Chronik

Erinnerungslücken bei IS-Prozess

In Graz ist am Mittwoch der Prozess gegen sechs mutmaßliche Dschihadisten fortgesetzt worden. Die gebürtigen Türken müssen sich seit September wegen mehrerer Verbrechen vor Gericht verantworten.

Die Anklage bezieht sich auf die Verbrechen terroristischer Vereinigung und der kriminellen Organisation, einige sind auch wegen staatsfeindlicher Verbindung angeklagt. Dem Erstbeschuldigten wird vorgeworfen, in Linz einen Glaubensverein gegründet und in diesem junge Männer für den Islam radikalisiert zu haben, vier Verhandlungstage gab es bereits – mehr dazu in Dschihadistenprozess in Graz hat begonnen , Dschihadistenprozess: Alle Vorwürfe „Lüge“ und in Dschihadisten-Prozess: Vereinsobmann am Wort.

Zeuge wollte Aussage verweigern

Am fünften Verhandlungstag wurde mit der Befragung von Zeugen begonnen. Einer der sechs Angeklagten, er vermietete dem Linzer Verein die Räume, ist mittlerweile enthaftet worden. Er kam selbst in den Gerichtssaal, während die fünf anderen wieder unter strenger Bewachung vorgeführt wurden. Bei den ersten Zeugen handelte es sich um Männer, die in einem radikalen Grazer Glaubensverein tätig gewesen waren. „Ich möchte mich auf mein Recht berufen, die Aussage zu verweigern“, waren die ersten Worte jenes Zeugen, der Obmann in dem mittlerweile aufgelösten Verein gewesen ist.

Die Richterin erklärte ihm, dass das so pauschal nicht möglich sei, sondern nur dann, wenn er sich selbst belasten würde. „In der Ladung steht aber, dass ich die Aussage verweigern kann“, widersprach der Zeuge. Doch das half ihm nichts, die Fragen wurden gestellt.

„Der Bart ist Privatsache“

Er gab zu, der Obmann des Grazer Glaubensvereins gewesen zu sein. Erinnern könne er sich aber an kaum etwas, sagte er aus. Einige Vereinsmitglieder sollen als Kämpfer nach Syrien zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS) gegangen sein, von ihrem Verbleib ist teilweise nichts bekannt. „Wissen Sie, ob die getötet wurden?“, wollte der Staatsanwalt wissen. „Ich mache keine Aussage über Menschen, die nach Syrien gegangen sind“, wehrte der Zeuge ab.

Den Staatsanwalt interessierte noch das Aussehen des Mannes: „Wieso tragen Sie den Bart so? Das ist die Barttracht für strenggläubige Muslime“, sagte der Staatsanwalt. „Das ist meine Privatsache“, entgegnete der Zeuge.

Zeugen erkannten Erstbeschuldigten nicht wieder

Auch der nächste Zeuge war im Vorstand des Grazer Vereins gewesen, konnte sich aber auch nicht an das Schicksal von Mitgliedern und deren Angehörigen erinnern. „Ist Ihnen bekannt, dass sich 13 Mitglieder dem IS angeschlossen haben und neun weitere es versucht haben?“, hakte der Ankläger nach. „Nein, das ist mir nicht bekannt.“

Dem Erstbeschuldigten wird vorgeworfen, als Prediger in einem Linzer Glaubensverein junge Männer radikalisiert zu haben. Es soll laut Anklage einen regen Kontakt zwischen den Vereinen gegeben haben. Doch vor Gericht wollten die Zeugen nicht einmal den populären Prediger wiedererkennen.

Situation drohte zu eskalieren

Nach der Befragung der Zeugen nahm jedes Mal der angeklagte Prediger zu den Aussagen Stellung. Das führte meistens zu ausschweifenden Erläuterungen über die Aussagen des Propheten Mohammed im Allgemeinen und im Speziellen, bis ihn meistens die Richterin stoppte. Spannend wurde es beim Thema „Feinde“ und „Kopfabschneiden“, da gingen die Meinungen sehr weit auseinander.

Der Erstangeklagte wurde mit Aussagen und Schriften konfrontiert, die bei anderen Beschuldigten gefunden wurden und von ihm stammen sollen. Das leugnete der Befragte vehement. Als es zum Thema „Feinde“ kam, drohte die Situation zu eskalieren. „Stimmen wir überein, dass es die Pflicht jedes Muslimen ist, die Ungläubigen zu bekämpfen?“, fragte der Staatsanwalt. „Ja“, pflichtete ihm der Prediger bei. „Ich bin kein Muslim, also der Feind. Warum wollen Sie mich bekämpfen?“, setzte der Ankläger fort.

Von „Kopfabschneiden“ und „WhatsApp-Gruppen“

„Ich schäme mich jedes Mal, wenn man mir diese Frage stellt. Jeder Mensch hat fünf heilige Dinge – “ „Ja, das wissen wir schon“, unterbrach ihn die beisitzende Richterin und seufzte: „Es ist nicht ganz einfach mit Ihnen. Also, wer sind die Feinde?“. „Die Feinde sind die Ungläubigen, die uns hassen und uns hinausschmeißen wollen“, antwortete der Angeklagte. „Also die Juden?“, fragte der Staatsanwalt in Hinblick auf die Vertreibung der Juden in Syrien, was zu heftigem Protest der Anwälte und des Angeklagten führte.

Später kam es zur Frage, wann das Abschneiden des Kopfes erlaubt sei. „Im Krieg“, meinte der Erstangeklagte. „Bei uns ist das nicht so, auch nicht im Krieg“, widersprach die Richterin. „Oder wenn ein Gericht das verfügt hat“, machte der Beschuldigte seine Sicht der Dinge deutlich. Auffällig war, dass jeder Zeuge vor seiner Aussage erklärte, sein Anwalt habe ihm geraten, nichts zu sagen. „Das geht nicht. Und das können Sie jetzt in ihre Whatsapp-Gruppe stellen für die Zeugen in den nächsten Tage“, meinte die beisitzende Richterin. Der Prozess wird mit weiteren Zeugen am 8. Oktober fortgesetzt.