Hyazinthen
APA/dpa/Uwe Anspach
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Eine bizarre Welt von Damals – im Heute

In der Barockzeit galten Kastratensänger als die Superstars der Oper. Im Roman „Die Hyazinthenstimme“ schafft ein barockbesessener Musikliebhaber auf einem abgelegenen Schloss eine Kaderschmiede für Kastratensänger – allerdings in der Gegenwart.

„Die Hyazinthenstimme“ führt Daria Walke in eine fremde, faszinierende und gleichzeitig abstoßende Welt: In einem Schloss in der Südsteiermark schafft sich ein Mann ein Refugium, das die Barockzeit auferstehen lässt – mit allem Prunk und aller Schönheit, aber auch mit grausamen Methoden.

Junge Buben zur Erhaltung der Stimme kastriert

„Settecento“ heißt das geheimnisvolle Schloss, auf Deutsch entspricht das dem „18. Jahrhundert“. Der Besitzer wird von den Bewohnern des Schlosses „der Zar“ genannt, und er ist besessen von der Idee, die große Zeit der Barockoper wieder zu beleben. Für Schönheit und Harmonie überschreitet der Zar allerdings alle Grenzen: Im Schloss, das abgeschieden in den Hügeln der Südsteiermark liegt, werden Buben vor der Pubertät kastriert und zu Sängern ausgebildet. Durch diese Operation wird der Stimmbruch verhindert, und so bleibt eine meist wunderschöne Sopranstimme erhalten. Im Barock waren Kastratensänger die Stars der Opern – heute sind diese Operationen natürlich verboten.

„Die Hyazinthenstimme“
Residenz Verlag

Parallelwelt mit wenig Bezug zur Realität

Von außen wirkt das Schloss wie ein elitäres Internat, Kontakt mit Menschen der Umgebung gibt es kaum; freiwillig ist außer dem Zaren wohl niemand hier. Die kleinen Buben werden ihm verkauft, über ihre Herkunft weiß man nicht viel. Einer dieser Schüler – einer der begabtesten – ist Matteo: Er ist der Ich-Erzähler in diesem Roman und hat eine dieser „Hyazinthenstimmen“. Immer wieder gibt es geheime Aufführungen in anderen entlegenen Schlössern, zu denen die Besucher aus ganz Europa kommen – natürlich in barocken Kleidern und Perücken, auch ein stilgerechtes Buffet wird serviert. Die Attraktion ist aber die Stimme Matteos.

Sendungshinweis:

„Guten Morgen, Steiermark“, 19.1.2020

Für den jungen Mann selbst ist seine Rolle zwiespältig: Einerseits liebt er die Musik und genießt den Ruhm, andererseits spürt er auch die Last, die sein Leben in dieser eigentümlichen Parallelwelt mit sich bringt. Er spricht von einem „Tier“ in seinem Inneren, das ihm diese Stimme ermöglicht – und er sieht die Mitbewohner im Schloss, denen diese Stimme versagt ist und die am Rande leben.

Dem System entflohen

Eine Rolle spielt auch ein Friedhof: Hier sind die begraben, die sich aus Verzweiflung über ihre Situation das Leben genommen haben. Ein „normales“ Leben außerhalb der Schlossmauern scheint unmöglich, und doch gibt es einen, der es geschafft hat, sich eine Existenz als Sänger in Wien aufzubauen – und es gibt auch Bewohner des Schlosses, die sich gegen das System des Zaren auflehnen.

Über die Autorin

Die Autorin Daria Wilke ist in Moskau geboren, ihre Eltern sind Schauspieler und haben in einem Puppentheater gearbeitet. Sie war in Russland Journalistin und lebt seit dem Jahr 2000 in Wien. Daria Wilke hat bisher Kinder- und Jugendbücher auf Russisch veröffentlicht, „Die Hyazinthenstimme“ ist der erste Roman, den Sie auf Deutsch geschrieben hat.