Identitären-Prozess: Diskussion um Hetze

Im Grazer Straflandesgericht hat am Mittwoch der Prozess gegen 17 mutmaßliche Anhänger und Sympathisanten der „Identitären“ begonnen. Der Staatsanwalt sprach von Hetze, der Verteidiger von zulässiger Kritik.

Am ersten Prozesstag ermahnte der Staatsanwalt die Angeklagten fast: „Sie können sein, was Sie wollen, aber Sie dürfen in Österreich nicht hetzen.“ Der Verteidiger bezeichnete den Verhetzungsvorwurf als „völlig daneben“. Neben Verhetzung ging es um Vorwürfe der kriminellen Vereinigung, Sachbeschädigung und Nötigung.

Kritik an Anklage

Mit rund zehn Minuten Verspätung hatte der Prozess am Dienstag im Straflandesgericht Graz begonnen. Der Andrang war im Vergleich zu den Prozessen gegen Dschihadisten und den Amokfahrer mäßig, die Polizei war mit knapp 20 Kräften präsent. Den ganzen Juli lang gelten im Grazer Straflandesgericht erhöhte Sicherheitsmaßnahmen. Rund 40 Journalisten, Fotografen und Kameraleute waren akkreditiert, allerdings nicht alle zum Auftakt erschienen.

Allen 17 Angeklagten, alle Mitglieder der „Identitären Bewegung Österreich“, wird u.a. Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. An dieser Anklage gab es im Vorfeld des Prozesses Kritik - mehr dazu in Vor Identitären-Prozess: Kritik an Anklage. Die Staatsanwaltschaft hat auch Verhetzung, Sachbeschädigung und Nötigung angeklagt - mehr dazu in Grazer Identitäre: Prozesstermine stehen fest und in Identitäre: Vorerst kein Auflösungsverfahren.

Angeklagte aus drei Bundesländern

Vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes werden die Identitären als rechtsextreme Jugendorganisation eingestuft. Die Angeklagten sind zwischen 22 und 35 Jahre, sie stammen aus der Steiermark, Kärnten und Oberösterreich.

Prozess gegen Mitglieder der Identitären Bewegung Österreich

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„Gegenstand der Anklage sind insgesamt vier Vorfälle, die von der Staatsanwaltschaft Graz als verhetzerisch und Begehung der kriminellen Vereinigung qualifziert wurden. Diese vier Vorfälle haben sich im Zeitraum April 2016 bis März 2017 abgespielt“, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft Graz, Hansjörg Bacher.

Öffentlichkeitswirksame Aktionen

Neben der Aktion in Graz wurde eine Vorlesung über Asyl und Migration an der Universität Klagenfurt gestürmt. Flugblätter mit der Aufschrift „Integration ist eine Lüge“ wurden verteilt. In Maria Lankowitz im Bezirk Voitsberg wurden Heiligenfiguren mit schwarzen Müllsäcken im Sinne einer Burka-Verschleierung verhüllt. Bei der vierten Aktion wurde auf dem Dach eines Hauses in Wien ein Transparent mit islamfeindlichen Parolen befestigt.

Bacher: „In verhetzerischer Absicht“

Die Staatsanwalschaft Graz geht beim Verein von einer kriminellen Vereinigung aus. Das bekräftigte auch Hansjörg Bacher: „Nachdem der Gesetzgeber seit einiger Zeit das Vergehen der Verhetzung als Vereinigungstatbestand normiert hat, und man aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens davon ausgehen kann, dass diese Tathandlungen in verhetzerischer Absicht gesetzt wurden, ist eben durch den Zusammenschluss, durch das organisierte Zusammenwirken, auch von einer kriminellen Vereinigung auszugehen.“

Prozess gegen Mitglieder der Identitären Bewegung Österreich

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Mit einem kurzen geschichtlichen Abriss zur Entstehung der IBÖ hatte der Staatsawalt den Prozess am Dienstag eingeleitet. Dabei betonte er stets, dass abgesehen von Stammtischen und Aktionen auch ein reger Merchandising-Betrieb aufgezogen wurde: Besonders ab 2015 sei es zu erhöhten Einnahmen und Umsatzsteigerungen gekommen, wobei die finanzielle Gebarung in einem eigenen Verfahren behandelt werde.

