Zugkollision in Niklasdorf
APA/ERWIN SCHERIAU
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Gericht

Bedingte Haft für Lokführer nach tödlichem Unfall

Nach dem Zusammenstoß zweier Züge im Bahnhof Niklasdorf im Februar 2018, bei dem eine Frau getötet und zahlreiche Menschen verletzt worden sind, ist der Lokführer am Mittwoch zu einer bedingten Haft und einer Geldstrafe verurteilt worden.

Dem 48-jährige Lokführer wurde unter anderem grob fahrlässige Tötung und Körperverletzung vorgeworfen, dafür drohen bis zu drei Jahre Haft. Der Mann soll, so die Anklage, ein rotes Ausfahrsignal übersehen haben – mehr dazu in Anklage nach Zugsunfall in Niklasdorf.

Züge krachten seitlich ineinander

Am 12. Februar 2018 krachten im Bahnhof in Niklasdorf ein Fernzug der Deutschen Bahn von Graz nach Saarbrücken und ein Regionalzug („Cityjet“) seitlich ineinander. Dabei wurde ein Waggon des Fernzugs teilweise aufgerissen, weitere Waggons wurden erheblich beschädigt; der Regionalzug entgleiste aufgrund des Anpralls teilweise.

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Zugkollision in Niklasdorf
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APA/BFV LEOBEN/SCHÖNAUER
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Der Triebwagenführer des Regionalzugs musste sich am Mittwoch deshalb vor Gericht verantworten: Laut Staatsanwaltschaft sei er ohne Zustimmung zur Weiterfahrt ohne aktive Schaltung losgefahren; er habe auf 84 Prozent der Geschwindigkeitsleistung beschleunigt und sei ungebremst auf ein rotes Haltesignal zugefahren – durch die folgende Kollision mit einem anderen Zug wurde die Seitenwand aufgerissen. Die Folge war eine Tote, ein Schwerverletzter und rund 30 weitere Leichtverletzte, dazu komme der große Sachschaden.

Verteidiger sieht Mitschuld bei den ÖBB

Der Verteidiger sagte, sein Mandant habe schon im Ermittlungsverfahren reumütig zugegeben, am Signal vorbeigefahren zu sein, die Mitschuld liege aber auf Unternehmensebene: Er wolle, dass Gericht und Staatsanwalt zu dem Schluss kämen, dass auch das Unternehmen Verantwortung für die Geschehnisse trage.

Laut dem Verteidiger habe es schon einige Unfälle mit „Cityjets“ gegeben, aber es habe sich nichts geändert – es sei ein bekanntes Phänomen, dass Signale überfahren würden, das Eisenbahnunternehmen sei verpflichtet, dagegen Maßnahmen zu ergreifen. Man müsse untersuchen, wie es möglich sei, dass der Lokführer aus der Überwachung zwischen Vor- und Hauptsignal heraus gefallen sei.

Richterin: „Verbandsveranwortlichkeit kein Thema“

Der Bahnhof Niklasdorf sei zudem massiv zugebaut gewesen: Ein vorgeschriebener Schutzweg für den Zug habe gefehlt. Auch das Fehlen eines Zugbegleiters habe sich ausgewirkt, der Lokführer sei alleine gewesen – es könne nicht sein, dass man sich am Lokführer alleine abputze.

Die Richterin antwortete: „Über ein Mitverschulden der ÖBB werden wir uns hier nicht unterhalten, das ist hier nicht angeklagt.“ Die Verbandsverantwortlichkeit (der ÖBB, Anm.) sei nicht Thema, der Antrag auf Fortführung eines Verfahrens gegen die ÖBB sei eingestellt worden. Am Mittwoch werde ausschließlich über grobe Fahrlässigkeit des Lokführers geurteilt.

Erinnerungslücken beim Angeklagten

Der Triebfahrzeugführer sagte dann aus, dass es für jede Strecke in der Ausbildung bei Tag und bei Nacht Übungsfahrten gebe, und er fahre die Strecke Friesach-Bruck/Mur seit 20 Jahren. Er sei an dem Tag in den Bahnhof Niklasdorf eingefahren, das Ausfahrsignal sei auf „Halt“ gewesen; dann habe er den Passagierwechsel über Kameras beobachtet, und „dann weiß ich leider nichts mehr“.

Zwei Handys waren aktiv eingeschaltet

Die Richterin meinte, dass der Bahnsachverständige anhand von Skizzen zu dem Schluss kam, dass der 48-jährige Angeklagte die roten Signale wohl nicht nur ignoriert hatte, sondern auch den schon entgegenkommenden Zug hätte sehen müssen. „Ich würde gerne etwas sagen, wenn ich mich erinnern könnte, aber der entgegenkommende Zug ist sehr schwer zu sehen gewesen“, sagte der Obersteirer.

„Sie haben voll beschleunigt, haben Sie jemals gebremst?“, fragte die Richtern. „Ich weiß es nicht.“ „Ich sage es Ihnen, Sie haben nicht gebremst, die Zwangsnotbremsung hat der Magnet eingeleitet. Sie hatten zwei Handys – neben dem Tablet mit dem Fahrdienstplan – aktiv eingeschaltet, was haben Sie mit diesen gemacht?“ „Nichts, sie waren in der Jackentasche drinnen“, war seine Antwort.

