Mähdrescher beim Ernten von Winterweizen einer Dammkultur
APA/HARALD SCHNEIDER
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Wenn die Böden leise sterben

Ein Buch, spannender und erschreckender als jeder Krimi, ist als Wissenschaftsbuch 2020 ausgezeichnet worden. In „Das leise Sterben“ beschreibt Martin Grassberger die Auswirkungen unseres Tuns auf die Umwelt – und letztlich auf uns selbst.

Eine rasant wachsende Weltbevölkerung einerseits und ein drastischer Rückgang der Artenvielfalt andererseits, steigende globale Durchschnittstemperaturen, immer mehr an zerstörter Natur, stetig zunehmende chronische Erkrankungen – es sieht nicht gut aus für die Spezies Mensch, meint der Arzt und Biologe Martin Grassberger.

Hinweis:

Der Autor kommt am 19. und 20. Oktober auf Einladung der Bio Ernte Steiermark zu zwei Vorträgen in die Steiermark: Am Montag ist er ab 18.00 Uhr im Forum Kloster in Gleisdorf und am Dienstag ebenfalls ab 18.00 Uhr im Kulturhaus in Straden. CoV-bedingt sind jeweils rund 90 Gäste zugelassen; die Vorträge werden aber auch aufgezeichnet und stehen dann im Internet zum Nachschauen zur Verfügung.

Als eine der Hauptursachen für viele dieser Übel identifiziert er unser Essen – und die Art, es zu produzieren: „Unsere gesamte Nahrung, egal ob pflanzliche oder tierische Produkte, unabhängig davon, ob selbst gekocht oder als bis zur Unkenntlichkeit verarbeitetes Fertigprodukt, kommt aus dem Erdboden. Ja, aus dem braunen Schmutz unter unseren Füßen.“

Uniformität als gefährlicher Trend

Doch in atemberaubendem Tempo machen wir die fruchtbare oberste Erdschicht unseres Planeten kaputt, so Grassberger – und zwar durch jene hochtechnisierte Landwirtschaft, die entstanden ist, um die Bedürfnisse, um nicht zu sagen die Gier, der Konsumenten, aber auch der Agrarkonzerne und ihrer Investoren zu befriedigen.

„Der Trend heißt Uniformität. Obwohl die Welt mehr Lebensmittel als je zuvor produziert, ist sie von wachsenden Monokulturen abhängig. Von 6.000 bis 7.000 prinzipiell verzehrbaren Pflanzenarten tragen weniger als 200 zur weltweiten Nahrungsmittelproduktion bei. Wirklich besorgniserregend ist vor allem die Tatsache, dass nur neun Pflanzenarten – darunter Zuckerrohr, Mais, Reis, Weizen, Kartoffeln und Sojabohnen – zwei Drittel der weltweiten Produktion ausmachen, wobei Mais, Reis und Weizen 60 Prozent der weltweit benötigten Kalorien liefern“, schreibt der Biologe.

Eine verhängnisvolle Spirale

So werden die Äcker und Traktoren immer größer, werden immer mehr Dünge- und vermeintliche Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Damit wird aber eine verhängnisvolle Spirale in Gang gesetzt: Um die Erträge zu halten, braucht es immer mehr Agrochemie; dadurch und durch das auch bei uns praktizierte tiefe Umpflügen wird aber das unschätzbar wichtige Bodenleben schwer beeinträchtigt, sodass die Böden letztlich verarmen, unbrauchbar werden und versteppen oder gar verwüsten.

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Außerdem haben die Nahrungsmittel, die mit Hilfe dieser Böden produziert werden, messbar weniger für die menschliche Gesundheit essenzielle Inhaltsstoffe, was sich laut dem Arzt auch in einer erschreckenden Zunahme sogenannter Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Übergewicht, Bluthochdruck oder Allergien äußert.

Der Boden als Dreh- und Angelpunkt

Der schlechten Nachrichten nicht genug: Gemarterte Böden haben auch ein viel geringeres Potenzial, das Klimagas CO2 zu speichern, eher im Gegenteil. Für Martin Grassberger, der auch einen Doktortitel in Biologie hat, ist also der Boden der Dreh- und Angelpunkt gleichermaßen – er warnt: „Ein Drittel der Böden ist bereits degradiert. Dies geschah in weiten Teilen ziemlich leise und ohne viel Aufsehen. Der Blick zurück lehrt uns allerdings: Gesellschaften, die sich nicht um den Zustand ihrer Böden kümmerten, waren in der Geschichte der Menschheit nie langfristig von Bestand.“

Sendungshinweis:

„Guten Morgen, Steiermark“, 18.10.2020

Wer sich über gut 250 zum Teil recht deprimierende und erschreckende Seiten bis zu dieser Stelle durchgelesen hat, ist versucht, das Buch „Das leise Sterben“ zuzuschlagen – dabei bräuchte man nur einmal umzublättern.

Lösungsvorschläge

Auf verhältnismäßig wenigen Seiten beschreibt Martin Grassberger gegen Ende des Buchs seine Lösungsvorschläge – aber wahrscheinlich braucht es tatsächlich zuerst die Überdosis an Furcht, um bisher unbedarfte Leser wachzurütteln.