„Zum Hass aufstacheln“

Neben den medial bekannten Aktionen auf dem Dach der Grünen Partei-Zentrale in Graz, dem Dach der türkischen Botschaft in Wien oder in der Uni Klagenfurt sei die IBÖ laut dem Ankläger schon von Anfang an mit Aktionen „in verhetzerisches Milieu“ eingetaucht. Ab 2016 seien die Aktionen, die „zum Hass gegen bestimmte Gruppen aufstacheln“, intensiviert worden.

Die IBÖ wolle mit Absicht Menschen wie Ausländer, Muslime und Flüchtlinge verletzten, sie beschimpfen und in der öffentlichen Meinung herabsetzen, so der Staatsanwalt. „Die Identitären sind gut organisiert“, sagte der Ankläger. Er sprach von einer „fast militärisch strengen hierarchischen Ordnung“ - der Bundesleitung, die von Landesleitungen und Bezirksleiter gefolgt wird.

Prozess gegen Mitglieder der Identitären Bewegung Österreich

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Der Staatsanwalt schilderte neben den bekannten Aktionen auch andere Fälle: In der Oststeiermark wurde auf die Tür eines Gastlokals zweier türkischstämmiger Familien, die teils seit 20 Jahren in Österreich leben, Plakate mit IBÖ-Parolen geklebt: „Die Leute haben nichts getan, arbeiten, zahlen Steuern. Wo kann man die Plakate kaufen? Im Shop von Martin Sellner und Patrick Lenart.“ Die beiden Angeklagten gelten als die Bundesleitung der IBÖ.

Rund 150.000 Euro lukriert

Die Aktionen der Identitären in der Steiermark, in Wien und in Kärnten wurden alle mit einer Kamera dokumentiert, dann wurden Filme daraus gemacht und ins Internet gestellt. Ziel der Videos sei es, so die Anklage, Menschen auf die Internetseite der Identitären zu locken. In den letzten zwei Jahren sei die Zahl der Mitglieder stark gewachsen.

Dadurch sei auch der Umsatz gestiegen, finde sich doch auf jedem Artikel, der über den Versandhandel gekauft werden kann, auch eine Kontonummer. Über den Versandhandel vertrieben werden T-Shirts, Tücher, Plakate oder Buttons mit dem Logo der Identitären. Im Vorjahr hätte man mit diesen Produkten und Spenden Einnahmen von rund 150.000 Euro lukriert. Doch das Geld würde nur bei den Geschäftsführern bleiben, der Verein und seine Landesstellen hätten davon nichts, so der Staatsanwalt.

„Wird schon viel zu lange weggeschaut“

Er kritisierte: „Es wird schon viel zu lange weggeschaut von solcher Hetze,“ aber wo die Politik versage, komme der Rechtsstaat. Am Ende seines Plädoyers richtete er seine Worte direkt an die Beschuldigten: „Die Frage der Zuwanderung kann nicht durch Hetze gelöst werden.“

Die 17 Angeklagten aus der Steiermark, Kärnten und Oberösterreich verfolgten die Ausführungen des Staatsanwaltes aufmerksam, tauschten Blicke aus oder schüttelten den Kopf, bewegten sich auf ihren weißen Stühlen aber kaum. Als ihr Verteidiger am Wort war, folgte Kopfnicken. Er sagte, er verstehe die Anklage bis heute nicht. Die Angeklagten hätten bei ihren Aktionen zulässige Kritik geäußert - aus Gründen der Heimatverbundenheit, der Tradition und aus Sorge um die Zukunft ihrer Kinder. Ziel der Anklage sei es nur, die Identitären mundtot zu machen: „Die Vorwürfe der Hetze sind völlig daneben“, so deren Verteidiger.

