Arzturteil: Begründung macht Justiz fassungslos

Die Begründung des Freispruchs eines oststeirischen Arztes vom Vorwurf, seine Kinder gequält zu haben, sorgt für Diskussionen. In Justizkreisen herrscht zum Teil Fassungslosigkeit ob der Urteilsbegründung.

Der Richter zeigte beim Prozess und in seinem Urteil sehr viel Verständnis für den angeklagten Arzt und sehr wenig für dessen Ex-Frau und die Kinder - mehr dazu in Prozess wegen Misshandlung: Freispruch für Arzt (29.9.2017) und Kinder nach Arzt-Freispruch verzweifelt (3.10.2017). In der Urteilsbegründung machte der Richter dann gar kein Geheimnis daraus, was ihm an den Familienmitgliedern missfallen habe, etwa die Art, wie sie sich angezogen haben oder auch generell der Lebensstil der Ex-Frau - mehr dazu in Urteilsbegründung bewertete Optik der Zeugen.

„Unwürdige Sprache in der Form noch nie gelesen“

Die Vizepräsidentin der Vereinigung österreichischer Strafverteidiger, Alexia Stuefer, bezeichnete Passagen der Urteilsbegründung am Mittwoch als besorgniserregend: „Meines Erachtens ist diese Sprache der österreichischen Justiz nicht würdig. Das kann neutral formuliert werden, dass man einer Person Glaubwürdigkeit nicht schenkt, und das müsste nicht so überspitzt formuliert werden. Ich habe das in dieser Form auch noch nie gelesen.“

„Zusätzliche Traumatisierung denkbar“

„Ganz extrem“ nannte auch Udo Jesionek, ehemaliger Präsident des Jugendgerichtshofs und Präsident der Opferschutzeinrichtung Weißer Ring, die Begründung: „Das ist nicht üblich, die Zeugen fertig zu machen. Man muss in der Beweisführung natürlich darauf eingehen, aber darauf einzugehen, warum ein Kind zum Beispiel gepierct ist, ist ein völlig unnötiger Nebensatz. Ich kann mir vorstellen, dass die Opfer durch diese Prozessführung zusätzlich noch traumatisiert wurden.“

Zitate aus der Urteilsbegründung

Folgende Zuschreibungen für den Sohn, zwei Töchter und die Ex-Frau finden sich unter anderem in der Begründung:

„Er war der Hasserfüllteste und Bösartigste gegenüber dem Angeklagten, sie ist keinesfalls ein braver Engel, sie ist eher die Berechnende und Eiskalte. Die jämmerlichen Erklärungsversuche des Zeugen machen ebenso einen abgesprochenen Eindruck im Familienverband. Dass die Zeugin eine äußerst fordernde, besitzergreifende und impulsive Person ist, deckt sich mit den Angaben des Angeklagten.“

„Sprache überschreitet Grenzen“

Generell werde hier mit verletzender Sprache gearbeitet, sagte Alexia Stuefer: „Ausgeführt wird, die Personen neigen offensichtlich genetisch bedingt zu Übertreibungen - das ist eine Wortwahl, die meines Erachtens die Grenzen der zulässigen Beweiswürdigung überschreitet.“

„Falls diese Geschehnisse verfilmt würden“, so der Richter in seiner Urteilsbegründung weiter, „könnten sie als Seifenoper unter dem Titel ‚Verspäteter Rosenkrieg‘ mangels erhaltener finanzieller Zuwendungen tituliert werden“. Auch das sei mehr als unpassend, so Udo Jesionek: „Ich nehme doch an, dass die Staatsanwaltschaft eine Berufung macht, ich weiß es nicht, und dass sich die Instanz das beim Landesgericht ansieht - das wäre das Mindeste, würde ich sagen.“

Justiz sieht Handlungsbedarf

Handlungsbedarf bestehe auf jeden Fall, so Jesionek weiter; vielleicht sollte man in der Richterausbildung mehr Augenmerk auf die Sprache legen, ergänzte Alexia Stuefer.

Der Freispruch ist noch nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft will innerhalb von vier Wochen entscheiden, ob sie, wie nach der Urteilsverkündung bekanntgegeben, tatsächlich berufen wird - mehr dazu in Staatsanwaltschaft beruft gegen Arzt-Freispruch (2.10.2017); derzeit werde die Urteilsausfertigung genau geprüft.

Bereits kurz nach dem Freispruch gab es heftige Debatten und auch Kritik an der Entscheidung des Richters - mehr dazu in Arzt-Urteil: Justiz wehrt sich. (3.10.2017) und in Arzt-Freispruch: Kinder zeigen Richter an. (25.10.2017).