Die nimmermüde Avantgarde

Man könnte den steirischen herbst schon fast als Avantgarde-Festival mit Tradition bezeichnen - er umspannt eine Vielzahl an künstlerische Disziplinen und stellt seinen Gästen immer wieder neue Projekte und Produktionen vor.

Skandale um Plakate, Aufführungen und Aktionen prägten das Bild des „herbstes“, der sich in den letzten 50 Jahren immer wieder neu positionierte.

„Zur schönen Aussicht“ zur Eröffnung

Mit einem schlichten Plakat - grüne Quadrate - wurde einst der erste steirische herbst beworben, der am 23. September 1968 startete. Dass im ersten Jahr ein wiederentdecktes Stück von Ödön von Horvath - „Zur schönen Aussicht“ - uraufgeführt wurde, zeigt, dass man sich erst an die spätere Programmlinie herantasten musste.

steirischer herbst

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Die Plakate wurden sehr schnell provokanter, Motive wie halb hinuntergelassene Hosen an einem Männerhinterteil oder ein gesichtsloses Oval erregten die Gemüter. Zu einem richtigen Skandal kam es 1975, als Wolfgang Bauers „Gespenster“ wegen ungewohnt derber Sprache und Nacktheit auf der Bühne des Grazer Schauspielhauses angefeindet wurde.

Kurioses und ein Brandanschlag

Eine organisatorische Neuerung erfolgte 1983, als das bisher von einem Programmdirektorium verwaltete Festival mit Peter Vujica seinen ersten Intendanten bekam; er war auch Mitbegründer des musikprotokolls, das ein Teil des herbstes wurde.

Sendungshinweis:

„Der Tag in der Steiermark“, 12.9.2017

Während seiner Intendanz bis 1989 wurden an der Oper Otto M. Zykans „Auszählreim“ und Friedrich Cerhas „Rattenfänger“ aufgeführt und Augusto Boal inszenierte im Schauspielhaus sein Drama „Mit der Faust ins offene Messer“. Eine Ausstellung, die sich mit dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland 1938 auseinandersetzte, sorgte für großes Aufsehen und führte zu einem Brandanschlag. Eher kurios war die Aufführung des Jazzoratoriums „The Holy Grail of Jazz and Joy“ von George Gruntz in der Lurgrotte, die zwar mit Bobby McFerrin, Sheila Jordan und Karlheinz Miklin prominent besetzt war, aus Tierschutzgründen aber ohne Publikum stattfinden musste.

Ein Lichtschwert, Affenschreie und Nebelhörner

Horst Gerhard Haberl folgte Vujica 1990 für fünf Jahre nach. Anlässlich der Premiere von Roman Haubenstock-Ramatis „Amerika“ in der Oper wurde vor dem Gebäude die Skulptur „Lichtschwert“ von Hartmut Skerbisch - eine Metall-Nachbildung der Freiheitsstatue mit Schwert statt Fackel - errichtet. Sie wurde später ein paar Meter weiter gerückt und bildet eine bleibende herbst-Erinnerung. Geteilte Aufnahme fanden die Affenschreie und Nebelhörner, die der Künstler Bill Fontana als Installation über die ganze Stadt schickte - sie sollten an die Beschallung durch Nazi-Propaganda erinnern, mussten aber nach massiven Protesten abgeschaltet werden.

Schlingensief sorgte für Skandale

1996 bis 1999 übernahm erstmals eine Frau, Christine Frisinghelli, die Leitung. In dieser Zeit sorgte vor allem die Pfahlsitz-Aktion von Christoph Schlingensief, bei der der Künstler Obdachlose in der Innenstadt auf Pfählen sitzen ließ, für einen Skandal. Schon sein erstes Auftreten im herbst mit der Schauspielproduktion „Hurra Jesus! Ein Hochkampf“ hatte für scharfe Kontroversen gesorgt.

2003: Das Jahr des „Begehrens“

Frisinghellis Nachfolger, Peter Oswald, sorgte ab 2000 für große szenische Produktionen, für die er Regisseure wie Robert Lepage und Dimiter Gotscheff engagierte. In seine Intendanz fiel auch das Kulturhauptstadtjahr 2003, das mit Beat Furrers „Begehren“ im Bühnenbild von Zaha Hadid in der neuerbauten Helmut-List-Halle eingeläutet wurde. Ein weiteres Highlight in diesem Jahr war Olga Neuwirths „Lost Highway“ nach dem Film von David Lynch.

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Heuer findet der steirische herbst von 22. September bis 15. Oktober statt - mehr dazu in Jelinek und Jubiläum - der steirische herbst 2017

Die Aufregungen wurden weniger

Auf Oswald folgte 2006 Veronica Kaup-Hasler, die mit zwölf Saisonen die bisher längst gediente herbst-Intendantin sein wird. Sie holte das Nature Theater of Oklahoma und zeigte viele Produktionen, die zwischen Performance, Tanz und Drama changierten. Die Aufregungen wurden im Laufe der Zeit immer weniger, richtige Skandale fanden rund um den herbst nicht mehr statt. Konservativ-katholische Kreise sahen in „Golgota Picnic“ (2014) ein Ärgernis, von größeren Kontroversen war man aber weit entfernt. Ab 2018 wird Ekaterina Degot die Geschicke des Festivals leiten - mehr dazu in Ekaterina Degot ist neue „herbst“-Intendantin (7.4.2017).

Immer im Wandel

Kennzeichnend für den steirischen herbst war stets, dass die unterschiedlichsten Orte bespielt wurden. Außer der Helmut-List-Halle gab es keine festen Spielstätten, auch das Festivalzentrum wechselte jährlich. Aufgelassene Fabrikshallen, leere Behördenräume, Museen oder Pavillons führten immer wieder zu Neuentdeckungen und betonten den ständigen Wandel, dem ein Immer-wieder-Festival mit avantgardistischen Anspruch unterliegt. So lautet das Motto heuer auch "Where are we now?“, wo der steirische herbst zurück blickt und gleichzeitig auf Neues zugeht - mehr dazu in Jelinek und Jubiläum - der steirische herbst 2017.

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