Eine weltpolitische Schach-Partie im ABBA-Kleid

Der Kalte Krieg als eine Schachpartie - das ist „Chess“, das Musical der männlichen ABBA-Hälfte Benny Andersson und Björn Ulvaeus, das in der Grazer Oper einen packenden Kosmos entfaltet.

Aus dem stillsten Spiel der Welt ein Musical zu schaffen, erscheint auf den ersten Blick als zum Scheitern verurteilte Mission. Doch es gab Zeiten, da Schach politische Dimensionen entwickeln konnte und Weltmeisterschaften zu Publikumsmagneten wurden - so anziehend, dass Andersson und Ulvaeus gemeinsam mit Tim Rice, dem Texter von Welthits wie „Evita“ oder „Jesus Christ Superstar“, das Projekt „Chess“ ins Leben riefen.

Stellvertreterkampf

Als Basis dient der Stellvertreterkampf zwischen dem Amerikaner Bobby Fischer und dem Russen Boris Spasski - zwei Namen, die damals in aller Munde waren. „Chess“ hebt bei der Weltmeisterschaft von Meran im Jahr 1981 an, wo damals der in den Westen emigrierte Viktor Kortschnoi gegen den Russen Anatoli Karpow antrat - in der Musicalversion sind es Frederick Trumper und Anatoly Sergievsky, die ihre jeweiligen Länder vertreten.

Sendungshinweis:

„Steiermark heute“, 16.10.2016

Und wie so oft im Leben wie in der Literatur ist es eine Frau, die das Schicksal beeinflusst: Trumpers Assistentin (und Geliebte) Florence Vassy verliebt sich während der Meisterschaften in den schließlich siegreichen Russen, der im Anschluss um politisches Asyl in den USA ansucht und bei der Folgemeisterschaft in Bangkok gegen einen ehemaligen Landsmann antreten muss.

"Chess"

Oper Graz/Werner Kmetitsch

Der Kalte Krieg reicht bis in die letzte Pore dieser Konfrontation: Der KGB versucht, Sergievsky unter Druck zu setzen, ihn mit seiner in Russland zurückgelassenen Ehefrau zu erpressen und setzt selbst Florence auf ihren Freund an, der man verspricht, bei einer Niederlage Sergievskys ihren inhaftierten ungarischen Vater freizulassen.

"Chess"

Oper Graz/Werner Kmetitsch

Politthriller rund um Sieg oder Niederlage

Gefüllt hat es Regisseur Thomas Winter, der „Chess“ am Theater Chemnitz inszeniert hat, mit so viel Leben, dass die zweieinhalb Stunden in der Grazer Oper wie im Flug vergehen: Im ausgeklügelten Bühnenbild von Ulv Jakobsen, das mit Hebe- und Drehbühne, Vorhängen und modularen Elementen für ästhetisch anspruchsvolle Szenen sorgt, entfaltet sich ein spannender Politthriller rund um Sieg oder Niederlage - im Schach wie in der Liebe.

"Chess"

Oper Graz/Werner Kmetitsch

Schwanensee auf dem Schachbrett

Die Schachpartien selbst finden zwar an einem Tisch statt, über den sich die Meister nachdenklich beugen, das Duell verkörpert jedoch das Ballett der Grazer Oper, das in Schwarz-Weiß eine Art Schwanensee auf dem Schachbrett vollführt. Am Pult steht der junge Dirigent Tom Bitterlich, der das Grazer Philharmonische Orchester durch die abwechslungsreiche Partitur führt, die von klassischen Elementen über typische Musical-Motive bis hin zu Rocksongs reicht.

Und so überzeugt „Chess“ nicht nur musikalisch, sondern auch optisch, wenn Schach-Motive vom kleinen leuchtenden Feld bis zum Säulenwald immer wieder an den Ausgangspunkt der Geschichte erinnern - ein kraftvoller wie leichtfüßiger Abend, der nicht nur ABBA-Nostalgikern gefallen wird. Oder Schach-Aficionados.

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