Vinzenz Stern: Jüngster Käsemeister des Landes

Seit über 400 Jahren wird der Aichsternhof von Generation zu Generation weitergegeben - Vinzenz Stern wird der Zwölfte sein, der den Hof übernimmt, und als jüngste Käsemeister Österreichs hat er seinen eigenen Platz gefunden.

In eckigen Ziffern erscheint die Zahl 6,61 auf dem Bildschirm des Messgeräts: Ein Sensor, der wie eine riesige Nadel aussieht, schwimmt in einem Becher mit warmer Milch und misst den pH-Wert. Vinzenz Stern notiert den Wert in einer Liste, dazu Datum und Uhrzeit - für die Behörden und für sich selbst, um die Herstellungsbedingungen jeder einzelnen Charge nachvollziehen zu können, und um die Ursache zu finden, wenn die Charge einmal anders schmeckt, als vom Meister erdacht.

Kein Chemiker, sondern Käsemeister

Vinzenz Stern ist kein Chemiker – auch wenn seine Arbeit so aussieht, wenn er in Labormantel und weißen Gummistiefeln in seiner Käserei steht, auch, wenn er beim Vermengen von Joghurt, Sauermilch und Buttermilch so genau arbeiten muss, um die Bakterienkultur zu bekommen, an der er so lange getüftelt hat.

Vinzenz Stern ist Milchtechnologe oder wie es der Einfachheit halber heißt: Käsemeister. Seit zehn Jahren ist Stern der jüngste Österreicher, der die Meisterprüfung zum Milchtechnologen abgelegt hat.

Käsemeister Vinzenz Stern, Camembert-Produktion

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Stern rührt den sogenannten Käsebruch, der später zu Camembert wird.

Sein Rohstoff wächst nicht im Reagenzglas, sondern auf den Feldern und Wiesen rund um den Aichsternhof in Rohrbach-Steinberg im Südwesten von Graz. Das Futter beeinflusst die Qualität der Milch und damit seine Arbeit. „Wenn ich die Milch von einem anderen Bauern hätte, würde mein Rezept nicht mehr funktionieren“, sagt Stern.

An zwei bis drei Tagen in der Woche verarbeitet er zwischen 200 und 250 Liter Milch zu Käse. Rund 537.000 Milchkühe wurden im Jahr 2016 in Österreich gehalten - rund 30 davon stehen im Stall von Vinzenz Stern, das entspricht der durchschnittlichen Stallgröße in Österreich. Etwa 88 Prozent der Rohmilch wird an Be- und Verarbeitungsbetriebe geliefert, nur 3,2 Prozent werden am oder ab Hof verarbeitet - wie bei Vinzenz Stern.

Käsemeister und Meisterkäse

Dunstschwaden ziehen zum offenen Fenster hinaus, die Luftfeuchtigkeit steigt stetig, Kondenswasser tropft von den kahlen, weißen Wänden. Der Käsemeister macht seinen Meisterkäse: den Camembert. Wenn die Milch, erwärmt und mit Bakterienkultur versetzt, einen pH-Wert von 6,61 erreicht hat, füllt Stern sie zum Rasten in eine Stahlwanne. Die Bakterien aus Joghurt, Sauermilch und Buttermilch sorgen dafür, dass der pH-Wert sinkt - je nach Käsesorte ist die Zusammensetzung unterschiedlich, wie genau, das verrät er nicht: „Das ist mein Betriebsgeheimnis“, sagt Stern, ein Mensch, dessen Lächeln man beim Reden hören kann.

„Versuche, jede Hürde zu nehmen“

Unzählige Stunden investierte der 30-Jährige in das Herumprobieren, Tüfteln und Mischen - nicht zuletzt das ist die Grundlage für die Erfolge, die Vinzenz Stern mit seinen Käsesorten bei Landes- und Bundesentscheiden erzielt hat.

