Erwin Wurms Tribut an „die alte Heimat“

Von Sao Paolo über Bangkok bis Wien hat der Brucker Erwin Wurm heuer zehn Einzelausstellungen. In Graz, der Stadt seiner frühen Erfolge, zeigt der Künstler ganz neue Werke im Artelier Contemporary und im Kunsthaus.

Erwin Wurm in Graz

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Starkünstler Erwin Wurm

„Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach“ - was sieht man, wenn man das liest? Einen alten VW-Käfer, von dessen Kugeldach der Klumpen herunterzurollen droht - oder etwas völlig anderes? Das überlässt Erwin Wurm im Grazer Kunsthaus dem Betrachter.

„Das Wort erzeugt Bilder im Kopf“

Seine Wortskulpturen, die von drei auf weißen Podesten stehenden Personen in den Ausstellungsraum gesprochen werden, erscheinen nur vor dem inneren Auge der Besucher.

Eine extreme Reduktion - nicht nur seiner berühmten „One Minute Sculptures“, wie Erwin Wurm sagt: „Wo die tatsächliche physisch anwesende Skulptur nicht mehr so die Bedeutung hat - sie wird durch etwas anderes ersetzt. Mich interessiert das Physische insofern, als es noch den Ton gibt, das Wort. Am Anfang war das Wort - und das erzeugt Bilder im Kopf“, so Wurm.

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Erwin Wurms „Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach“

Wer also erwartet hat, dass Erwin Wurm ein hellblaues Auto mit einem Tonklumpen auf dem Dach ins Kunsthaus stellt, rechnet nicht mit seiner Hinterlistigkeit und der konsequenten Fortschreibung seines Werks: „Ich wollte etwas ganz Experimentelles machen. Ich muss mich jetzt nicht mehr darstellen oder behaupten - ich habe ein relativ großes Werk hinter mir, und die Leute wissen, was sie von mir erwarten können. Darauf wollte ich antworten, indem ich etwas anderes mache. Für mich ist es am interessantesten, riskant zu sein - Experimente zu machen.“

Das Kunsthaus als Wurms schwarzes Loch

Ein Experiment auch durch die herausfordernde Innenarchitektur des Grazer Kunsthauses: Dem dunklen Raum verpasste er einen monströsen hellrosa Pullover mit winzigen Ärmchen und kopfgroßem Schlupfloch - der „Weltraumschwitzer“ kleidet und durchtrennt nun schlängelnd den Raum: „Er wirkt fast wie ein schwarzes Loch, und dann habe ich mir gedacht, jetzt muss ich irgendetwas machen, um mich oder die Skulpturen zu behaupten“, verrät Wurm.

Erwin Wurm in Graz

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Nur ein kopfgroßes Schlupfloch hat Wurm im „Weltraumschwitzer“ gelassen

Mitmachen ist auch in Graz intendiert - an einer Hausbar mit Kübellampe warten zwei Gläser und eine Flasche Rotwein. Eine „One Minute Sculpture“ aus einem Malerkübellampenschirm kann man verdoppeln, indem man sich danebenstellt und selbst einen Malerkübel über den Kopf stülpt.

Erwin Wurm in Graz

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Bei Erwin Wurm werden die Museumsbesucher zu Kunst

„Das betrifft paradoxe Situationen, die aus dem Alltag, aus unserer Welt gegriffen sind - und die ich ein bisschen verquer darstelle: Das Rotlicht spielt an auf gewisse Dinge, das Blaulicht spielt an - Hinweise, mit denen man sich sozusagen weiterhanteln kann“, erklärt der Künstler.

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Aus einer Skulptur von Josef Pillhofer entwickelte Wurm diesen „Kletterturm“

Kunst, die fast zum Klettern verführt

Weiterhanteln könnte man sich theoretisch auch auf einer Skulptur von Josef Pillhofer, aus der Wurm kurzerhand einen Kletterturm mit Bouldergriffen kreiert hat. Fritz Wotrubas „liegende Figur“ dient ihm als Abstellfläche für eine stets frische Extrawurstsemmel mit Gurkerl: „Ein Umgang nicht die Kunst anderer missachtend, sondern als Diskussion vorschlagend, dass auch andere künstlerische Arbeiten Ausgangsmaterial für neue künstlerische Arbeiten sein können“, interpretiert der Künstler sein Werk.

Zehn internationale Personalen und ebensoviele Ausstellungsbeteiligungen hat Erwin Wurm allein heuer - neben der Biennale: „Übrigens sind Museumsausstellungen relativ einfach, weil da kann man die Dinge nehmen, die es schon gibt und die neu kopieren und in neue Verhältnisse stellen, und man muss nicht wie bei Galerienausstellungen alles neu machen“ - wie im Fall der zweiten Schau Wurms in Graz im Artelier Contemporary, die sich „Land der Berge“ nennt.

„Spiel mit der Perspektive“

Miniberge, geknetete Bronzeskulpturen, liegen auf einem Meter hohen Stelen, die im Dialog mit computergenerierten Berggipfel-Bildern von Markus Huemer stehen, der erklärt: „Es gibt ein Spiel mit der Perspektive: Die Arbeiten sind einerseits flach, andererseits perspektivisch angelegt - zum einen sind sie motivisch angelegt, zum anderen abstrakt; das sind Vollbrüche.“

Erwin Wurm in Graz

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Erwin Wurm entgegnet: „Ich lebe im Land der Berge - ich lebe gern und gut hier. Wenn es manche Leute nicht gebe, wäre es noch schöner. Und dann haben wir uns gedacht, was machen wir in Österreich - im Land der Berge und der Söhne und Töchter? Wir machen Berge. Ich meine, das ist eine Vorgabe von Bergen. In Wahrheit sind es ja auch keine Berge, sondern etwas anderes“ - etwa Busen oder Hundstrümmerl, wie die Kommissärin des österreichischen Biennale-Pavillons, Christa Steinle, in der Eröffnungsrede zu „Land der Berge“ deutete.

Sendungshinweis:

„Steiermark heute“, 23.3.2017

Tribut an Wurms „alte Heimat“

Gleich zwei Ausstellungen in Graz sind nicht zuletzt ein Tribut des gefragten Künstlers an seine künstlerische Sozialisation in Graz: „Es freut mich wahnsinnig, in der Steiermark wieder etwas machen zu können. Ich komme von hier, bin hier aufgewachsen. Hier sind meine Jugendfreunde, meine ersten künstlerischen Gehversuche und die ersten Ausstellungen, wie damals auch für Fritz Kreiner, der mich sehr unterstützt hat. Viele Freunde, Kollegen... Graz ist meine alte Heimat, und ich komme immer wieder gerne zurück und fühle mich wohl hier“, sagt Kunststar Erwin Wurm. Seine große Schau im Grazer Kunsthaus ist bis 20. August zu sehen, „Land der Berge“ im Artelier Contemporary läuft bis Mitte Mai.

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