„Wer es gepickt hat, wissen Sie nicht“

Der Verteidiger betonte in seinen Ausführungen zu Beginn das „hohe Gut der Meinungsfreiheit“. „Sie verfolgen auch Islamisten“, sagte er zum Staatsanwaltschaft, „aber ich verstehe es nicht, dass ein Pickerl am Kebap-Laden das einzige ist, wo es konkret um Muslime geht, und das ordnen Sie der Identitären Bewegung zu. Wer es gepickt hat, wissen Sie nicht“.

Es beginne mit der Identitären-Aktion am Dach der Grünen, sagte der Advokat: „Warum das gewählt wurde, war für jedermann nachvollziehbar. Die Grünen sind nicht schuld an den offenen Grenzen, aber die Grüne Jugend hat sich in Internet für offene Grenzen starkgemacht“. Die Identitäre Bewegung (IB) sei anderer Meinung, deshalb habe man ein Transparent geschrieben mit dem Text „Islamisierung tötet“. Die Formulierung sei eine Chiffre wie andere auch, selbst der Papst habe geschrieben „Wirtschaft tötet“.

„EDV-Techniker, Studenten, Arbeitslose, Handwerker“

Die Beschuldigten seien aus der Mitte der Gesellschaft, „EDV-Techniker, Studenten, Arbeitslose, Handwerker“, beschrieb der Verteidiger seine Klienten. Einer der jungen Männer aus Voitsberg habe ihm gesagt, „Heimat und Tradition, das ist das richtige für ihn. Andere hatten intellektuelle Zugänge, andere wollten nicht, dass ihre Kinder in einer muslimisch dominierten Gesellschaft aufwachsen. Da kann man sagen, ja, ein paar Spinner sind auch dabei, aber um Gottes Willen, das ist doch zulässig“. Manche hätten Angst vor Terroranschlägen, vor diesen Dingen dürfe man auch aktionistisch warnen, ohne dass einem unterstellt werde, zum Hass aufrufen.

Von dem vom Dach des türkischen Generalkonsulats in Wien gerollten Transparent „Erdogan, hol deine Türken ham“ wurde behauptet, es richte sich pauschal gegen alle Türken, sagte der Anwalt: "Das ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, auch nicht, dass Martin Sellner faul und gierig ist, er hat sich ja gewundert, dass ihn der türkische Geheimdienst nicht vom Dach geballert hat. Die Kritik sei einwandfrei gegen den türkischen Staatschef Recep Tayip Erdogan gerichtet gewesen, Kritik, die in ähnlicher Form auch von der Politik wie etwa Kanzler Sebastian Kurz geäußert werde. „Der Vorwurf der Hetze ist völlig daneben“, behauptete der Verteidiger.

Verteidiger sieht Gesetz ad absurdum geführt

Zum Anklagepunkt Sachbeschädigung könne er nur den Kopf schütteln. Dieser Punkt sei offenbar nur dabei, weil man sich des Tatbestands der Verhetzung nicht sicher sei. Diese Pickerl hatten viele, führte der Anwalt aus, aber man rechne das einfach den Identitären zu. Das gleich gelte für bei Durchsuchungen gefundene Lack und Sprühkreide, „da müssten Sie auch kleine Mädchen, die mit den Kreidemarkierungen Himmel und Hölle gespielt haben beschuldigen, eine kriminelle Vereinigung zu sein“.

Mit einem Sachschaden von rund 300 Euro durch die Kreidemarkierungen führe man das Gesetz ad absurdum. Hier werde mit Kanonen auf Spatzen zu schießen versucht, schloss der Verteidiger, er hoffe, dass das nicht passiere.

