Wissenschaft

SS-Entbindungsheim: Forscher suchen Zeugen

Das Grazer Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung widmet sich in einem aktuellen Projekt dem Nazi-Entbindungsheim „Wienerwald“. Nun suchen die Historiker Zeitzeugen, die über das Heim erzählen können.

Die Nationalsozialisten versuchten, im Zuge ihrer Rassenpolitik sogenannten „erbgesunden“ Nachwuchs zu fördern. Eine zentrale Rolle spielten dabei die Entbindungsheime des SS-Vereins „Lebensborn“, dessen Ziel es war, die Geburtenziffer „arischer“ Kinder zu erhöhen.

SS-Verein betrieb rund zwei Dutzend Heime

Dazu unterhielt der 1935 gegründete SS-Verein „Lebensborn“ zwischen 1936 und 1945 neun Entbindungsheime auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands, 15 weitere wurden in Österreich, Luxemburg, Belgien, Frankreich und Norwegen betrieben. Das größte „Lebensborn“-Entbindungsheim stand in Feichtenbach bei Pernitz in Niederösterreich. Es wurde 1904 von zwei jüdischen Ärzten als Lungenheilanstalt „Sanatorium Wienerwald“ gegründet und von den Nazis 1938 „arisiert“.

„Lebensborn“-Entbindungsheim im Wienerwald
Helga S., Wien
Eine Postkarte mit dem „Lebensborn“-Heim im niederösterreichischen Feichtenbach

Mehr als 1.000 Kinder im Heim geboren

Allein im Heim „Wienerwald“ kamen rund 1.300 Kinder zur Welt. Über die Mütter und Kinder ist bis heute relativ wenig bekannt. Die Forscher des Grazer Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung gehen davon aus, dass viele nicht nur aus dem Gebiet des heutigen Österreich stammten, sondern auch aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Norwegen und wieder dorthin zurückkehrten.

Kontaktinformation:

Zeitzeugen werden gebeten, sich telefonisch unter +43 316 380 DW 8272 zu melden oder sich per Email direkt an lukas.schretter@bik.ac.at zu wenden.

Anonyme Entbindungen und Adoptionen

Im Heim wurden unter anderem auch anonyme Entbindungen unverheirateter Frauen, die nach den Kriterien der NS-Rassenideologie als „erbbiologisch wertvoll“ galten, ermöglicht, aber auch Adoptionen abgewickelt. Zudem wurden auch Kinder verheirateter Paare in den Heimen geboren. Der Verein war ab 1943 auch in die „Eindeutschungsaktion“ hunderter Kinder, insbesondere aus dem heutigen Polen, eingebunden.

Es gab auch Gerüchte, dass in den „Lebensborn“-Heimen SS-Männer und vorzugsweise blonde, blauäugige Frauen des Bund Deutscher Mädel zum Zweck der Zeugung „zusammengeführt“ wurden. Das sei aber historisch nicht haltbar, hieß es am Mittwoch in einer Aussendung des Grazer Instituts.

„Lebensborn“-Entbindungsheim im Wienerwald
Helga S., Wien
Ostern 1944: Angestellte des Nazi-Heimes mit Müttern und ihren „Lebensborn“-Kindern.

Historiker arbeiten Geschichte auf

In einem Forschungsprojekt soll die Geschichte des „Heim Wienerwald“ zwischen 1938 und 1945 nun aufgearbeitet werden. Projektleiterin Barbara Stelzl-Marx und ihr Kollege Lukas Schretter wollen neben der Geschichte des Ortes und dem Umgang damit nach dem Krieg, mehr über die Sozialstruktur der Mütter, die biografischen Hintergründe der Väter, das Personal, den Alltag im Heim und vor allem über die Kinder und ihre weiteren Lebensläufe herausfinden.

Dafür suchen die Historiker nicht nur Zeitzeugen, sondern auch Männer und Frauen, die im „Heim Wienerwald“ geboren wurden und ihre Lebensgeschichten erzählen wollen. Die Wissenschafter sind zudem an Fotografien, Objekten und Dokumenten interessiert, die mit der Geschichte des Heims in Verbindung stehen.

Heimgebäude mittlerweile eine Ruine

Nach 1945 waren den Angaben der Historiker zufolge viele „Lebensborn“-Kinder mit den Folgen ihrer Herkunft konfrontiert und bemühten sich, mehr über die Umstände ihrer Zeugung, Geburt und ihre ersten Lebensjahre zu erfahren. Das „Heim Wienerwald“ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg erweitert und unter anderem als Kindererholungsheim des Wiener Jugendhilfswerks, Urlauberheim des Gewerkschaftsbundes und Rehabilitationszentrum der Wiener Gebietskrankenkasse genutzt. Mittlerweile ist das Gebäude eine Ruine und dem Verfall preisgegeben.