Symbolbild zum Thema häusliche Gewalt
APA/dpa/Maurizio Gambarini
APA/dpa/Maurizio Gambarini
Chronik

Häusliche Gewalt: Warnung vor Trugschluss

Trotz Ausgangsbeschränkungen verzeichnet das Gewaltschutzzentrum Steiermark nach Zahlen derzeit keine Zunahme an häuslicher Gewalt, sondern das Gegenteil. Allerdings wird vor einem Trugschluss gewarnt.

Zwei bis drei Betretungsverbote pro Tag sind es im Schnitt, die von der steirischen Polizei nach häuslicher Gewalt verhängt werden müssen und die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Fälle häuslicher Gewalt vor allem über Feiertage – wie etwa über Ostern – ansteigen, oft bedingt durch einen erhöhten Alkoholkonsum in dieser Zeit. Derzeit kommt verschärfend hinzu, dass manche Familien, die in einem Haushalt wohnen, schon seit Wochen auf engstem Raum zusammenleben und es dadurch zusätzliches Konfliktpotenzial gibt.

Anrufe deutlich zurückgegangen

Umso erstaunlicher scheint es, dass die Fälle häuslicher Gewalt derzeit sogar zurückzugehen scheinen. So verzeichnet das Gewaltschutzzentrum Steiermark, das jährlich etwa 3.000 Menschen betreut, aktuell nur etwa 60 Telefonate am Tag. Vor Beginn der Krise waren es noch rund 200 Gespräche mit Opfern, aber auch Anwälten oder Gerichten.

Frau telefoniert
ORF
Viele Betroffene würden laut Gewaltschutzzentrum derzeit davor zurückscheuen, Hilfe von außen zu holen – das Virus ist mit ein Grund dafür.

Die Leiterin des Gewaltschutzzentrums, Marina Sorgo, begründet diesen Rückgang damit, dass es aktuell auch weniger Verhandlungen gebe; dass auch die häusliche Gewalt zurückgegangen ist, hält sie dagegen für einen Trugschluss, Grund für den vermeintlichen Rückgang sei vielmehr, „dass gerade Menschen, die bedroht werden, sich jetzt denken, mein Problem ist nicht so wichtig, ich werde niemanden damit behelligen, ich werde mich später, wenn Corona vorbei ist, an eine Hilfseinrichtung wenden.“

Frauenhäuser nur zu 70 Prozent ausgelastet

In den Frauenhäusern in Graz und Kapfenberg stehen derzeit insgesamt 72 Plätze für Frauen und Kinder zur Verfügung, zehn weitere wurden für den Bedarfsfall jetzt eingerichtet, aber auch die Frauenhäuser sind momentan nur zu 70 Prozent ausgelastet, sagt Michaela Gosch, Vorsitzende des Vereins Frauenhäuser Steiermark. Dafür sieht sie mehrere Gründe: „Das Virus bedroht jeden: Männer, Frauen, Täter, Täterinnen, Opfer. Wenn es diesen gemeinsamen Feind gibt, dann ist es so, dass man sich im Inneren nicht zusätzlich einen Feind sucht.“

Angst vor Virus schreckt zusätzlich ab

Ein anderes Erklärungsmodell, dass speziell für Frauenhäuser zutrifft, könnte laut Gosch sein, dass, „wenn jetzt das gesamte vertraute Umfeld wegbricht, dass es mir dann besonders schwer fällt, die eigenen vier Wände zu verlassen und in eine Einrichtung zu gehen, wo ich nicht weiß, wie meine Zukunft aussehen wird.“ Und auch die Angst vor dem Virus selbst sei ein möglicher Grund für die aktuellen Entwicklungen: „Wenn ich rundherum höre, dass man tunlichst wenig Kontakt zu anderen haben soll, dann ist wahrscheinlich die Aussicht, in eine Einrichtung zu gehen, wo doch unterschiedliche Frauen gemeinsam leben, eine die Angst macht.“

Nicht abwarten oder selbst lösen

Laut Gosch sei diese Angst aber unbegründet, denn gerade in den steirischen Frauenhäusern würden Frauen und ihre Kinder in kleinen Wohneinheiten wohnen. Michaela Gosch und Marina Sorgo raten daher jedem Opfer häuslicher Gewalt, die Situation nicht einfach hinzunehmen und auch in Zeiten wie diesen keine Scheu zu haben, sich sofort an die Polizei oder eine Gewaltschutz-Einrichtung zu wenden: „Jeder, der sich bedroht fühlt oder Gewalt erlebt, sollte keine Scheu haben, sich an Außenstehende zu wenden, sich Hilfe zu holen. Es wäre nicht klug, abzuwarten oder das Gefühl zu haben, ich kann das selber lösen“, sagt Sorgo.