Wahl 17: Wer hat wen warum gewählt

Das vorläufige Ergebnis der Nationalratswahl bringt neue Machtverhältnisse. Eine Analyse der FH Joanneum auf Gemeindeebene zeigt auf, wer in den Gemeinden was gewählt hat - und auch warum.

Die Nationalratswahl am Sonntag ordnete die österreichische Politlandschaft neu: die ÖVP klar voran, die SPÖ auf Platz zwei, die FPÖ auf Platz drei. Die Steiermark liegt (fast) im Bundestrend - mehr dazu in ÖVP in der Steiermark auf Platz eins und in Ein Wahlsieg wie aus dem Lehrbuch (news.ORF.at).

Die Volkspartei ist in der Steiermark zum ersten Mal seit langem bei einer Nationalratswahl wieder die Nummer eins. Sehr viele Stimmen kamen von Team Stronach und BZÖ, wie die Wählerstromanalyse zeigt - mehr dazu in Wo ÖVP und FPÖ ihre Stimmen holten.

Im Auftrag des ORF Steiermark führte das Institut Journalismus und Public Relations (PR) der FH Joanneum eine Spezialstudie auf Gemeindeebene durch. Dabei werteten Studierende des Jahrgangs JPR16 unter der Projektleitung von Heinz Wassermann insgesamt 14.637 Daten aus und kamen dabei auf durchwegs interessante Ergebnisse.

Migranten sind nicht gleich Flüchtlinge

ORF Steiermark: Migranten und Integration war eines der beherrschenden Themen im Wahlkampf. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Prozentanteil an Migranten in einer Gemeinde und dem Wahlergebnis?

Heinz Wassermann: Je höher der Migrantenanteil in einer Gemeinde ist, desto besser fallen die Gesamtergebnisse für SPÖ, Grüne, NEOS und Liste Pilz aus. Für die Volkspartei ist der gegenteilige Zusammenhang festzustellen, für die FPÖ ist diesbezüglich kein Zusammenhang feststellbar.

ORF Steiermark: Gibt es vielleicht einen Zusammenhang zwischen dem prozentuellen Anteil an Flüchtlingen in einer Gemeinde und dem Wahlergebnis?

Wassermann: Außer für die Volkspartei lässt sich hier für keine Partei ein Zusammenhang feststellen. Allerdings: Je mehr Flüchtlinge in einer Gemeinde sind, desto besser fällt das jeweilige Ergebnis der ÖVP aus.

Hier holte die ÖVP ihre Stimmen

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Hier holte die ÖVP Ihre Stimmen

Zu- und Abwanderung

ORF Steiermark: In vielen Gemeinden wurde in den letzten Jahren die Infrastruktur zunehmend ausgedünnt, etwa durch die Schließung von Schulen oder von Postämtern. Wurde hier anders gewählt?

Wassermann: In Gemeinden, in denen Schulen geschlossen wurden, schneiden NEOS und die Liste Pilz besser ab als in Gemeinden ohne Schulschließungen, für die übrigen Parteien sind keine Zusammenhänge feststellbar. Die Schließung von Postämtern zeigt überhaupt keine Zusammenhänge. Dieses Ergebnis war wirklich sehr, sehr überraschend. Bei den Landtagswahlen haben wir diese Effekte wesentlich stärker gehabt - dass zum Beispiel Postamtsschließungen, Schließungen von Polizeiposten, Bezirksgerichten oder Veränderungen in der Krankenhauslandschaft ganz massive Auswirkungen auf die Wahlergebnisse, vor allem auf die Ergebnisse von SPÖ und ÖVP gehabt haben.

ORF Steiermark: Unterscheidet sich das Wahlergebnis zwischen Zuwanderungs- und Abwanderungsgemeinden?

Wassermann: Die SPÖ schneidet in Abwanderungsgemeinden besser ab als in Zuwanderungsgemeinden, bei Grünen, NEOS und der Liste Pilz ist es umgekehrt. Für ÖVP und FPÖ spielen Zu- oder Abwanderung für das Ergebnis auf Gemeindeebene keine Rolle.

