Landesgericht Graz
ORF.at/Roland Winkler
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Chronik

Wieder Dschihadistenprozess in Graz

Am Freitag hat in Graz ein neuer Dschihadistenprozess begonnen: Angeklagt sind 13 mutmaßliche Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) – darunter zwei Frauen –, und schon beim Auftakt drehte sich vieles um verschwundene Kinder.

Seit mittlerweile fast vier Jahren reiht sich im Grazer Straflandesgericht ein Dschihadistenprozess an den nächsten – am Freitag begann einer der größeren: Die Anklageschrift gegen die 13 Verdächtigen ist rund 300 Seiten dick, und ebenso schwer wie der Akt wiegt der Vorwürfe – einmal mehr geht es um die Verbrechen der terroristischen Vereinigung, der kriminellen Organisation und der staatsfeindlichen Verbindungen.

Mitglieder eines Glaubensvereins angeklagt

Die Angeklagten sollen in einem Glaubensverein in Graz Mitglieder angeworben haben, die für den IS in den Dschihad, also in den „heiligen Krieg“, ziehen sollten. Prediger und Vereinsvorstand sollen laut Staatsanwaltschaft aber nicht nur radikales Gedankengut, sondern auch teils grausame Propagandavideos in Umlauf gebracht haben.

Staatsanwalt: „Es geht nicht um die Religion“

Es gehe nicht um die Religion Islam, es geht um die politische Ideologie des Islamismus, stellte der Staatsanwalt dann gleich zu Beginn seiner Ausführungen klar – dementsprechend bezeichnete er die beiden hauptangeklagten Prediger, von denen aber nur einer vor Gericht erschien, auch als Ideologen. Sie hätten, unterstützt von den Mitangeklagten, von Wien und Graz aus die Errichtung eines weltweiten Kalifats unterstützt.

In Wien hätte die Politik über Jahre dem Treiben tatenlos zugesehen, es als Folklore abgetan, sagte der Staatsanwalt. In Graz wiederum hätten 2008 abwertende Bemerkungen der später auch dafür verurteilten FPÖ-Politikerin Susanne Winter über den Propheten Mohammed dazu geführt, dass Muslime den Verein Taqwa gründeten – ein Verein, der den Koran streng bis radikal auslegt, aus seiner Sicht Ungläubige nach islamischem Recht, der Sharia, bestraft und Kinder indoktriniert, etwa mit einem Kinderlied, wonach ein Kalifat von Medina bis Graz errichtet werden soll.

Von den 13 Angeklagten – unter ihnen auch Familienväter und -mütter – befindet sich nur einer in Untersuchungshaft, die anderen wurden in den vergangenen Monaten enthaftet und sind auf freiem Fuß; insgesamt erschienen von ihnen am Freitag elf vor Gericht, ein Beschuldigter ist untergetaucht.

„Gezündelt, gehetzt, aufgestachelt“

Die Angeklagten waren allesamt vor ihrer Verhaftung 2017 bis zu fünf Jahre in diesem Verein tätig, und, so der Staatsanwalt wörtlich, viele von ihnen sollen gezündelt, gehetzt, aufgestachelt haben und das ganze Elend verursacht haben. Sie sollen Familien dazu gebracht haben, nach Syrien zum Islamischen Staat zu gehen – 38 Menschen insgesamt, und unter diesen 22 Kinder, viele von ihnen österreichische Staatsbürger. Diese Kinder seien in Syrien vergewaltigt und gefoltert worden, so der Staatsanwalt, einige seien verschwunden.

Angeklagte fühlen sich nicht schuldig

Nach dem Staatsanwalt waren die sechs Verteidiger am Wort – und die Angeklagten fühlten sich in keiner Weise schuldig. „Mein Mandant hat nie jemanden radikalisiert oder bestärkt, nach Syrien zum IS zu gehen“, betonte der Anwalt des hauptangeklagten Predigers, das sei in jedem Fall „eine autonome Lebensentscheidung gewesen“.

„Die Anklage ist auf 300 Seiten aufgeblasen worden“, war einer der Verteidiger überzeugt. Man hätte sie „auf 30 Seiten zusammen bringen können“, meinte einer seiner Kollegen, denn „der Wahrheitsgehalt einer Geschichte erhöht sich nicht, wenn man sie oft genug erzählt“.

Über den angeklagten Obmann des Taqwa-Vereins sagte sein Anwalt: „Er war von seiner Einstellung her kein Eiferer, er ist ein Humanist“. Er habe den Verein nur auf eindringliche Bitte des Predigers geleitet, „aber nur auf dem Papier“. Die Anklage „stimmt einfach nicht, vieles ist Fiktion“.

Ein weiterer Verteidiger sagte über seinen Mandanten: „Es gibt nichts, man hat nichts gefunden, und trotzdem sitzt er hier“. Der Lkw-Fahrer „ist nur auf Urlaub da, alle wünschen sich, dass er so schnell wie möglich zurück kommt“.

Schon zahlreiche Dschihadistenprozesse in Graz

Im Grazer Straflandesgericht stehen Dschihadistenprozesse schon fast auf der Tagesordnung: Seit Februar 2016 gab es mittlerweile rund zehn derartige Prozesse, einige kleinere, einige große; derjenige, der am Freitag begann, wurde vorerst bis Ende November angesetzt, und er wird wohl auch nicht der letzte sein, denn laut Gericht sind die nächsten Dschihadistenprozesse bereits in der Warteschleife.