Schnelle Schnitte, fetzige Musik

Anschließend wurden die vom IBÖ bzw. von Privatleuten gemachten Videos von den Aktionen am Dach der Grünen Hauses in Graz und der türkischen Vertretung in Wien und an der Uni Klagenfurt gezeigt. Die Videos waren mit schnellen Schnitten gestaltet und mit fetziger elektronischer Musik unterlegt. Tenor: „Grüne und SPÖ sind Schuld am Terror, die haben ihn importiert und heute kommen wir zu ihrer Parteizentrale“. Die Bilder zeigen das Erklettern des Daches das Abbrennen von bengalischen Feuer und Gebrüll.

Die Störung einer Lehrveranstaltung an der Uni Klagenfurt durch einen IBÖ-Trupp mit Transparent und Megafon wurde damit gerechtfertigt, dass „diese Veranstaltung eine ist, die Zuwanderung nicht nur unterstützt, sondern auch fordert“. Nach einer Schreckminute wurden die Aktivisten ausgebuht, eine Studentin mit Kopftuch konfrontiert den Rädelsführer: „Sie stören eine Lehrveranstaltung“, worauf dieser merklich an Selbstsicherheit verliert. Bei den Angeklagten im Saal lösten die Bilder teils Kopfschütteln aus. Manche rückten auf ihren Sesseln hin und her, einer grinste, andere blickten zu Boden.

„Patriotische NGO hat gefehlt“

Auch der Identitären Österreich-Mitbegründer Martin Sellner wurde befragt. Dieser sagte, er habe 2012 die IBÖ mit u.a. Patrick Lenart ins Leben gerufen. Sie hätten die Besetzung der Baustelle einer Moschee in Frankreich gesehen und die Aktion habe ihnen gefallen. Die IBÖ habe laut Sellner immer betont „gewaltfrei gehandelt“. Eine patriotische NGO habe zu dem Zeitpunkt in Österreich gefehlt, sagte Sellner. Auf die Frage des Richters, welche Grundideen und Werte man habe, hieß es: „Patriotische Positionen in die Gesellschaft tragen, ein gesunder Bezug zum Eigenen, ohne dabei Fremdes zu verachten“.

Es gehe darum, die Haltung „Heimat, Freiheit, Tradition“ friedlich zum Ausdruck zu bringen: „Von uns ist nie Gewalt ausgegangen, unsere Überlegung war, wie man die Debatte starten kann. Da haben wir uns an Aktionsformen der Linken orientiert, wie Greenpeace. In Schulungen wurde immer betont, keine Menschengruppen angreifen, keine Sachbeschädigungen und Vandalismus zu begehen“, sagte Sellner.

Rund 300 aktive Mitglieder

Der IBÖ-Chef schilderte, dass die Bewegung derzeit rund 300 aktive Mitglieder hat, die sich auch schon an Aktionen beteiligt oder Flugzettel verteilt hätten. Hunderte Spender würden hinzukommen. Sellner sprach außerdem von geschätzt 10.000 bis 20.000 Sympathisanten. Anschließend ging der Richter auf einzelne Aktionen ein und begann mit jener am Dach der Parteizentrale der Grünen Steiermark.

Er fragte Sellner, der selbst daran beteiligt war, nach seiner Motivation: „Wir wollten die Politik der offenen Grenzen kritisieren.“ Die Grünen seien dafür eingestanden und daher habe man ihr Haus gewählt. Gefragt nach der Bedeutung von Islamisierung meinte Sellner, dass er darunter die „Ausbreitung eines politischen, radikalen Islam“ verstehe.

Bis zu drei Jahre Haft

Alle Angeklagten sind derzeit auf freiem Fuß. Der Strafrahmen liegt bei bis zu drei Jahren Haft. Der Prozess wird am Freitag mit der Befragung von Martin Sellner durch seinen Anwalt fortgesetzt. Die Verhandlung wurde auf zumindest 19 Tage anberaumt.