Hier holte die SPÖ ihre Stimmen

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Hier holte die SPÖ ihre Stimmen

Männer wählen ÖVP

ORF Steiermark: Spiegelt sich ein Frauen- bzw. Männerüberschuss in Gemeinden im Wahlergebnis wider?

Wassermann: Ja, in Gemeinden mit einem mehr an Männern fällt das Ergebnis für die Volkspartei wesentlich besser aus. Spiegelverkehrt sind die Gemeindeergebnisse für Sozialdemokraten, Grüne, NEOS und die Liste Pilz.

Je höher die Bildung, desto „linker“ das Ergebnis

ORF Steiermark: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Arbeitslosenquote in einer Gemeinde und dem Wahlergebnis?

Wassermann: Je höher die Arbeitslosenquote auf Gemeindeebene ist, desto besser schneiden Sozialdemokraten und die Liste Pilz ab, auch für Freiheitliche und Grüne bedeutet eine höhere Arbeitslosenquote bessere kommunale Ergebnisse. Für die ÖVP gilt dagegen: Je höher die Arbeitslosigkeit, desto schlechter ihr Gemeindeergebnis.

Hier holte die FPÖ ihre Stimmen

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Hier holte die FPÖ ihre Stimmen

ORF Steiermark: Und wie sieht es mit den Bildungsabschlüssen aus?

Wassermann: Je höher der Anteil an Pflichtschulabsolventen in einer Gemeinde ist, desto besser das Ergebnis von FPÖ und ÖVP. Je höher der Anteil an Personen mit einem Lehrabschluss ist, desto besser fällt das Ergebnis für Sozialdemokraten und Freiheitliche aus. Und je höher der Maturantenanteil in einer Gemeinde ist, desto besser sind die Wahlergebnisse für SPÖ und die Liste Pilz und desto schlechter jene der ÖVP und FPÖ. Schließlich noch: Mit zunehmendem Anteil an Hochschulabsolventen steigen auch die Ergebnisse von Grünen, NEOS und Liste Pilz - bei der Volkspartei und den Freiheitlichen verhält es sich im Verhältnis genau umgekehrt.

Hier holten die Grünen ihre Stimmen

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Hier holten die Grünen ihre Stimmen

Hier holte NEOS ihre Stimmen

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Hier holte NEOS seine Stimmen

Arbeitgeber - Arbeitnehmer

ORF Steiermark: Die ÖVP gilt als Partei der Bauern und der Wirtschaft, die SPÖ, aber auch die FPÖ als jene der Arbeiter. Gibt es auf Gemeindeebene Zusammenhänge zwischen der prozentuellen Verteilung der drei Sektoren Land- und Forstwirtschaft, Gewerbe, Industrie und Handwerk sowie Dienstleistungen und dem Wahlergebnis?

Wassermann: Je höher der Anteil an Land- und Forstwirten in einer Gemeinde ist, desto besser ist - wenig überraschend - das Ergebnis der ÖVP - bei SPÖ, Grünen, NEOS und der Liste Pilz verhält es sich genau gegenteilig. Umgekehrt: Je höher der Anteil an Beschäftigten in Gewerbe, Industrie und Handwerk in einer Gemeinde ist, desto besser schneiden Sozialdemokraten und Freiheitliche ab. Grüne, NEOS und die Liste Pilz schneiden am besten im Dienstleistungssektor ab - hier fällt das Wahlergebnis der Volkspartei vergleichsweise schlechter aus.

Hier holte die Liste Pilz ihre Stimmen

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Hier holte die Liste Pilz ihre Stimmen

ORF Steiermark: Gibt es denn auch Zusammenhänge zwischen Berufsposition (Arbeiter, Angestellte, Arbeitgeber, Selbstständige) und dem Wahlergebnis?

Wassermann: Je höher der Arbeiteranteil in einer Gemeinde ist, desto besser fällt das FPÖ-Ergebnis aus, und desto schlechter fällt es für Grüne, NEOS, die Liste Pilz und auch für die SPÖ aus. Aber auch je höher der Anteil an Angestellten in einer Gemeinde ist, desto besser fallen die Wahlergebnisse für FPÖ, aber auch von Grünen, NEOS und der Liste Pilz aus. Bei den Arbeitgebern ist die ÖVP stärker und die SPÖ schlechter, ebenso bei den Selbstständigen.

