„Zu jedem Menschen muss ein Gesicht gehören“

Wie sieht unser virtueller Alltag in Zukunft aus? Und wie beeinflusst die Digitalisierung die Arbeitswelt? Beim sechsten „Medien.Mittelpunkt“ im Ausseerland war man sich einig, das Menschliche dürfe weiterhin nicht vergessen werden.

Früher, so sagte man, war die Ausseer Gegend Inspirationsort für bekannte Schriftsteller - nun waren es Wirtschaftstreibende, Medienschaffende, Politiker, Schüler und Studierende, die hier im Rahmen des „Medien.Mittelpunkt.Ausseerland“ über die Herausforderungen in einer digitalen Welt und deren Bewältigung diskutierten - getreu dem Motto „Das globalisierte Dorf: Provinz war gestern, Welt ist heute“.

Weniger Platzbedarf durch Digitalisierung

Wohin uns die Zukunft führt, lässt sich wohl an zwei Entwicklungen festmachen: Entmaterialisierung und Entortung. Diese Trends haben freilich bereits jetzt in den Alltag Einzug gehalten, werden aber noch präsenter in Erscheinung treten, meint Karin Frick vom Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut - sie ist Ökonomin und beschäftigt sich unter anderem mit den Trends, die mit der Digitalisierung einhergehen.

Die Entmaterialisierung lässt sich Frick zufolge daran erkennen, dass immer mehr Alltagsgegenstände in die virtuelle Welt wandern. Dabei spielt das Smartphone eine gewichtige Rolle, denn die wenige Zentimeter großen, multifunktionalen Geräte ersetzen Briefe, Bücher, Fotoalben und anderes Greifbares. Das lasse die Schlussfolgerung zu, dass man weniger Platz zum Wohnen brauchen werde, meint Frick.

Brille mit Zusatzfunktionen

Leihen und Tauschen statt Kaufen ist eine weitere Strömung, die Frick ausmacht. Damit verknüpft ist auch das Phänomen der Entortung. Man muss nicht mehr ins Geschäft gehen, um Kleidung oder Lebensmittel zu kaufen. Man bestellt online, und die Ware wird vom Lieferservice ins Haus gebracht. Oder Gegenstände, etwa Möbel, werden in den Raum projiziert, obwohl sie dort gar nicht vorhanden sind.

Karin Frick hält ihre Keynote

Julia Pabst

Karin Frick spricht zum Thema „Wie verändert die Digitalisierung unseren Alltag“

Mit entsprechend entwickelten Brillen kann der Träger diese dann jedoch sehen. Fricks These lautet, dass „in zehn Jahren alle Brillen zusätzliche Funktion haben werden“, und man sich so etwa den Wikipedia-Eintrag zu einem historischen Gebäude anzeigen lassen kann oder der Preis eines T-Shirts, das man gerade sieht, eingeblendet wird.

Fernwartung über smarte Brillen

Diese Entwicklungen sind für Unternehmen teilweise keine virtuelle Spielerei mehr, sondern bereits Realität - so etwa für die Ausseer Kälte- und Edelstahltechnik GmbH (AKE). Man erzeugt Vitrinen für Kunden wie McDonalds, Starbucks oder stellt seine Produkte am Flughafen in Los Angeles auf - mehr dazu in Steirische Firma kühlt den Weltmarkt (12.7.2017).

Helmut Pilz sitzt im Publikum

Julia Pabst

Helmut Pilz von der Ausseer Kälte- und Edelstahltechnik GmbH

Im Service-Bereich werden ebensolche smarten Brillen eingesetzt. Kein Techniker muss mehr ans andere Ende der Welt fahren, um ein Produkt zu warten - stattdessen sieht man am steirischen Standort die genauen Schaltpläne und Handgriffe am reparaturbedürftigen Gerät und kann dementsprechende Anweisungen geben, erklärt Helmut Pilz, vorsitzender Geschäftsführer der AKE. Doch nicht nur im Bereich der Kundenkommunikation und des Service habe die Digitalisierung zu Veränderungen geführt, auch in der Fertigung setzt man auf digitale Abläufe, so Pilz weiter.

