Prozess um steirischen Arzt: Chaotischer Auftakt

In Graz hat am Dienstag die Neuauflage des Prozesses gegen jenen Arzt begonnen, der jahrelang seine Kinder misshandelt haben soll. Dabei gab er auch Selbstmorddrohungen zu. Die Verhandlung wurde auf Ende März vertagt.

Der Prozess begann am Dienstag etwas chaotisch, da zahlreiche Zuschauer keinen Platz in dem kleinen Verhandlungssaal fanden - das Gericht hatte sich im Vorfeld offenbar nicht vorstellen können, dass das Verfahren, das eine starke Medienpräsenz verzeichnet hatte, auf starkes Interesse bei Zuschauern stoßen könnte, und schleuste auch noch rund ein Dutzend Rechtspraktikanten in den Raum.

„Kinder über Jahre hinweg gedemütigt“

„Der ist kein Mensch. Es war die Hölle. Tag für Tag“, sagten die Kinder des Arztes zum Teil unter Tränen im Rahmen des ersten Prozesses aus. „Ich war eigentlich nur mit ihm beschäftigt. Die ganze Zeit: Es war eine Quälerei, tagein, tagaus“, so eine Tochter damals - mehr dazu in Die eigenen Kinder gequält? Arzt vor Gericht (13.1.2017). Am Dienstag begann der Staatsanwalt seine Ausführungen dann auch mit den Worten: „Wir stehen wieder ganz am Anfang eines Falles, der drei Kriminalromane füllen könnte.“ Er beschrieb, dass der Angeklagte seine vier Kinder über Jahre hinweg „gedemütigt und sich ihnen gegenüber lieblos verhalten hat“.

„Nein, kein Geständnis“

Er soll ihnen Medikamente verabreicht haben, bis zwei Töchter süchtig wurden, auch warf der Staatsanwalt dem Angeklagten vor, durch seine ständigen Selbstmorddrohungen die Kinder psychisch gequält zu haben: So soll er mit einer Waffe vor den Kindern gestanden sein, was er aber bestritt; ein anderes Mal hängte er sich laut den Vorwürfen tatsächlich auf, allerdings mit einem von ihm präparierten Strick, der abriss. Die Drohungen leugnete der Arzt am Dienstag auch gar nicht. „Das gestehen Sie also?“, sah der Richter eine Wendung gekommen. „Nein, kein Geständnis“, beeilte sich die Verteidigerin einzuwerfen.

„Du darfst dich nicht umbringen“

Der Angeklagte betonte, er sei ein Jahr lang suizidgefährdet gewesen. „Was hat gefehlt zum tatsächlichen Umbringen?“, fragte der Richter. „Der Ablauf war zu lang“, meinte der Angeklagte. Er habe sich auch ständig vorgesagt: „Du darfst dich nicht umbringen.“ Dann meinte er vorwurfsvoll: „Ich werde jetzt für etwas angeklagt, worunter ich jahrelang gelitten habe.“ Das relativierte der Richter: „Deswegen sind Sie nicht angeklagt, sondern weil Sie Ihre Kinder gequält haben.“

Ein weiteres Thema waren die Spritzen, die ihm seine Tochter und sein damals zehnjähriger Sohn setzen mussten. „Bei meiner Tochter habe ich mir nichts dabei gedacht, sie war schon 20 und wollte Medizin studieren, ich habe gesagt, sie kann bei mir üben.“ Das wollte das Mädchen offenbar nicht, und der Vater zeigte sich „enttäuscht“. Der Bub sollte ihm ebenfalls eine Spritze geben. „Er war von klein auf immer bei den Visiten dabei“, rechtfertigte sich der Beschuldigte. Gezwungen will er die Kinder nicht haben, aber „mit Nachdruck aufgefordert“.

