräumt.

Sendnungshinweis:

„Der Tag in der Steiermark“, 22.4.2015

Der Geschichte von Salome, die von Johannes dem Täufer gleichermaßen fasziniert wie geängstigt ist und letztlich seinen Kopf fordert, ist häufiger auf der Opernbühne in der Vertonung von Richard Strauss anzutreffen. Das Grazer Schauspielhaus zeigt nun das Werk in einer Bearbeitung von Einar Schleef - die Übersetzung bzw. Neufassung von Oscar Wildes Stück entstand 1997 für eine Aufführung im Schauspielhaus Düsseldorf.

„Größte Kraft und Direktheit aller Übersetzungen“

Der Regisseur und Bühnenbildner Michael Simon ist von diesem Text überzeugt: „Die Schleef’sche Sprache hat die größte Kraft und Direktheit aller zeitgenössischen Übersetzungen, sie ist meiner Meinung nach mehr als eine Übersetzung. Mit seiner Fassung schafft er eine Lesart, die die junge Frau Salome als Opfer in der Männergesellschaft sichtbar werden lässt und mit dem alten Rollenklischee des 19. und 20. Jahrhunderts der ‚Femme Fatale‘ aufräumt.“

"Salome"

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„Erst jetzt in der Mitte der Gesellschaft angekommen“

Salomes Beziehung zu Johannes erscheint heute auch in einem anderen Licht als zur Entstehungszeit von Wildes Drama Ende des 19. Jahrhunderts: „Der Missbrauch und die häusliche Gewalt gegen Salome durch den Stiefvater, aber auch durch ihre Mutter sind erst in den letzten 30 Jahren überhaupt in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Unter diesem Aspekt ist auch die absolute Faszination Salomes an Johannes neu zu verstehen: Er ist der erste Mann überhaupt, der sie nicht mit gierigen Augen anglotzt, der sich gegen die Ausschweifungen ihrer Eltern stellt. Sie projiziert all ihre Wünsche und Sehnsüchte auf ihn, auch den Begriff Liebe, etwas, was sie noch nie erfahren hat, weder von den Eltern noch von einem Mann.“

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„Liefert keine Antwort, stellt aber Fragen“

Daneben geht es für Simon aber auch um die Frage, „wie gehen wir als Gesellschaft mit radikalen Fundamentalisten um?“. In diesem Zusammenhang müssen auch die Bibeltexte, die Wilde Johannes dem Täufer in den Mund gelegt hat, neu bewertet werden: „Er ruft aus seinem Gefängnis direkt zu Gewalt und Umsturz auf. Auffällig ist, dass sich seine alttestamentarische Sprache nicht unterscheidet von den Gewaltaufrufen der heutigen Islamisten. Auch ist die ‚Kopf ab‘-Metapher durch aktuelle Videobilder viel mehr in unserem kollektiven Bewusstsein eingebrannt als man es sich vor ein paar Jahren hätte vorstellen können“, beschrieb Simon. „Ich denke, das Stück Salome liefert keine Antwort, stellt uns aber Fragen zu den Themen Gerechtigkeit, Rache, Vergeltung und Liebe.“

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