ÖVP und FPÖ profitierten von Wahlbeteiligung

ORF Steiermark: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Wahlbeteiligung und dem Wahlergebnis?

Wassermann: Je höher die Wahlbeteiligung ist, desto wesentlich besser fällt das Wahlergebnis der ÖVP und desto besser fällt das der FPÖ aus. Für SPÖ, Grüne, NEOS und die Liste Pilz gilt: Je höher die Wahlbeteiligung ist, desto wesentlich schlechter fallen deren Gemeindeergebnisse aus.

Im Großen und Ganzen hat die Steiermark ähnlich gewählt wie die gesamte Republik. Allerdings gibt es einige Abweichungen: Die Grünen sind schwächer als im österreichischen Gesamtergebnis, die Freiheitlichen dafür stärker. Wie erklären Sie sich das?

Wassermann: Da braucht man sich zum Beispiel nur die Ergebnisse der Bundespräsidentenwahl anschauen: Auch dort war das steirische FPÖ- Ergebnis wesentlich stärker als der Bundestrend. Und man darf nicht vergessen: Wir haben in der Konstellation der letzten steirischen Landtagswahlen de facto drei gleich starke Parteien. Das bedeutet: Die FPÖ hat einen sehr soliden, seit 2005 stark gewachsenen Sockel.

Grüne „Zielgruppenverfehlung“

ORF Steiermark: Was noch am steirischen Ergebnis auffällt, ist, dass die Grünen bundesweit schlecht abgeschnitten haben; in der Steiermark - vor allem in Graz - aber superschlecht. Warum?

Wassermann: Auch da zieht sich eine Tradition sowohl von den Gemeinderatswahlen als auch den Landtagswahlen her, speziell auch von der letzten Grazer Gemeinderatswahl, wo die Grünen, die ja eigentlich in Graz ein Biotop haben müssten, dieses einfach nicht erreichen. Das bedeutet schlicht und einfach: Die Grünen sind sowohl in den ländlichen als auch urbanen Regionen der Steiermark überdurchschnittlich schlecht aufgestellt und können die WählerInnen dort überdurchschnittlich schlecht abholen.

ORF Steiermark: Sind die Defizite der Grünen thematischer Natur oder struktureller oder personeller Art?

Wassermann: Es war die personelle Ausgangssituation unwahrscheinlich schwierig: Ulrike Lunacek mag eine honorige EU- Abgeordnete sein, aber sie ist keine Spitzenkandidatin, die die Massen mobilisieren kann. Thematisch hätte man das Thema Klimawandel besser in Bilder verpacken können. Das Einzige, was in meiner Erinnerung geblieben ist, war, dass Lunacek den Klimawandel auf das Thema Landwirtschaft hingebogen hat. Der landwirtschaftliche Sektor wählt aber sicher nicht Grüne. Das bedeutet, dass das eine Zielgruppenverfehlung war. Und ich glaube, ein weiterer Aspekt bei den Grünen ist, dass sie einem Teil der Wählerschaft als zu gouvernantenhaft vorkommen.

ORF Steiermark: Gesetzt den Fall, es gibt im Bund eine ÖVP-FPÖ-Regierung. Erwarten Sie dann Auswirkungen auf die Zukunftspartnerschaft in der Steiermark?

Wassermann: Von ÖVP-Seite her glaube ich nicht: Wenn man Hermann Schützenhöfer beobachtet, ist er in der Rolle seines Lebens angekommen. Er genießt die Funktion des Landeshauptmanns, also von ÖVP-Seite wird nichts kommen. Möglicherweise aber von der SPÖ, nicht aber wegen der Bundespolitik allein, sondern weil es über kurz oder lang dort zu personellen Diskussionen oder Veränderungen kommen könnte. Die SPÖ hat ja in der Steiermark alles andere als berauschend abgeschnitten. Dann könnte die steirische Zukunftspartnerschaft zunehmend auf tönernen Füßen stehen. Wobei auf Landesebene die SPÖ Gefahr läuft, fast schon in Josef Krainer- Manier von der ÖVP so umarmt zu werden, dass sie irgendwann Gefahr läuft, zu ersticken.

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