IS-Prozess gegen Ehepaare fortgesetzt

Am Mittwoch ist in Graz der Prozess gegen zwei Ehepaare fortgesetzt worden. Ihnen werden u.a. die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung sowie das Quälen und Vernachlässigen Unmündiger vorgeworfen.

Insgesamt sind sogar drei Ehepaare angeklagt - ein Ehepaar befindet sich aber in Bosnien in Haft - mehr dazu auch in IS-Prozess gegen drei Ehepaare eröffnet (17.5.2017). Den tatsächlich in Graz vor Gericht stehenden Angeklagten wird vorgeworfen, vor drei Jahren mit ihren acht Kindern nach Syrien gegangen zu sein, um dort die Terrormiliz Islamischer Staat zu unterstützen.

Zu diesem Zeitpunkt war der vom IS als einzig wahrer ausgerufene Islamische Staat als Kalifat gerade mal ein halbes Jahr alt. Anfang 2016 waren die Paare dann wieder geflüchtet; zuvor seien aber auch die Kinder IS-Gewaltpropaganda ausgesetzt worden, so die Staatsanwaltschaft.

Frau fühlt sich in allen Punkten schuldig

Am ersten Verhandlungstag - dem Montag - war nur eine der beiden Frauen befragt worden. Sie fühlte sich - als einzige der vier Angeklagten - in allen Punkten schuldig - mehr dazu in IS-Prozess gegen drei Ehepaare eröffnet (17.5.2017)

„Ich liebe alles, was mit dem Islam zu tun hat“

Am Mittwoch sagte nun die andere Frau aus. Sie und ihr Mann haben fünf Kinder und lebten in der Weststeiermark. Zuletzt schilderte die 39-Jährige, dass sie dort immer wieder angegriffen und beleidigt wurde, meist wegen ihres Kopftuches bzw. ihres Nikab. Sie selbst ist in Österreich geboren und erst wegen ihres Lebensgefährten zum Islam übergetreten: „Ich liebe alles, was mit dem Islam zu tun hat. Ich habe ihn durch meinen Mann nur von der schönsten Seite kennengelernt“, zeigte sie sich nach wie vor begeistert.

„Ich habe gedacht, Syrien ist schön“

Die ganze Familie ging im Dezember 2014 nach Syrien, und dort holte sie die Realität sehr schnell ein: Der Mann musste eine Ausbildung machen, die Frau blieb mit den Kindern in der vom IS zugeteilten Wohnung meist allein; gelebt hat sie nach eigenen Angaben von jenem Geld, das sie aus Österreich mitgebracht hatte.

Womit sie selbst nicht gerechnet hatte, war, dass die Kinder - das kleinste war erst zwei Jahre - auf Schritt und Tritt mit den Gräuelvideos des IS konfrontiert waren, die in der Stadt auf großen Leinwänden dauernd gezeigt wurden - das habe sie nicht gewusst, wie so vieles andere nicht: „Ich habe gedacht, Syrien ist schön, und Gott wird helfen, wenn man hinuntergeht“, erklärte sie. Politisch habe sie „so gut wie nichts verfolgt“, sie war der Überzeugung, „Böses passiert Gläubigen nicht“.

Der Richter wollte wissen, wie die Kinder auf die brutalen Videos reagiert hatten: „Unterschiedlich, von grauslich bis cool“, antwortete die 39-Jährige. Es seien auch Filme von „Sportübungen“ dabei gewesen, und das hätte den Kindern eben gefallen, versuchte sie zu erklären. Ihr Partner hatte vom IS eine Kalaschnikow bekommen, aber das fand sie ganz normal: „Das hat jeder gehabt“. Sie reinigte die Waffe mitunter, und einmal fuhr er mit ihr zum Übungsschießen. Dass er tatsächlich gekämpft hat, schloss sie aus, wenn auch nur „vom Gefühl her“.

„Nichts gemacht“ im IS-Trainingscamp

Ihr Mann musste sich am zweiten Verhandlungstag - am Dienstag - als Hauptangeklagter auch wegen versuchten Mordes als terroristische Straftat verantworten, weil er als Scharfschütze gekämpft und zumindest einen Gegner schwer verletzt haben soll. Der Bosnier gab jedoch an, nie Mitglied bei der Terrororganisation gewesen zu sein: Im Trainingscamp habe er „gar nichts“ gemacht, rechtfertigte er sich.

„Bin blind gemacht worden“

Zuvor hatte der Mann rund 20 Jahre in Österreich gelebt und 2005 auch die Staatsbürgerschaft erhalten; 2010 hielt er sich dann immer häufiger im Taqwa-Glaubensverein in Graz auf. Dort sei er „blind gemacht worden“, beschrieb er es vor Gericht.

