Arzt vor Gericht: „Das ist kein Mensch“

In Graz wurde am Freitag der Prozess gegen einen oststeirischen Arzt fortgesetzt, der jahrelang seine vier Kinder gequält und bedroht haben soll. Eine Tochter sagte vor Gericht: „Das ist kein Mensch“, der Sohn: „Er gehört ins Gefängnis“.

Der Prozess begann im Jänner und hatte für großes Aufsehen gesorgt - mehr dazu in Die eigenen Kinder gequält? Arzt vor Gericht (13.1.2017).

Von Ärzteliste gestrichen

Gegen den Arzt wurde auch ein Berufsverbot verhängt, im September wurde er von der Ärzteliste gestrichen - mehr dazu in Oststeirischer Arzt von Ärzteliste gestrichen (8.9.2017)

Anklage: „Schwere psychische Leiden“

Angeklagt ist ein oststeirischer Arzt, der in seiner Gemeinde bei den Patienten recht beliebt ist. Innerhalb seiner Familie soll sich allerdings ein anderes Bild geboten haben: Laut Staatsanwalt soll er seinen mittlerweile erwachsenen Kindern „jahrelang schwere psychische Leiden“ zugefügt haben.

Mit Selbstmorddrohungen soll er sie ständig unter Druck gesetzt haben, außerdem verletzte er sich selbst, was er auch nicht leugnete: Von einem damals zehnjährigen Buben etwa verlangte er, ihm eine intravenöse Spritze zu verabreichen, was für das Kind offenbar ein traumatisches Ereignis war.

Angeklagter: „Stand unter großem Druck“

Der Angeklagte - Bruder eines Spitzenpolitikers - erklärte im Jänner, er sei „unter großem Druck“ gestanden, weil er so viel arbeiten und den Haushalt versorgen musste; die von seiner Frau erhobenen Anschuldigungen seien falsch und nur durch ihre Eifersucht begründet. Um etwas klarer zu sehen, gab der Richter ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag - mehr dazu in Kinder misshandelt? Prozessfortsetzung im Herbst (27.7.2017): Demnach wurde er als zurechnungsfähig eingestuft.

Mutter als Zeugin gehört

Am Freitagnachmittag wurde die Mutter als Zeugin gehört: Sie gab an, sie habe erst ein Jahr nach der Scheidung vom ganzen Ausmaß der Ereignisse erfahren: „Wie es den Kindern gegangen ist, habe ich erst nach der Scheidung erfahren. Sie haben erst da begonnen, ohne Ende zu erzählen.“

Zwei ihrer Kinder „haben ihn nicht gemocht“, erzählte sie. „Er konnte sehr abwertend sein“, schilderte sie. Wenn die dritte Tochter - die er am meisten gequält hatte - zu ihm gesagt hat: „Papa, ich liebe dich“, antwortete er laut Ex-Frau: „Ich mich auch.“

Tochter: Manipulator und Sadist

Die Befragung der vier Kinder des Arztes fand in einem abgesonderten Raum statt und dauerte sechs Stunden. Die älteste Tochter, heute 29 Jahre alt, sagte am Freitag vor Gericht, dass ihre Teenagerzeit „eine Katastrophe“ gewesen sei. Ihre Kindheit sei nur deswegen schön gewesen, weil der Vater nie dagewesen sei. Vor Gericht bezeichnete sie ihn als Manipulator, Sadist und abartige Person.

Jüngere Tochter schilderte unter Tränen

Die um ein Jahr jüngere Schwester erinnerte sich unter Tränen wie ihr Vater plötzlich aufspringt und ankündigt, sich zu erschießen, wie sie ihm nachläuft und sieht, wie er sich eine Waffe an die Schläfe hält. Wie sie als damals 8-Jährige fleht: Bitte Papa, bitte tu es nicht. Psychische Vergewaltigung sei das gewesen, sagte die Frau vor Gericht dazu und bekam während der Vernehmung einen Weinkrampf.

Die dritte Schwester, die vor kurzem ihren 23. Geburtstag gefeiert hat, erinnerte sich vor Gericht, wie sie von ihrem Vater ständig erniedrigt wird oder wie nach einer weiteren Selbstmord-Drohung Polizeibeamte ins Haus kommen und sie nur gehofft habe, „dass sie ihn endlich mitnehmen“.

Verschimmeltes Brot und Spritz-Versuche

Und da ist das jüngste der Geschwister, der einzige Sohn, heute 19. Er berichtete ebenfalls unter Tränen, wie er und seine Schwestern verschimmeltes Brot hatten essen müssen, das der Vater aus dem Biomüll geholt hat. Wie er immer wieder geschlagen und gewürgt worden sei. Wie er im Alter von zehn Jahren gezwungen worden sei, dem Vater Schmerzmittel zu spritzen - und beim beim ersten Mal zehn Versuche dafür gebraucht habe, bis er eine Vene getroffen habe. Der Vater habe ihn als Verräter und schlechten Sohn beschimpft, als er sich geweigert habe, schilderte der Sohn.