"Virtuelles ersetzt Reales nicht

Er teilte sich das Podium am „Medien.Mittelpunkt“ mit vier weiteren Wirtschaftstreibenden - auch sie wissen von ähnlichen Entwicklungen zu berichten. Nicht weit vom Ausseerland entfernt, in Bergheim bei Salzburg, hat die Palfinger AG ihren Hauptsitz. CEO Andreas Klauser spricht von Drohnen, die etwa Inspektionsflüge zu Brücken unternehmen; anhand von Bildmaterial kann der Zustand der Brücke überprüft werden.

Hans-Peter Siebenhaar (Handelsblatt, Moderation), Helmut Pilz, Silvia Angelo, Margit Leidinger, Karlheinz Wex, Andreas Klauser, Michael Köttritsch (Die Presse, Moderation)

Julia Pabst

Hans-Peter Siebenhaar (Handelsblatt, Moderation), Helmut Pilz, Silvia Angelo, Margit Leidinger, Karlheinz Wex, Andreas Klauser, Michael Köttritsch (Die Presse, Moderation)

Das habe den positiven Effekt, dass schwere körperliche Arbeit von Maschinen ersetzt wird, sagt Silvia Angelo, Finanzvorständin der ÖBB-Infrastruktur AG. In anderen Bereichen allerdings meint Angelo: „Virtuelles ersetzt Reales nicht. Reisen will man trotzdem.“ Vielmehr würde beides nebeneinander parallel zueinander existieren.

Interaktion mit den Kunden als Herausforderung

„Für uns ist die Digitalisierung ein Riesenvorteil. Wir könnten ohne sie nicht arbeiten“, sagt Margit Leidinger, Gründerin der Firma Finalit aus Baden. Spezialisiert auf Fliesen- und Steinpflege sorgt man dafür, dass die steinernen Oberflächen von Petersdom, Cheops-Pyramide, Ground Zero Memorial in New York oder die Pilgerstätte in Mekka sauber bleiben. Soziale Medien wie YouTube oder Online-Learning sind Teil des Arbeitsalltags. Ganz durch Maschinen will man den Menschen nicht ersetzen. Wenn ein Job wegfalle, „gibt es dann einen anderen Job“, sagt Silvia Angelo. Allerdings brauche es dazu die entsprechende Bildung, meinen Angelo und Wex unisono.

Die größte Herausforderung in einer digitalisierten Welt sei die Interaktion mit den Kunden, sagt Karlheinz Wex, CEO der Plansee AG, die Metallpulver aus den Werkstoffen Molybdän und Wolfram herstellt und weiterverarbeitet. „Der Kunde, der sich im privaten Umfeld einen gewissen Service erwartet, erwartet sich haargenau das gleiche im Business“, meint Wex. So müsse man etwa den Service in hoher Geschwindigkeit erbringen.

Persönlicher Kontakt weiterhin wichtig

Beim Thema Kundenkontakt ist man sich einig: Es brauche das Digitale, aber der persönliche Kontakt mit dem Kunden könne nicht ersetzt werden. „Zu jedem Menschen muss ein Gesicht gehören“, formuliert Helmut Pilz - sein Unternehmen setzt sehr intensiv auf persönliche Begegnungen mit den Businesspartnern.

Auch für Margit Leidinger ist der persönliche Erstkontakt ein Schlüssel zum Erfolg: Man könne jemanden als Kunden beziehungsweise als Partner nur gewinnen, wenn Vertrauen aufgebaut werde. Im Kundenkontakt einen Schritt voraus zu sein, das zählt Klauser zu den Stärken, die sein Unternehmen von der Konkurrenz abheben.

Die Diskutanten stehen auf einem Podium, davon vor ihnen stehen zwei Stehtische, im Hintergrund ist durch ein großes Fenster der Ödensee zu sehen.

Julia Pabst

Die Diskutanten vor der Kulisse des Ödensees im Ausseerland

Hier schließt sich der Kreis zu den Ausführungen von Karin Frick. Auch sie ist der Meinung, dass sich der zwischenmenschliche Kontakt zwar verändern, aber nicht aufhören würde. Auch und gerade die junge Generation suche wieder vermehrt den persönlichen Austausch. Der menschliche Kontakt dürfte also auch im digitalen Zeitalter seinen Wert behalten. Allerdings würden mittlerweile viele die smarten Sprachassistenten nicht für konkrete Suchanfragen kontaktieren, sondern zur Unterhaltung, berichtet Frick. Vielleicht sollte sich der Mensch doch öfter bewusst vor Augen führen, dass Alexa, Siri und Co. zwar sprechen, aber den zwischenmenschlichen Kontakt nicht ersetzen können.

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