Folgenlose Hetze gegen KZ-Überlebende

Ein von der Staatsanwaltschaft Graz eingestelltes Verfahren aufgrund des NS-Verbotsgesetzes sorgt für Aufregung. In einem Artikel in der Zeitschrift „Aula“ wurden Mauthausen-Befreite als „Landplage“ und „Kriminelle“ bezeichnet.

Der „Aula“-Artikel erschien in der Ausgabe Juli/August 2015 unter dem Titel „Mauthausen-Befreite als Massenmörder“; darin werden sie auch als „Landplage“ und „Kriminelle“ bezeichnet. Der Grüne Nationalratsabgeordnete Harald Walser erstattete dagegen Anzeige aufgrund des NS-Verbotsgesetzes, dieses Ermittlungsverfahren wurde allerdings von der Staatsanwaltschaft Graz eingestellt.

„Belästigung nachvollziehbar“

Vor allem die Begründung der Einstellung sorgte für Empörung: Darin steht, es sei „nachvollziehbar, dass die Freilassung mehrerer tausend Menschen aus dem Konzentrationslager Mauthausen eine Belästigung für die betroffenen Gebiete Österreichs darstellte“. Es gebe in der Literatur Hinweise auf strafbare Handlungen: „Dies ist auch nach der allgemeinen Lebenserfahrung nachvollziehbar, da sich unter den Inhaftierten (unbestritten) Rechtsbrecher befanden.“

„Abscheuliche Täter-Opfer-Umkehr“

Walser zeigte sich davon erschüttert, richtete eine parlamentarische Anfrage an Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) und forderte Konsequenzen. Es werde „in skandalöser Weise indirekt die NS-Judikatur fortgeschrieben“, empörte er sich. Die Staatsanwaltschaft übernehme „ungeniert die Täter-Opfer-Umkehr des Autors“ des Artikels; außerdem habe sich die Autorin des in dem Artikel vorgeblich behandelten Buchs („Werwölfe im Waldviertel“ von Ilse Krumpöck) aufs Schärfste von der Besprechung distanziert.

Ähnlich reagierte am Montag der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch: Dass nicht die Täter, sondern die wenigen überlebenden Opfer als „Massenmörder“ bezeichnet wurden, sei eine „abscheuliche Täter-Opfer-Umkehr“. Mit der Einstellungsbegründung „erteilt die Staatsanwaltschaft der Nazi-Logik einen Persilschein - und das ist brandgefährlich“, so Deutsch, der vom Justizministerium eine Überprüfung des Falls forderte.

Justizministerium: „Begründung unfassbar“

Dort zeigte man sich höchst unglücklich: „Diese Begründung ist unfassbar und in sich menschenverachtend“, sagte Strafrechtssektionschef Christian Pilnacek; die „unsägliche Diktion“ des Artikels sei damit nachträglich gerechtfertigt worden. Das Ministerium und auch die Oberstaatsanwaltschaft Graz können dennoch nicht tätig werden, denn gemäß der geltenden Rechtslage sei man nicht vorab über die Entscheidung informiert worden - nur der Rechtsschutzbeauftragte des Ministeriums könne jetzt eine Wiederaufnahme des Verfahrens veranlassen.

Keine Fortführung des Verfahrens

Dieser, Gottfried Strasser, versteht die Aufregung nicht: Die Frist sei bereits verstrichen, das Verfahren werde nicht fortgeführt, und er habe ohnehin keinen Anlass für einen solchen Antrag gesehen; auch die breit kritisierte Begründung der Einstellung ist aus seiner Sicht unbedenklich. Eine Tendenz zur Propagierung von NS-Zielen sei dem Artikel „Mauthausen-Befreite als Massenmörder“ jedenfalls nicht zu entnehmen gewesen, meinte Strasser, auch wenn die „Aula“ aus einer Ecke kommen möge, „wo das Gift des Nationalsozialismus noch immer drin ist“.

Dass es im KZ auch inhaftierte Rechtsbrecher gegeben habe, sei ein historisches Faktum und auch durch Aussagen in Gerichtsverfahren zu Mauthausen bestätigt. Strasser verwies dabei auch auf Erlebnisse aus seiner Kindheit, die er im Umfeld des KZ Mauthausen verbrachte, eine Beeinflussung seiner Entscheidung durch diese persönlichen Erlebnisse kann er aber nicht erkennen: „Nein, ich sehe mich nicht befangen“, betonte er, „aber ich weiß, dass es so war“.

Sektionschef: „Grobe Fehlleistung“

Für Strafrechtssektionschef Christian Pilnacek müsse es allerdings jedenfalls Konsequenzen geben. Er vermute eine Verletzung des Vier-Augen-Prinzips und sprach von einer „groben Fehlleistung“: „Die Staatsanwaltschaft, wir alle müssen dafür sorgen, dass solche fehlgeleiteten Begründungen nicht mehr passieren.“

Grüne werden erneut Anzeige erstatten

Walser zeigte sich erfreut über die Distanzierung des Justizministeriums. Mit „Kopfschütteln bis Entsetzen“ reagierte er hingegen gegenüber der APA auf die Argumentation des Rechtsschutzbeauftragten. Die Grünen wollen erneut Anzeige erstatten und erhoffen sich zumindest eine sachgerechte Begründung der Abweisung.

„Wenn diese Einstellungsbegründung aufrecht bleibt, ist zu befürchten, dass sie unter Rechtsextremen und Neonazis als Rechtfertigung für die weitere Verbreitung einer revisionistischen Geschichtsauffassung dient.“ Dass Strasser die Begründung der Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft für unbedenklich hält und dabei mit Kindheitserinnerungen und seiner Großmutter argumentiere, sei nicht akzeptabel, so Walser. „Es ist dies ein weiteres Beispiel für fehlende Sensibilität im Justizapparat“.

Über die dazu in Opposition stehenden Aussagen von Pilnacek freute sich Walser hingegen. „Eine derart deutliche und scharfe Kritik am Fehlverhalten der eigenen Behörde, der Staatsanwaltschaft Graz, ist nicht alltäglich.“ Er sah dadurch aber Fragen über die Ursachen eines offensichtlichen Systemversagens aufgeworfen.

„Befremden“ bei Oberstaatsanwaltschaft

Auch in der Oberstaatsanwaltschaft Graz gab es wenig Verständnis für die Einstellungsbegründung, berichtete der Online-„Standard“. Man habe Anfang Dezember von der Einstellung erfahren und nach dem Einholen und Prüfen des Aktes schließlich Ende Dezember der StA Graz „im Erlassweg unser Befremden mitgeteilt“, sagte deren Sprecher Reinhard Kloibhofer. Disziplinarrechtlich wolle man nichts unternehmen, „wir haben aber den Wunsch nach mehr Sensibilität geäußert“.

Ermittlungsverfahren wegen Wiederbetätigung oder Verhetzung seien grundsätzlich nur dann vorab berichtspflichtig, wenn sie von besonderer Relevanz für die Öffentlichkeit sind - beispielsweise dann, wenn ein Politiker im Zentrum der Ermittlungen steht. „Man hätte auch hier den Zugang vertreten können, dass es sich um einen solchen Fall handelt“, sagt Kloibhofer. Die Einschätzung, was als sogenannter clamoroser Fall gilt und was nicht, sei aber immer eine subjektive.