Käsemeister Vinzenz Stern, Camembert-Produktion

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Er hatte nicht aufgehört zu probieren, bis er das perfekte Rezept gefunden hatte. „Wenn es dir keine Freude macht, dann ist das viel zu viel Arbeit. Dann wird dir auch nichts Gutes gelingen. Ich bin einfach so ein Typ, dass ich solange tu, bis ich mein Ziel erreicht habe. Da kann der Weg noch so steinig sein, werde ich versuchen, über die Hürden drüber zu hüpfen“, sagt der Käsemeister. Woher sein Ehrgeiz kommt, kann der 30-Jähirge nicht sagen - vielleicht sei ihm das in die Wiege gelegt worden, meint der stille, unnachgiebige Tüftler.

Vier Jahrhunderte Familiengeschichte

Die Käserei steht erst seit ein paar Jahren am Aichsternhof: modern, mit glänzenden Edelstahlbehältern und mehreren Reiferäumen, wo die Käselaibe ihren Geschmack entfalten - ein vollkommener Kontrast zu dem Gebäude wenige Meter gegenüber, dem Wohnhaus der Familie Stern, das mit den kleinen Fenstern und dem dunklen Holzaufbau typisch ist für die Weststeiermark.

Käsemeister Vinzenz Stern, Aichsternhof

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Der Aichsternhof

Seit dem Jahr 1706 steht es auf dem gemauerten Sockel und gibt seither den Stern-Generationen Heimat: Die Ahnentafel, die neben der Eckbank in der Stube hängt, zeigt Daten von noch früher. Bis ins 17. Jahrhundert reichen die Wurzeln von Vinzenz Stern.

Vinzenz Stern, der Zwölfte

„Ich werde der Zwölfte sein, der den Hof übernimmt“, sagt er und nennt doch einen Grund, der seinen unermüdlichen Ehrgeiz erklären könnte: Die Verantwortung für die Vergangenheit und die jahrhundertealte Familientradition und dass er sie aus Respekt vor den Vorfahren aufrechterhalten muss.

„Die meisten von ihnen haben gekämpft, dass alles gut weiter und aufwärts geht. Alleine deshalb ist es wichtig, dass der Hof weitergeführt wird“, sagt Stern. Schon als kleiner Bub sei ihm klar gewesen, dass er die Landwirtschaft fortführen werde, erinnert er. Wegzugehen, zu studieren, in eine eigene Wohnung zu ziehen, das sei für ihn nie in Frage gekommen.

„Käse hat mich angezipft“

Seine Eltern betrieben eine reine Milchwirtschaft, und Vinzenz Stern hatte sie übernehmen wollen: Demgemäß hatte er seine Abschlussarbeit in der Landwirtschaftsschule Alt-Grottenhof in Graz über Klauenpflege – „also die Fingernägel der Kühe“ – schreiben wollen. Sein Betreuer aber „verdonnerte“ Vinzenz Stern zu einem anderen Thema: Kreierung eines Markenkäses. „Das hat mich am Anfang angezipft, weil das so eine aufwendige Facharbeit ist und ich keinen Käse machen konnte“, erzählt der nunmehrige Käsefachmann.

Käsemeister Vinzenz Stern, Aichstern

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Vinzenz und sein Aichstern. Alle paar Tage muss der Käse mit einem feuchten Tuch abgewischt werden

Er arbeitete sich in das Handwerk der Käsekunst ein und entdeckte seine Freude und Passion für die Käserei. Seine ersten Versuche startete er in der Küche. „Da haben Mama und Oma keine Freude gehabt. Dann haben wir einen kleinen Raum hergerichtet, wo ich weiter probieren konnte“, sagt Stern. Das war vor 13 Jahren und aus den Versuchen für die Schule wurde der Aichstern, ein halbharter Schnittkäse mit mild-cremigem Geschmack.