Sohn: „Er muss ins Gefängnis“

„Ich würde ihn nicht als Menschen bezeichnen“, sagte der Sohn, und weiter: „Der Vater ist ein Sadist, der meine gesamte Kindheit zerstört hat. Er muss ins Gefängnis, damit es keine weiteren Opfer gibt.“

Kinder bis heute in Behandlung

Dass die Kinder noch heute unter dem Erlebten leiden, kommt wenig überraschend. Sie berichteten von Albträumen, Konzentrationsschwierigkeiten und depressiven Phasen, benötigen zum Teil Schlafmittel und befinden sich in psychotherapeutischer Behandlung.

Tochter: „Hatte immer so einen vernichtenden Blick“

Freitagvormittag hatten die Befragungen der Kinder begonnen. Eine der Töchter gab dabei auch an, Selbstmorddrohungen seien „ganz normal“ gewesen. „Das war immer wieder, wenn die Mama sich scheiden lassen wollte“, aber auch, wenn eines der Kinder sein Essen nicht ganz aufgegessen hatte. „Er hat gesagt, ihr seid so gemein, ich bring’ mich um“, schilderte die Zeugin den häuslichen Alltag.

„Eine abartige Person“

Ihr Vater habe immer „so einen vernichtenden Blick gehabt, das war so schlimm für mich, ich habe ihm die letzten Jahre gar nicht mehr in die Augen geschaut“. Abfällige Bemerkungen wie „Du bist zu dick“ oder „Aus dir wird nie etwas“ seien ebenfalls dauernd gefallen, was sich auf ihr Selbstwertgefühl ausgewirkt habe: So habe sie erst mit 24 den ersten Freund gehabt, weil sie sich so hässlich gefühlt habe. Noch heute leide die mittlerweile 29-Jährige unter der „katastrophalen Teenagerzeit“, wie sie sagte - sie habe Albträume, Flashbacks und Konzentrationsschwierigkeiten und müsse Anti-Depressiva nehmen. Bei der Frage, wie sie ihren Vater beschreiben würde, brach sie in Tränen aus: Er sei ein Manipulator, ein Sadist, eine abartige Person.

„Das ist kein Mensch“

Auch die zweite Tochter schilderte schluchzend, wie ihr Vater immer wieder angekündigt hat, „sich jetzt zu erschießen“, und das aus nichtigen Anlässen. Sie erinnerte sich etwa, wie die Mutter einmal die Polizei gerufen habe: „Ich habe geweint und nur gehofft, dass sie ihn endlich einmal mitnehmen“, so die Tochter.

Die Tochter hat vom Vater - den sie wie auch ihre Geschwister nur beim Vornamen nannte - sechs Jahre lag Morphium bekommen, mit 18 hatte sie Entzugserscheinungen. Auch Schlaftabletten bekam sie, davon habe sie „Halluzinationen bekommen.“ Auf die Frage, wie sie ihren Vater als Mensch beschreiben würde, sagte das Mädchen unter heftigem Weinen: „Nein, das ist kein Mensch“.

Ex-Freundin: „Hatte Angst, dass er mich aufschlitzt“

Als Zeugin wurde auch eine Ex-Freundin des Arztes - eine Schulkollegin der ältesten Tochter - befragt. Sie beschrieb, dass er ihr immer Cannabis gab und verlangt habe, sie solle es rauchen. „Er hat gesagt, ich muss ihm grenzenlos vertrauen, sonst muss er sich wieder verletzen.“ Er sei immer abartiger geworden und habe sie auch zum gemeinsamen Selbstmord überreden wollen. „Für mich ist er ein extrem manipulativer Psychopath“, so die Zeugin – die Beziehung habe sie schließlich beendet, aus Angst, er würde sie „aufschlitzen“.

Ihrer Aussage nach gab er auch seinen Patienten Joints „gegen Depressionen“. Sie selbst sei immer wieder suizidgefährdet, gerettet habe sie die Ex-Frau des Arztes, mit der sie mittlerweile ein sehr gutes Verhältnis habe. Dass er eine Schusswaffe hatte, bestätigte die Zeugin auch: Diese habe er sich aus Angst vor seiner Frau gekauft, hatte er seiner damaligen Freundin erzählt.

Angeklagter: „So viele Aussagen, die nicht stimmen“

Der Angeklagte verfolgte die Aussagen nach außen hin ruhig, meist mit gesenktem Kopf, zwischendurch schüttelte er ihn: „Da sind so viele Aussagen, die nicht stimmen. Ich habe keine Waffen und keine Drogen.“ Er besprach sich kurz mit seiner Anwältin und hörte seine Kinder – auf den Bildschirm blickte er aber nicht.

Die Anwältin der Familie scheiterte unterdessen mit dem Versuch, ein neues psychiatrisches Gutachten erstellen zu lassen - sie zweifelt die vorliegende Expertise an, die dem Angeklagten Zurechnungsfähigkeit bescheinigt; der Richter lehnte den Antrag aber umgehend ab. Ob es tatsächlich noch am Freitag ein Urteil geben wird, lässt sich noch nicht abschätzen.