Murmel
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Als die Welt noch eine Murmel war

Der liebenswerte und etwas tollpatschige Polizist Franz Gasperlmaier ermittelt seit vielen Jahren im Ausseerland. Sein Schöpfer Herbert Dutzler beging nun aber einen literarischen „Seitensprung“ und entführt in seinem neuesten Roman in die 60er-Jahre.

Es ist die Welt des zehnjährigen Siegfried, den der Autor so beschreibt: „Er trägt eine dicke Brille, hat einen überaus gesunden Appetit und steckt seine Nase am liebsten in spannende Wildwestromane.“

Sendungshinweis:

„Guten Morgen, Steiermark“, 11.4.2021

Die Idee zu diesem Roman entstand durch seine Arbeit als Lehrer, erzählt Herbert Dutzler: „Ich beschäftige mich sehr häufig damit, Kindern darüber zu erzählen, wie die Welt früher war, weil Kinder haben heutzutage oft gar keine Ahnung, in welcher Reihenfolge Erfindungen gemacht wurden, dass zum Beispiel Radio vor Fernsehen war und Fernsehen vor Internet, und diese Geschichten sind bei den Kindern auf sehr fruchtbaren Boden gefallen, und daraus ist irgendwann einmal die Idee entstanden, das Ganze vielleicht in einen Roman zu gießen.“

Damals war alles irgendwie anders, …

Beim Ausräumen der Wohnung seiner Mutter findet Siegfried zahlreiche Kartons mit teils schon vergilbten Erinnerungsstücken – zum Beispiel ein Fotoalbum vom allerersten Urlaub der Familie am Meer: eine Woche Caorle mit dem Reisebus, denn ein eigenes Auto gab es damals nicht.

Die Mutter war Hausfrau, der Vater bei der Eisenbahn, und dann gab es noch die kleine Schwester Uschi. Zwölf Stunden dauerte diese Reise, in einem durch Zigarettenrauch stickigem Bus ging es über mehrere Gebirgspässe und durch enge Täler; das Hotel mit Vollpension, Dusche und WC am Gang – eine Zeit, in der eine Pizza noch als exotisch galt.

… aber nicht alles war besser

„Die Welt war eine Murmel“ ist ein liebevoller, manchmal auch ironischer Blick zurück, aber kein verklärter – sehr offen schreibt Dutzler über die autoritären Verhältnisse in den Schulen und auch in den Familien. Weil er sich etwa für Kochen und Backen interessierte, befürchtete der Vater, dass Siegfried homosexuell sein könnte und startete mehrere, nicht sehr erfolgreiche Versuche, aus Siegfried einen Fußball-Fan und Angler – also das, was er unter einem richtigen Mann verstand – zu machen. Für die Schulbücher musste noch gezahlt werden, Nachsitzen als Strafe war üblich und ein „Gut“ in Betragen eine mittlere Katastrophe.

„Die Welt war eine Murmel“ – Cover
Haymon Verlag

Herbert Dutzler, 1958 geboren, kann hier natürlich viel auf seine eigenen Kindheitserinnerungen bauen: „Es ist schon sehr viel dabei, nur die Familie habe ich um ihn herum konstruiert, die hat mit meiner eigenen Familie überhaupt nichts zu tun, aber die Erinnerungen und die Erlebnisse, die der Siegfried hat, haben schon sehr viel mit meinen Erinnerungen zu tun.“

Größter Unterschied: Die Freiheit

Und wie seine Hauptfigur hat auch der Autor in seiner Kindheit Karl May-Romane richtiggehend verschlungen: „Karl May bedeutet für mich eine Flucht aus der Wirklichkeit in eine völlig andere Welt, und nachdem er sehr viel geschrieben hat und sehr lange Bücher, konnte man diese Erfahrungen auch ausdehnen. Es hat ja sonst an Medien nicht viel gegeben.“

Als größten Unterschied zwischen der Kindheit damals und heute sieht Herbert Dutzler die Freiheit, die Kinder in den Zeiten vor der Erfindung des Handys und der Helikoptereltern hatten: „Besonders gern erinnere ich mich eigentlich an die Unternehmungen mit Gleichaltrigen, man ist sehr häufig außerhalb der Aufsicht der Eltern gewesen, irgendwo im Hof, im Hof von einem Nachbarhaus, im Wald, auf der Wiese, am Bach, und dieses Sich Entziehen der elterlichen Aufsicht hat damals viel besser geklappt als heute. Ich weiß nicht, woran das liegt, weniger gefährlich war es sicher nicht, weil ich bin bei einer Mühle aufgewachsen, aber die Eltern hatten anscheinend entweder nicht die Zeit oder nicht das Interesse, den Kindern ständig hinterherzurennen, dadurch hatte man sehr viel Freiheit, und diese Freiheit war etwas, was ich sehr genossen habe.“