Buchseiten voller Fremder

Oft ist in den vergangenen Monaten von einer „gespaltenen Gesellschaft“ die Rede gewesen. Die Schuld wird gern bei Fremden gesucht - doch zurecht? Livia Klingl geht dem in ihrem neuen Buch „Lauter Fremde“ nach.

Livia Klingl war schon in vielen Ländern dieser Welt - auch als Journalistin in vielen Krisen- und Kriegsregionen von Sarajevo bis Afghanistan: „Ich habe mich nie fremd geführt, weil ich mich selbst mithabe. Und wenn einen eine andere Kultur nicht bedroht, wenn man eine eigene Sicherheit hat, dann kann man mit allen Menschen dieser Erde irgendwie zurandekommen“, erklärt Klingl.

Sendungshinweis:

„Guten Morgen Steiermark“, 10.2.2017

Warum glauben dann aber immer mehr Menschen, dass sie vor dem, was sie nicht kennen, Angst haben - und das Fremde ablehnen müssen? „Leider ist es ganz einfach zu sagen: ‚Schau, ein Moslem‘ - und dann wird man abgelenkt von dem, was relevant ist. Die Menschen, die mir sagen, sie haben Angst - bei denen ist das so ein erster Satz. Und wenn man sie dann hinführt zur Frage: ‚Werden Sie eine Pension haben?‘, ‚Werden Ihre Kinder eine halbwegs ähnlich gute Zukunft haben wie Sie jetzt eine Gegenwart haben?‘ - dann merkt man, dass sie langsam, aber sicher an das denken, was für ihr Leben relevant ist. Und der/das Fremde ist für die meisten Menschen in Österreich völlig irrelevant“, gibt die Autorin zu bedenken.

21 Begegnungen mit dem Fremden

In ihrem Buch „Lauter Fremde. Wie der gesellschaftliche Zusammenhalt zerbricht“ lässt sie insgesamt 21 Menschen zu Wort kommen, die sich über das Fremde Gedanken machen - Menschen, die sich mit ihrem eigenen Fremdsein und dem, was ihnen fremd ist, auseinandersetzen.

"Herzig! Aber wird die Deutsch lernen?“

Eine von ihnen ist Tatjana Gabrielli, die 1993 als Kind einer srilankischen Flüchltingsfrau in Österreich geboren wurde und noch als Baby von einem Vorarlberger Ehepaar adoptiert wurde, da ihre leibliche Mutter keine Chance gesehen hat, sich um ihr Kind zu kümmern, „die sozusagen eine österreichische Mentalität hat, eine österreichische Staatsbürgerschaft, die die Herkunftssprache ihrer Mutter nicht kann, weil sie in Vorarlberg aufgewachsen ist, wo aber auch Menschen in den Kinderwagen geschaut haben, als die Kleine vier Monate alt war und gesagt haben: ‚Herzig! Aber wird die Deutsch lernen?‘“

Cover

Kremayr & Scheriau

Buchtipp:

„Lauter Fremde“ von Livia Klingl (ISBN: 978-3-218-01061-0) ist im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen und kostet 22,00 Euro

„Naher Osten? Toll! Exotisch!“

Zur Beruhigung: Sie hat es gelernt. Zurzeit ist Tatjana Gabrielli Pressesprecherin von Staatssekretärin Mona Duzdar, die in diesem Buch ebenfalls zu Wort kommt. Ihr Vater ist Ende der 60er-Jahre zum Studium nach Wien gekommen - zu einer Zeit, als „das Fremde“ durchaus noch sehr positiv besetzt war: „Ihr Vater ist vor über 40 Jahren gekommen, als Palästinenser war er damals ein Exot und beliebt, weil man neugierig war: Wo ist denn der her, und wie ist es denn dort? Heute werden sie kaum jemanden finden, der sagt: ‚Naher Osten? Toll! Exotisch! Interesssiert mich!‘“, schmunzelt die Autorin.

Stattdessen hagle es heute Kommentare wie „‚Jössas na, lauter Barbaren!‘ Die alten Griechen - weil ich das Wort ‚Barbar‘ sage, haben diejenigen, die nicht ihre Sprache sprachen, als ‚Barbar‘ bezeichnet - und das setzt sich jetzt bei uns fort. Seit hunderten Jahren machen Menschen das gleiche: Sie lehnen das ab, was ihnen unbekannt ist, und es wird dann aber doch irgendwie integriert. Weil wir in Österreich hätten dann nicht einmal Erdäpfel und Paradeiser - sozusagen fast gar nichts von unserem Essen, von unserem guten österreichischen Essen, wäre es nicht von irgendwoher gekommen“, ermahnt Klingl.

„Nur einer von vielen“

Unter den weiteren Porträtierten sind natürlich auch Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien - zum Beispiel ein junger syrischer Arzt, der mit seiner Frau und den Kindern vor dem Krieg geflohen ist. Er hatte ein gutes Leben in Syrien; ein Haus, einen gut bezahlten Job. Und er erzählt sehr berührend, was es für ihn bedeutet, ein Flüchtling zu sein - als einer von vielen und nicht als Individuum gesehen zu werden.

Dann ist da auch noch eine junge Journalistin aus Tschetschenien, die seit fünf Jahren mit ihrer Tochter in Österreich lebt und sich wundert, dass Frauen hier weniger verdienen als Männer.

„Man fühlt sich nicht von sich aus fremd“

Oder die Regisseurin Nina Kusturica, die als 17-Jährige mit ihrer Familie aus Bosnien geflohen ist. Sie sagt zum Beispiel: „Fremd ist man nur, weil es einem dauernd gesagt wird. Man fühlt sich nicht von sich aus fremd“.

Weiters sind da noch eine Steirerin, die seit zehn Jahren in Vorarlberg lebt und feststellt: „Es gibt auch Fremde im eigenen Land.“ Und manchmal, da fühlt sich auch die Autorin fremd: „Ich fühle mich dann fremd, wenn ich von Menschen umgeben bin, die menschenverachtend sind. Dann mache ich mich freiwillig fremd“, so Klingl.

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