Prozess gegen Arzt

APA/Erwin Scherau

Als das Kind zögerte, soll er zornig geworden sein und gesagt haben, der Zehnjährige dürfe nichts der Mutter verraten, die sich sonst scheiden lassen würde. „Warum macht man so etwas?“, fragte der Richter. „Ich glaube nicht, dass ihm das so geschadet hat, wie Sie das als Richter sehen.“ Darum gehe es nicht, so der Vorsitzende, sondern „ein Zehnjähriger hat auch ein Recht auf eine Kindheit, in der er nicht dem Vater etwas spritzen muss“. Laut Staatsanwalt waren alle vier Kinder in Psychotherapie: „Ein gänzlicher Heilungserfolg ist noch nicht eingetreten.“

„Meine Kinder haben alles von mir bekommen“

Der Richter beleuchtete auch das persönliche Umfeld des praktischen Arztes. Dieser schilderte, dass er von in der Früh bis spät am Abend gearbeitet, die Kinder versorgt und den ganzen Einkauf erledigt habe; gleichzeitig gab er an, dass er zwei Haushälterinnen gehabt habe.

Finanziell ging es der Familie offenbar sehr gut: „Wir konnten uns alles leisten“, bestätigte der Arzt. Seine Kinder hätten alles von ihm bekommen, „so viel Lego, dass ein Zimmer gar nicht gereicht hat“, und jede Menge Süßigkeiten. „Finden Sie das erziehungstechnisch gut?“, fragte der Richter. „Ich kann nicht Nein sagen, ich tue mir schwer damit, etwas auszuschlagen, das ist der Grund, warum ich diese Scheiße jetzt habe“, lautete die Antwort. „Sind Sie ein guter Vater gewesen?“, wollte der Vorsitzende auch wissen. „Materiell sicher, von der Zeit her wäre mehr gegangen“, antwortete der Arzt.

Der Prozess wurde bis 26. März vertagt. Dann soll die Befragung des Arztes fortgesetzt werden, außerdem steht die Einvernahme der Kinder auf dem Programm.

Justiz fassungslos

Der erste Prozess endete 2017 mit einem Freispruch für den Arzt: Der damalige Richter bezeichnete die Aussagen der Kinder in seiner Urteilsbegründung als „verspäteten Rosenkrieg“ und äußerte sich dabei auch abfällig über die Kleidung der Kinder - „legen darauf offensichtlich keinen Wert“ und deren Mutter - „überladene Person mit extravagantem Kleidungsstil“. Das wurde auch innerhalb der Justiz empört kommentiert - mehr dazu in Arzturteil: Begründung macht Justiz fassungslos (22.11.2017).

Die Kinder wiederum zeigten den Richter schließlich an - mehr dazu in Arzt-Freispruch: Kinder zeigen Richter an (25.10.2017). Ihre Anwältin Andrea Peter sprach damals von einer „enorm einseitigen Prozessführung“ und hofft nun auf das neue Verfahren: „Ich erwarte mir ein faires, alle Beweismittel berücksichtigendes Verfahren und daraus resultierende Gerechtigkeit - selbst wenn kein Urteil dieser Welt die Vergangenheit ungeschehen machen kann.“

Auch einige „Nebenschauplätze“

Die Anwältin des beschuldigten Arztes wollte im Vorfeld des Prozesses kein Interview geben. Ihr Mandant wies im ersten Verfahren die meisten Vorwürfe zurück - es seien Behauptungen seiner eifersüchtigen Ex-Frau. Das vom Land Steiermark verhängte Berufsverbot gegen den Arzt ist nach wie vor aufrecht - in der Ärzteliste scheint er nicht mehr auf.

Das Verfahren hat aber auch einige „Nebenschauplätze“: Eine Zeugin wurde wegen Falschaussage verurteilt, und es gibt Mordermittlungen - dabei geht es um den Tod des Vaters einer Ex-Geliebten des Arztes, bei dem die Waffe des Arztes im Spiel war - mehr dazu in Gutachten zweifelt an Suizid eines Oststeirers (17.4.2018). Ermittelt wird gegen unbekannt.