Der Speisesaal, links die „Trüfelweiber“-Runde
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Steiermark impft

Heim-Reportage: „Hurra, wir leben noch!“

Über Weihnachten und Neujahr ist das Pflegeheim in Bad Aussee unter Quarantäne gestanden – Besuche waren unmöglich. Seit kurzem ist das Heim wieder CoV-frei, und jetzt erzählen Bewohner und Pflegekräfte, wie sie die Quarantäne-Situation überstanden.

Mehr als 7.000 mit dem Coronavirus infizierte Menschen sind bisher in Österreich gestorben – laut den offiziellen Zahlen. Getroffen hat es vor allem betagte Menschen, fast die Hälfte hat in Pflegeheimen gelebt. Eines der betroffenen Heime war jenes in Bad Aussee: Ausgerechnet über die Weihnachtsfeiertage und Neujahr stand das Pflegeheim in Bad Aussee unter Quarantäne – die ist jetzt überstanden. Aber wie? Bernt Koschuh hat das Heim für Ö1 besucht. (zum Nachhören klicken)

Der Speisesaal, links die „Trüfelweiber“-Runde
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Die „Trüflweiber“ sind wieder zusammen

Beim Mittagessen im Volkshilfe-Heim Bad Aussee dürfen die „Trüflweiber“, die „Tratschweiber“, wie sie sich nennen, jetzt wieder nebeneinander sitzen – sie haben das Coronavirus und Quarantäne überstanden und sollten immun sein. Zu Weihnachten war das anders: Nach Verdachtsfällen und einer Testung aller Bewohner kam am 20. Dezember, einem Sonntag, die Nachricht: Mehr als 20 Menschen sind CoV-positiv.

Die Isolierstation, der „Archipel“

Sofort wurde reagiert, eine Isolierstation mit Zugangsschleuse geschaffen, erinnert sich der 78-jährige Manfred Seitner: „Aus Plastik haben sie da so Eingangsverbote fabriziert. Ich bin mir vorgekommen wie in einem russischen Archipel.“

Heimleiterin Gabriele Grill schildert den Sonntagabend so: „Es sind alle Mitarbeiter dageblieben, wir haben Isolationsstationen gebaut, in der Nacht noch – die Bewohner mit all ihrem Hab und Gut übersiedelt, auch die Kastln, Blumen, Bilder an der Wand und alles, was den Bewohnern lieb und teuer ist.“ – damit sich alle möglichst zu Hause fühlen.

Isolierstation
ORF/Pfegeheim

Engel oder Mumien?

CoV-positive Pflegerinnen mussten ersetzt werden – etwa durch Servicemitarbeiter und zwei zurückgeholte Ex-Mitarbeiterinnen. Viele Überstunden fielen an, oft in weißer Schutzmontur. Manfred Seitner formuliert: „Die sind alle dahergekommen wie Engel.“ „Da sind dann die Krankenschwester-Mumien unterwegs gewesen“, sagt hingegen die 79-jährige Eva Peer und lacht. Aber egal, ob Mumien oder Engel – für demente Personen bedeutet das eine psychische Belastung.

Für die Mutter von Dorothea Schanzl sind auch Masken alleine verwirrend. „Meine Mutter ist Gott sei Dank schon sehr dement – ich glaube, sie kriegt Corona gar nicht mit. Und sie fragt immer wieder: Warum diese Masken? Und durch die Maske versteht sie ja nichts, weil sie fast taub ist“, so Dorothea Schanzl.

Weihnachten ohne Angehörige aber mit Briefen von Schülern
ORF/Pflegeheim

„Nobody gets too much love anymore“

Das Radio im Speisesaal spielt Radio Steiermark, und das wiederum „Nobody gets too much love anymore“. Das befürchten – wegen Quarantäne und Lockdown – auch Angehörige wie Mares Leeb: „Das Härteste ist: Teilweise hat man sie gar nicht besuchen dürfen – nur, wenn sie sterbend oder palliativ sind.“

Eine andere Angehörige erzählt: „Ein ganzes Monat hab’ ich nicht zur Mutter dürfen. Und die Mutter kann nicht reden, jetzt kann ich auch nicht wirklich telefonieren mit ihr.“ Und Dorothea Schanzl erzählt: „Einmal, einen Tag vor Weihnachten, bin ich hier vor das Fenster gegangen, und dann hab’ ich ihr einfach durch das Fenster die Packerl überreichen können. Das war wirklich schön.“

Die Vermutung der Heimleiterin

An sich versucht das Volkshilfe-Heim, wenig Freiheitsbeschränkungen zu setzen – vielleicht ein Grund für die CoV-Infektionen im Heim, meint die Leiterin und meint weiter, „dass wir uns als offenes Haus verstehen und dass unsere Bewohner tun durften, was die Bundesregierung uns und jedem mündigen Bürger zugesteht: Spazieren gehen, vielleicht mit ihrer Familie spazieren gehen. Und das ist jetzt nur eine Vermutung, keine Schuldzuweisung.“ Denn Schuldzuweisungen hätten auch die Pflegekräfte oft und zu Unrecht wahrgenommen, sagt sie.

Volkshilfe-Pflegeheim Bad Aussee
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Wichtigstes in geringsten Dosen

Dass nun die ansteckendere britische CoV-Mutation in Aussee angekommen ist – mehr dazu in CoV-Mutation: 2.700 Menschen getestet (17.1.2021) und in 26 positive PCR-Tests im Ausseerland (20.1.2021) –, kommentiert Pflegedienstchefin Astrid Budemayr so: „Mehr Maßnahmen als die, die wir jetzt schon treffen, sind nicht mehr möglich. Und wo führt das hin für unsere Bewohner? Nähe und Zuwendung sind das Wichtigste. Wir, die Gesellschaft, nehmen ihnen in der letzten Lebenszeit genau das.“

Der Poidl und sein Spruch

Optimistisch stimmt sie, dass seit dieser Woche drei Viertel der Bewohnerinnen geimpft sind, und rund 50 von 70 Mitarbeitern könnten immun sein, durch die Impfung einerseits und überstandene Infektionen andererseits. So lebt die Hoffnung, die der 78-jährige Manfred Poidl Seitner mit einem Ausspruch geprägt hat. Pflegechefin Budemayr erzählt: „Wie wir die Isolierstation abgebaut haben und die Schleusen aufgemacht haben, war der Poidl der erste, der mit dem Rollator rausgefahren ist und gesagt hat: ‚Hurra, wir leben noch!‘.“