Graz, Vorau und Gleichenberg erzählen wieder

Seit über 30 Jahren gibt es „Graz erzählt“ von Erzähler Folke Tegetthoff. Mittlerweile wird aber nicht nur in Graz erzählt, sondern auch in Vorau und Bad Gleichenberg sowie in Schwarzenau und auch in Wien.

In Graz, Vorau und Bad Gleichenberg gibt es von 24. Mai bis 21. Juni gut 70 internationale Künstler aus 19 Nationen zu erleben. Die beiden Pole - Erzählen und Zuhören - stünden auch in digitalen Zeiten hoch im Kurs, Geschichten hätten an Faszination nichts eingebüßt, ist Folke Tegetthoff überzeugt - er ist der Mastermind des mittlerweile sogar internationalen „Storytelling Festivals“.

Selfie-Wahn und WhatsApp-Flut

„Wir alle erzählen Geschichten ohne Unterbrechung - wir wissen es nur nicht, wir nennen es nur nicht so. Aber in dem Augenblick, wo wir etwas Persönliches in unsere Rede hineinpacken, erzählen wir“, sagt Tegetthoff. Der Mensch würde aus einem einzigen Grund erzählen, meint der Märchenerzähler: „Damit wir jemanden finden, der uns zuhört.“

Das sei eine große, urmenschliche Sehnsucht, die auch in der Zeit von Social Medien umso stärker vorhanden sei, „denn Selfie-Wahn und die WhatsApp-Flut sind ja nichts anderes als ein Zeichen dafür, wie sehr die Menschen Sehnsucht nach Aufmerksamkeit, nach Wahrnehmung haben“, so Tegetthoff. „Warum machen junge Menschen ein Selfie von sich und versuchen, möglichst toll dazustehen? Damit sie ein Like bekommen. Und was ist ein Like? Ein Zeichen von Aufmerksamkeit“, führt Tegetthoff aus.

Keine Lust zum Zuhören

Sich nicht ständig selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sei aber das Wichtigste für eine gute Geschichte: „Nachdem unsere Gesellschaft aber eine sehr egoistische geworden ist, eine Gesellschaft der Redner, der Sprechenden, der Quatscher, haben die Leute auf der gegenüberliegenden Seite immer weniger Lust zuzuhören“, schließt der Organisator des Festivals.

Folke Tegetthoff

Nikolaus Pfusterschmid

Der Erzähler Folke Tegetthoff

Wenn sich die Sprechenden jedoch mehr auf das Wesentliche fokussieren würden, dann würde man auch das Gegenüber motivieren, mehr Lust und mehr Zeit aufzubringen, dem, der was zu sagen hat, zuzuhören, ist Folke Tegetthoff überzeugt. „Es ist ein Wechselspiel, es gibt nie nur den Erzähler und nie nur den Zuhörer.“ Das funktioniere aber nicht, weil gerade der Sprecher so in den Mittelpunkt gerückt werde. „Der Mittelpunkt ist der Zuhörer und nicht der Erzählende. Deshalb sollten wir uns darauf konzentrieren, gute Geschichten zu erzählen“, sagt der Erzähler.

„Kinder brauchen Geschichten“

Beim „Storytelling Festival“ werden das unter anderem Antonio Rocha aus Brasilien, die US-Amerikanerin Charlotte Blake Alston, Ferruccio Cainero aus Italien aber auch die in Graz lebende serbische Sängerin Natasa Mirkovic machen.

Bei der „Erzählenden Straße“ im Grazer Rathaus berichten 60 Personen - vom Polizisten bis zum Firmenchef - aus ihrem Alltag. Im Schauspielhaus gibt es eine „Lange Nacht der fantastischen Geschichten“ - das sind aber nur zwei Schwerpunkte aus der Veranstaltungsreihe. Denn eines ist sicher: Kinder, aber auch Erwachsene brauchen Geschichten, so Folke Tegetthoff.

„Kinder brauchen Aufmerksamkeit, Zuwendung und Liebe, die ihnen geschenkt wird und Zeit, und das erreicht man am einfachsten mit Geschichten“, so der Festival-Organisator. Das sei der Grund, warum Geschichten immer gebraucht würden: „Das ist so seit dem Augenblick, wo Menschen begonnen haben, ihre Sehnsüchte, Hoffnungen, Gefühle in Wort zu fassen. Seit dem Augenblick haben sie Geschichten erzählt, und das wird nie anders werden.“

Sendungshinweis:

„Der Tag in der Steiermark“, 14.5.2019

Welt der Bilder

Beim Festival gehe es darum, Menschen unterschiedlichster Kulturen, Religionen und künstlerischer Hintergründe zu präsentieren - dieses Ansinnen hat sich über die Jahre nicht verändert. Es gibt jedoch neue Programmschienen - man habe an einer einzigen Schraube gedreht, sagt Tegetthoff dazu: „Unsere Welt ist eine völlig visuelle geworden. Wir leben in einer Welt der Bilder.“ Darauf habe man reagieren wollen, und nun präsentiere man auch Bilder, die nicht nur im Kopf über die Phantasie entstehen, sondern auch Bilder auf der Bühne mit Pantomime, Musik, Akrobatik und Körpertheater. Reine und nonverbale Erzählkunst geben sich also die Hände.

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