„Haben Sie gespielt?“

Dann kam die Richterin auf den Punkt: „Die sind aktiv gelaufen, eines mit irgendeinem olympischen Spiel. Haben Sie gespielt?“ Das habe er sicher nicht. „Ich verstehe das nicht“, sagte die Richterin. Er auch nicht, antwortete der Lokführer. Gut wäre es, wenn ein Kollege – etwa ein Zugbegleiter – im Sinne des Vieraugenprinzips etwa am Bahnsteig bei der Abfahrt anwesend sei. „Aber die Endverantwortung liegt bei Ihnen“, sagte die Richterin. Der Sachverständige wollte wissen, ob ein von ihm gefahrener Zug jemals automatisch eingebremst wurde. Ja, und das sei gerechtfertigt gewesen, weil er etwas schneller gefahren sei.

Der Staatsanwalt wollte dann vom Beschuldigten noch wissen, ob er ein Ereignis am Handy verfolgt habe. Der 48-Jährige gab an, er habe auf einer App Biathlon bei Olympia verfolgt, als er im Bahnhof St. Michael bei der Wende des Zugs von einem Führerstand zum anderen gegangen sei; er glaube, er sei ziemlich pünktlich im Takt unterwegs gewesen.

Auch EC-Lokführer und Fahrdienstleiter befragt

Der Fahrer des entgegenkommenden Schnellzugs sagte aus, er sei von Graz nach Selzthal unterwegs gewesen, mit Verspätung. In Niklasdorf sei er auf einem Nebengleis mit rund 60 km/h bei „Einfahrt frei“ durchgefahren, er habe einen „Ruck“ wahrgenommen, eine Schnellbremsung gemacht und im Rückspiegel „das Malheur“ gesehen. Er fahre seit 40 Jahren die Strecke, die Sicherheitsvorkehrungen in Niklasdorf kenne er, soweit für ihn relevant. Ein Ausfahrtssignal sei auf „Vorsicht“ gestanden. Den anderen Zug, den Cityjet, habe er nicht wahrgenommen.

Ein Fahrdienstleiter des Bahnhofs Niklasdorf – am Unglückstag im Dienst – unterstrich die Angaben des Schnellzug-Lokführers. Die beiden fraglichen Zuggarnituren sollten parallel fahren. Während der Regionalzug mit dem angeklagten Lokführer noch fünf Minuten in Niklasdorf warten sollte, hatte der Schnellzug freie Fahrt bekommen. Der Regionalzug und ein weiterer Cityjet hätten keine Bewilligung zur Ausfahrt gehabt.

Sachverständiger: Lokführer hat nie gebremst

Der Sachverständige für Schienenwesen gab bei der Befragung an, wie der EC mit 60 km/h auf einem Nebengleis den Bahnhof passieren sollte. Doch der Cityjet fuhr aus dem Bahnhof und beschleunigte zügig, was durchaus üblich sei. Als dieser über das auf rot stehende Haltesignal fuhr, wurde eine Zwangsbremsung eingeleitet, was letztlich nichts mehr nützte. Der Lokführer des EC habe jedenfalls kein schuldhaftes Verhalten. Laut Datenspeicherauswertung habe der Cityjet-Lokführer nie gebremst, nur beschleunigt, bis zur Einleitung der Zwangsbremsung.

Angeklagter: „Mache mir stetig Vorwürfe“

Ein Zugpassagier im EC gab an, er habe „einen dumpfen Schlag gespürt, dann hat es immer stärker gerumpelt, ich habe mich am Tisch abgestützt, die Augen geschlossen. Die Splitter vom Sicherheitsglas sind über mich gefallen, plötzlich war es ruhig. Das ganze Abteil war verwüstet, die Scheibe hat gefehlt, meine Beine waren unter dem Tisch eingeklemmt.“

Auf die Frage, wie es ihm selbst am Unglückstag gegangen sei, sagte der Obersteirer, er habe sich gesund gefühlt und fähig zu fahren. Und danach? „Es geht mir sehr schlecht, ich mache mir stetig Vorwürfe und große Sorgen um meine Familie, ich habe auch Gedanken an Suizid, bin vier Mal kollabiert.“

Bedingte Haft und Geldstrafe für Angeklagten

Der Staatsanwalt sagte bei seinen Schlussworten, es sei klar, dass der Lokführer trotz mehrfacher Haltesignale aus dem Bahnhof gefahren sei. Der Verteidiger führte an, dass sein Mandant zu verurteilen sei, aber es seien unter anderem nicht ausreichende Sicherheitsvorrichtungen im Bahnhof installiert gewesen. Daher treffe den Beschuldigten keine Alleinschuld.

Schließlich wurde der 48 Jahre alte Lokführer am Mittwoch zu acht Monaten bedingter Haft und einer unbedingten Geldstrafe von 4.320 Euro verurteilt. Die Richterin begründete das Urteil damit, dass der Mann unbescholten sei und sich reumütig gezeigt habe. Aber eine unbedingte Strafe müsse es geben, deshalb verurteilte sie ihn zur Geldstrafe, zu zahlen in 240 Tagsätzen zu je 18 Euro. Der Lokführer nahm das Urteil an, der Staatsanwalt gab keine Erklärung ab. Das Urteil ist damit noch nicht rechtskräftig.