Triesterstraße 84 in Graz, eine kleine Gemeindewohnung im siebenten Stock: Das war das kleine Paradies für ein langes Leben; fast 57 Jahre lebte hier die Mutter von Martin Behr, bis sie vor etwa fünf Jahren starb.
Die Gemeindewohnung ist längst wieder vermietet, doch die Erinnerungen wurden jahrelang von Martin Behr mit einer einfachen Kamera eingefangen, wie er erzählte: „Bei dieser Wohnung wusste man, da ist immer wer da, da ist es warm, da gibt es was zu essen, da läuft der Fernseher, da gibt es keine Sorgen. Das war irgendwie eine Art Rückzugsraum für die Familie.“
Ein teils gemeinsames Projekt
Auch nachdem er als Erwachsener schon längst ausgezogen war, besuchte Behr seine Mutter regelmäßig und fotografierte dabei immer wieder mit großer Leidenschaft Details in der Wohnung: Ein Stück eines Kalenders, den Zipfel eines Geschirrtuches, die Pfote einer grauen Katze auf einem Kleiderbügel, eine Blume, das Eck einer Fernbedienung, eine Autogrammkarte von Peter Rapp – Dinge, die vom Alltag der Seniorin Erna Behr zeugen.
Sendungshinweis
„Steiermark heute“, 1.2.2023
„Sie war generell eher fotoscheu, und auch bei diesen Details hat sie gesagt: ‚Was ist das eigentlich?‘ Mit den Jahren hat sie dann selbst auch Interesse daran gehabt und hat mir dann Tipps gegeben und hat gesagt: ‚Am Vormittag im Badezimmer, wenn die Jalousie so und so ist, dann sind schöne Schattenstrukturen.‘ Und der Suchtfaktor war dann oft so, dass ich, noch bevor ich sie begrüßt habe, ins Badezimmer gegangen bin, um zu schauen, wie schaut das jetzt aus am Nachmittag“, so der Journalist.
Eine gesellschaftliche Dokumentation
Über 6.000 Fotos entstanden so über die Jahre hinweg – rund 400 davon veröffentlichte der 58-Jährige jetzt in einem sehr persönlichen Bildband. „Der Einband ist ein Spinnenpapier, so wie man es früher bei Fotoalben verwendet hat. Die Motive sind jetzt nicht unüberschaubar, und es dokumentiert sich ja auch sehr viel. Der ganze Wandel, irgendwie auch der zunehmende Wohlstand. Also früher waren das halt eher so gebrauchte Möbel, später kam der Tischler mit den Einbaumöbeln und der Spannteppich und so weiter. Und über die vielen Jahre sagt das alles ja viel aus über den Wandel der Gesellschaft.“
Text gibt es im Fotobuch „Triesterstraße 84/VII“ kaum – nur ein paar Sinnsprüche und ein Rezept für Kekse. „Einmal sind die ganzen Familien, die dort gewohnt haben, aufgelistet, und zwar so, wie die Mutter sie bezeichnet hat. Da gab es keine Vornamen, sondern das war die Frau Koller, das war die Frau Aschauer und die Frau Georgy. Das war damals so in der Generation, dass man per Sie war, obwohl man seit Jahrzehnten mehr oder weniger Tür an Tür gelebt hat.“
Buchtipp
„Triesterstraße 84/VII“ von Martin Behr ist bei Matthey & Melchior erschienen und kostet 39,90 Euro
Mehr als eine Hommage an die Mutter
Für Martin Behr ist sein Fotobuch aber nicht nur eine Hommage an seine Mutter: „Ich glaube auch, dass das so ein pars pro toto ist, für die Wohnung eines älteren Menschen, der allein lebt und sich selbst diese Wohnung möglichst schön einrichten möchte. Also mir ist immer vorgekommen, das ist so eine Art Miniparadies, wo alles irgendwie funktioniert. Es sind sehr, sehr viele Stillleben, und mit der langen Beschäftigung bin ich draufgekommen, die künden eigentlich von der Vergänglichkeit. Möglicherweise habe ich mich auch über dieses jahrelange Fotografieren ein bisschen von der Wohnung und damit auch von der Mutter verabschieden wollen.“