Mit seinem „Tagebuch der Übersiedlung“ hat Dzevad Karahasan das Literaturhaus wiedereröffnet und in das Zentrum des Bosnienkrieges, nach Sarajevo geführt. Ab 1992 war seine Stadt fast vier Jahre lang belagert – dennoch: Verurteilen ist nie die Sache des Goethe-Preisträgers gewesen, denn er will verstehen: „Wenn das Irrationale ausbricht, werden wir irgendwie verwirrt, wir fragen uns, was da los ist“, so der Schriftsteller.
Sendungshinweis:
„Steiermark heute“, 14.6.2021
Kein Wasser, Strom oder Nahrung
Karahasan erzählt von einer Stadt ohne Wasser, Strom und Nahrung, davon, wie die Menschen im Chaos dennoch an der Form festhielten: „Solange wir uns begrüßen, gegenseitig achten, sind wir Menschen, auch wenn wir unter unmenschlichen Umständen leben. Darin liegt eben menschliche Freiheit.“ In der Sprache zeigte sich die Zerrüttung, so Karahasan: „Wenn die Generäle Lyrik von sich geben, ist der Teufel los.“ Auch wenn das Verb „ausführen“ dominiert, wie ein Befehl, erzählt Karahasan.
Ideologie als „gefährliche Vereinfachung des Lebens“
Sarajevo, die Stadt der kulturellen, religiösen Vielfalt und des Dialogs, konnte sich davon viel bewahren, aber dass nun nur noch der Tourismus dominiert, stört Karahasan sehr, „und in der Welt des Tourismus verwandeln sich Leute entweder in Kellner oder in Gäste, da ist keiner zuhause“.
Plötzlich werde ein Orient für Touristen zelebriert, Selbstverständliches wird zur Ideologie: „Ich mag Ideologien nicht, Ideologie ist eine extrem gefährliche Vereinfachung des Lebens.“ Und was diese im schlimmsten Fall bedeutet, davon erzählt Dzevad Karahasan.