In vier Monaten zum jüngsten Käsemeister

Zwar kannte er die grundlegenden Schritte, aber er wusste nicht, was beim Käsen wirklich passiert. So absolvierte Stern nach Abschluss der Landwirtschaftsschule eine Lehre an der Käserei- und Molkereifachschule in Rotholz in Tirol; zwei Jahre später meldete er sich für einen viermonatigen Intensiv-Meisterkurs an, wo er die Feinheiten des Käsemachens, die dazugehörige Chemie und Mikrobiologie lernte.

Käsemeister Vinzenz Stern im Hofladen

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Der Steirerpatron, die fünfte von neun Käsesorten

„Als ich vom Meisterkurs nach Hause gekommen bin, habe ich gewusst, mit meinen kleinen Kammerl komme ich nicht mehr weit“, erinnert sich Stern. Also wurde das „Kammerl“ weggerissen und die heutige Käserei gebaut.

Dort arbeite er meist alleine, sagt er, der in dem Gespräch oft über „wir“ und „uns“ spricht und damit seine Familie meint. Er sagt kaum „ich“, wenn es um seine Arbeit geht, außer er erzählt vom Herumtüfteln an seinen Käsesorten. Und auch hier spiegelt sich die Tradition wieder: Stern produziert den Käse auf althergebrachte Art und Weise, gleich wie vor 200 Jahren, ohne Stabilisatoren oder Konservierungsmittel.

Ehrlichkeit als Arbeitsphilosophie

Schließlich sagt der 30-Jährige noch einen interessanten Satz: „Natürlich gibt es bei uns auch Meinungsverschiedenheiten. Das muss es in jeder gesunden Gemeinschaft geben. Wenn nicht, dann läuft etwas schief oder einer sagt nicht die Wahrheit.“ Die Wahrheit scheint einen hohen Stellenwert für Vinzenz Stern zu haben – oder zumindest ihre Schwester, die Ehrlichkeit: Er wolle ehrliche Produkte herstellen, „auf der ehrlichen Linie bleiben“, sagt er über seine Arbeitsphilosophie.

Käsemeister Vinzenz Stern, Camembert

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Fast fertig: Der Camembert in Spezialform

Wie zur Untermauerung seiner Worte unterbricht ein Anruf die Arbeit des Käsemeisters: Ein Aktienmanager aus Luxemburg möchte seine Wertpapiere an den Mann bringen - jetzt sei ein ausgezeichneter Zeitpunkt, und sowieso sei die Firma sehr seriös. Stern erklärt dem Verkäufer am Telefon seine Lebens- und Geschäftsphilosophie.

Es darf auch einmal nicht funktionieren

Er wolle kein Geld mit irgendwelchen undurchsichtigen Geschäftsvorgängen verdienen. „Ich möchte meine Produkte direkt an die Kunden weitergeben. Wenn die Kunden eine Freude haben, dann gibt mir das viel zurück. Wenn ich die Kunden für mein Produkt begeistern kann, motiviert mich das wieder“, erklärt Stern. Es gehe ihm nicht um Gewinn. Wenn es halt einmal nicht so funktioniere, dann sei das auch in Ordnung, sagt er und bittet den Aktienmanager ihn nicht weiter zu belästigen. Er müsse jetzt weiterarbeiten, beschließt er das Telefongespräch.

Die Milch in der Stahlwanne ist zu einer puddingartigen Masse geworden. Vinzenz Stern teilt sie mit drei verschiedenen Käseharfen in zuckerwürfel-große Stücke. Mit einem Stahleimer schöpft er die noch süßlich schmeckenden Brocken in Herzformen. Zwei Wochen muss der Camembert lagern, bis er wieder zu Vinzenz Sterns großem Meisterstück wird, um im Hofladen verkauft zu werden. Jenes kreative Meisterstück, das Vinzenz Stern zu seinem anderen Meisterstück verholfen hat: den eigenständigen Platz in der Familiengeschichte zu behaupten.

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