Als ihn ein Freund aus Syrien anrief und ihm das Kriegsland in den schönsten Farben ausmalte, lag der 38-Jährige Österreicher bosnischer Herkunft gerade in der Badewanne - und fällte den Entschluss für die Reise nach Syrien. Haus und Auto werden verkauft, der Hund verschenkt.

„Ich wollte mir das anschauen“, erklärte der Angeklagte am Dienstag. Er plante „zehn bis zwölf“ Tage zu bleiben. „Wie ein Urlaub also?“, so der Richter. „Ja, so etwas Ähnliches“. „Verkaufen Sie jedes Mal vor jedem Urlaub ihr Auto?“, interessierte den beisitzenden Richter, was der Befragte dann verneinte.

Mögliche Tötungsabsicht

Nach der Ausbildung kam der Mann, der in der bosnischen Armee ausgebildet worden ist, jedoch nicht nach Hause, sondern in eine militärische Einheit des IS.
Laut Anklage war er dort Ausbilder und Scharfschütze. Ein Kind sagt daraufhin aus, er habe auf einen Mann geschossen - in Tötungsabsicht.

Nein, so der Angeklagte am Mittwoch: Er habe nie auf einen Menschen geschossen, er habe in der Einheit, die „Einheit des Todes“ geheißen habe, lediglich trainiert, gekämpft habe er nie. Waffen habe er freilich besessen, wie jeder Mann dort. Schußübungen mit seiner Frau und einem Sohn, damals acht Jahre, habe er gemacht, aber nur, damit diese sich hätten schützen können.

„Haben Sie den Kindern Gräuel-Videos gezeigt?“, fragten die Richter unter anderem. Die Geschworenen hörten dann einige Antwort-Varianten: „Ich habe sie nie gezwungen, sie anzuschauen.“ Er bereue, die Kinder dem ausgesetzt zu haben, so der Angeklagte. Er habe einen Riesenfehler gemacht, habe falschen Geschichten geglaubt.

Sozialleistungen nehmen, alles andere ablehnen

„In der Moschee habe ich gehört, in Syrien kann ich nach dem Islam leben, es gibt Freiheit für die Frau und die Kinder“, versuchte er eine neue Erklärung. „Was hat man in der Moschee über Österreich gesagt?“, fragte der Vorsitzende. Der Beschuldigte blieb vage: „So und so“. Dann gab er an, in der Moschee habe man ihm gesagt, die Sozialleistungen solle er nehmen, alles andere müsse er aber ablehnen.

Angeklagte lachen

Auch im IS habe sich der Mann dann - trotz Treueeids - nicht gesehen: „Aber sie haben vom IS einen Job, eine Wohnung und ein Auto bekommen“, führte der Richter an. „Stimmt, aber ich war nicht Mitglied der Organisation“, verantwortete sich der Befragte. Einmal unterbrach der Richter, weil die Angeklagten immer wieder lachen: „Es tut mir leid, mir geht viel durch den Kopf, was wir durchmachen mussten“, meint der Hauptangeklagte. „Und dazu lachen sie?“, lautet die rhetorische Frage des Richters.

Sachverständiger am Wort

Am zweiten Verhandlungstag war auch der Islamwissenschaftler und Berater der deutschen Bundesregierung, Guido Steinberg, am Wort: In zwei Gutachten beschäftigt er sich unter anderem mit der Scharia-Ausbildung und den Scharfschützen im IS. Demnach sei die Einreise nach Syrien und der Beitritt beim IS für Muslime aus anderen Ländern ohne „Empfehlungsgeber“ nicht möglich. Es erfolgen strenge Kontrollen, ein Registrierungsbogen wird ausgefüllt, erst dann beginne die religiöse und die militärische Ausbildung. Das Ganze endet mit dem Gefolgschaftseid, der die Kämpfer für einige Zeit an den IS bindet.

Das Training der Kinder beginne bereits mit sechs Jahren, wenn sie „mit Spielzeugwaffen hantieren“, so der Sachverständige; ab zwölf Jahren starte dann die richtige Ausbildung. Die Rückkehr sei „gefährlich, es ist für die Männer ja eine Desertion“, so Steinberg. Scharfschützen seien für den IS besonders wichtig, nachdem aufgrund der gegnerischen Luftwaffe kaum noch schweres Gerät eingesetzt werden könne, führte der Gutachter aus.

„Wenn es zu arg ist, gehe ich raus“

Als der Richter am Dienstag angekündigt hatte, einige IS-Videos zu zeigen, erklärte ein Pflichtverteidiger: „Wenn es zu arg wird, gehe ich raus.“ Er werde sich gegebenenfalls von einem Praktikanten vertreten lassen. „Und diese Videos haben die Kinder der Angeklagten sehen müssen“, so der Staatsanwalt am Dienstag. Am Donnerstag werden die Videos von den Vernehmungen der Kinder gezeigt, die den Mann belasten.