Autor Alfred Kolleritsch
ORF
ORF
Kultur

Alfred Kolleritsch ist tot

Der Schriftsteller, Lyriker, Philosoph und Herausgeber der „manuskripte“ Alfred Kolleritsch ist im Alter von 89 Jahren in Graz verstorben. Bis zuletzt war er von der Neugier auf neue Literatur für seine „manuskripte“ erfüllt.

„Sag mir etwas, das nicht verschwindet. Was war, ist weggeraten. Auf der Hand klebt der Gedanke den Flügelschlag eines Vogels lang“, ist eines der letzten seiner Gedichte, die Kolleritsch Anfang dieses Jahres veröffentlichte – mehr dazu in Neuer Gedichtband von Alfred Kolleritsch (6.1.2020).

Literarischer Heimatgeber

Sein Werk umfasst zwölf Lyrikbände, Romane und Erzählungen. Literarische Heimat bot Kolleritsch 70 Jahre lang unzähligen Autoren, die er für die von ihm gegründete Literaturzeitschrift „manuskripte“ entdeckte, wodurch er viele literarische Karrieren, stellvertretend seien die beiden Literaturnobelpreisträger Elfriede Jelinek und Peter Handke genannt, auf den Weg schickte.

Kolleritsch feierte am 16. Februar seinen 89. Geburtstag – gefeiert wurde bereits zwei Tage davor, und mit Literaturnobelpreisträger Handke stellte sich ein besonderer Gratulant ein – mehr dazu in Prominenter Gratulant für Alfred Kolleritsch (14.2.2020).

Peter Handke und Alfred Kolleritsch
ORF
Peter Handke und Alfred Kolleritsch

Steter Kämpfer für zeitgenössische Literatur

Nun ist der stete Kämpfer und Wegbereiter für zeitgenössiche Literatur Kolleritsch in Graz gestorben, wie von den „manuskripten“ bestätigt wurde. Kolleritsch galt aber auch als Kämpfer gegen die „Wiederkehr des Immergleichen“. In seinen eigenen Werken wendete sich der Mitbegründer und spätere Vorsitzende des Forums Stadtpark in Graz gegen die Einengung und Erstarrung des Lebens sowie gegen totalitäre und faschistische Tendenzen.

Geschichten, die vom Himmel fallen

Geboren wurde Kolleritsch am 16. Februar 1931 im steirischen Brunnsee als Sohn eines Forstverwalters und einer Postangestellten. In seine Lebensstadt Graz kam er 1941, dort studierte er Germanistik, Philosophie und Geschichte und dissertierte über Martin Heidegger. Er war Lehrer am Akademischen Gymnasium und kurzzeitig Universitätsdozent in Graz. Für seine Werke erhielt Kolleritsch eine Vielzahl an Preisen, unter vielen anderen den Petrarca-Preis, den Georg-Trakl-Preis, den Peter-Rosegger-Preis, den Horst-Bienek-Preis, den Franz-Nabl-Preis, den Ehrenring des Landes Steiermark und das Ehrenzeichen des Landes für Wissenschaft, Forschung und Kunst. „Manchmal fallen die Gedichte vom Himmel, am nächsten sind sie, wenn sie verschwinden, versunken in sich selbst“: ein Zitat von Kolleritsch aus „Die Nacht des Sehens“ aus dem Jahr 2020.

Das Cover des Buches „Die Nacht des Sehens“
ORF

Vom Großvater übers Forum zur Zeitschrift

Daneben arbeitete Kolleritsch allerdings unverdrossen auch am eigenen Oeuvre, hatte doch die Bibliothek seines Großvaters einst sein Interesse an der Literatur geweckt. Erste Gedichte und Prosaversuche entstanden bereits 1948, die erste öffentliche Lesung fand 1958 in Graz statt. Und bereits 1960 wurde der damals knapp 30-Jährige zum Mitbegründer des im früheren Grazer Stadtpark-Cafe angesiedelten Forums Stadtpark, dessen Vorsitzender er bis 1995 war. Das Forum war konzipiert als „selbstverwalteter Ort der Begegnung“.

Der Herausgeber der Literaturzeitschriftt „manuskripte“ Alfred Kolleritsch am Samstag, 4. Dezember 2010, vor Beginn des feierlichen Abends anlässlich 50 Jahre „manuskripte“ im Schauspielhaus in Graz.
APA/MARKUS LEODOLTER
Alfred Kolleritsch

Gleichzeitig mit dem Forum startete auch die Literaturzeitschrift „manuskripte“, die Kolleritsch ab der zweiten Ausgabe als alleiniger Herausgeber betreute. Nicht nur trug er maßgeblich dazu bei, Graz zu einem Literaturzentrum in Österreich zu machen. Er diente auch vielen späteren Autorenstars als Wegbereiter. In der Literaturzeitschrift publizierten zunächst die Autoren der Wiener Gruppe wie H. C. Artmann und Konrad Bayer. Ab der fünften Nummer kamen dann Autoren wie Wolfgang Bauer und Barbara Frischmuth hinzu.

Die „manuskripte“ blieben nicht Kolleritschs einziges Engagement im Literaturbereich, gründete er doch 1973 gemeinsam mit Schriftstellern wie Friederike Mayröcker, Ernst Jandl und Gustav Ernst die Grazer Autorenversammlung. Und doch gelang es dem Umtriebigen, daneben auch eigene Gedanken zu Papier zu bringen.

Theaterstück und Korrespondenz

Das einzige Theaterstück des Autors, „Die geretteten Köche“, war 2001 erschienen und wurde im Rahmen des steirischen herbstes uraufgeführt. Und schließlich etablierte sich Kolleritsch seit 1972 mit einer Vielzahl an Gedichtbänden als Lyriker. Sein erster Band „Erinnerter Zorn“ erschien im Privatdruck in einer Auflage von 900 signierten Exemplaren, zuletzt kam noch heuer „Die Nacht des Sehens“ im Droschl-Verlag heraus. 2008 verlegte der Salzburger Jung und Jung Verlag unter dem Titel „Schönheit ist Bürgerpflicht“ die Korrespondenz des Grazer Literaten mit dem späteren Literaturnobelpreisträger Handke. 2011 setzte ihm der Hommageband „Das schönste Fremde ist bei dir“ zum 80. Geburtstag ein Denkmal zu Lebzeiten.

Abschied der Schüler und Wegbegleiter

Sein einstiger Schüler, der Musiker Markus Schirmer, zollte dem Verstorbenen auf Facebook seinen Respekt: „Wie glücklich darf man sich schätzen, Dich, einen der ganz großen österreichischen Lyriker seinerzeit am Akademischen Gymnasium Graz als Deutschlehrer erlebt zu haben.“ Kolleritsch sei seiner Zeit weit voraus gewesen. Und die von ihm mitbegründete Literaturzeitschrift „manuskripte“ verabschiedete sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit einem Gedicht des Verstorbenen: „Erneut die Überflutung: das Licht zuerst, dann die Nacht, die Liebe immer, immer der Verlust.“