Der Angeklagte, dem vorgeworfen wird, seine Ex-Freundin erschossen zu haben, wird am Montag von Justizwachebeamten in den Verhandlungssaal geführt.
APA/INGRID KORNBERGER
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Gericht

Ex-Freundin erschossen: Kaltblütiger Mord?

Ein 35-jähriger Oberösterreicher muss sich seit Montag in Graz wegen Mordes und Mordversuchs vor Gericht verantworten: Er soll im Februar des Vorjahres seine Ex-Freundin erschossen und in Richtung ihres Bruders geschossen haben.

Die Beziehung der 34-Jährigen aus der Gemeinde Großwilfersdorf mit ihrem mutmaßlichen Mörder dauerte nur wenige Monate. Der 35-jährige Ex-Freund soll die Frau belogen und überwacht haben – daraufhin hatte die Frau die Beziehung beendet. Der Staatsanwalt sprach beim Auftakt der Verhandlung am Montag von einem „besonders grausamen Verbrechen“.

Opfer lebte in Angst vor mutmaßlichem Täter

Der Jurist aus Oberösterreich soll das Ende der Beziehung nicht akzeptiert haben: Nach der Trennung habe die Frau in Angst vor ihm gelebt, heißt es seitens der Staatsanwaltschaft. Freunde seien bei ihr ins Haus eingezogen, weil sie Angst vor der Rückkehr des Ex-Freundes hatte und wusste, dass er eine Waffe besaß; zudem soll er auch versucht haben, in ihr Haus einzudringen. Die Frau habe über WhatsApp ihre Nachbarn aufgerufen, achtsam zu sein und sie sofort zu informieren, wenn der Ex-Freund auftauche.

Schon Tage vor der Tat soll der Angeklagte mit einem Schlüssel, den er noch besaß, ins Haus der Frau eingedrungen sein, um „persönliche Sachen zu holen“, darunter angeblich auch seine Pistole, die er legal besaß und im Haus der Frau aufbewahrt hatte – er meldete die Waffe dann aber als gestohlen.

Ende Februar des Vorjahres wurde dann laut Staatsanwaltschaft die Alarmanlage der Frau deaktiviert, kurz darauf soll der Ex-Partner ins Haus eingedrungen sein und die Frau überrascht haben. Sie habe über Textnachrichten ihren Bruder zu Hilfe gerufen – laut Staatsanwalt soll sie geschrieben haben: „Er hat mich.“ Der Bruder habe sofort darauf die Polizei alarmiert und sich auf den Weg gemacht.

Frau versuchte, mit Bruder zu flüchten

Als er beim Haus auftauchte, soll der Oberösterreicher auf die Frau zu schießen begonnen haben – er traf sie durch eine Tür hindurch in den Bauch. Sie flüchtete mit ihrem Bruder in die Küche, weitere Schüsse fielen. Die 34-Jährige floh dann in den Schrankraum. „Er rannte ihr nach, getrieben vom Willen, sie zu töten“, schilderte der Staatsanwalt am Montag. Er traf sie weitere Male, sie ging zu Boden, und dann stellte er sich über sein Opfer und „drückte wie bei einer Hinrichtung noch zwei Mal eiskalt ab“, führte der Ankläger aus.

In der Folge soll der 35-Jährige auch auf den Bruder geschossen haben, woraufhin dieser gestürzt sei – er blieb aber unverletzt, den Bruder verfehlte der Schütze. Der mutmaßliche Täter wurde noch am Tatort von der Polizei festgenommen – mehr dazu in Frau erschossen: Verdächtiger in U-Haft (26.2.2020).

Der Beschuldigte ging nach der Tat offenbar noch mit der Waffe in der Hand vor das Haus und meinte: „Wäre g’scheiter, ihr ruft die Rettung.“ Laut dem Ankläger schwieg der Beschuldigte dann sieben Monate lang in der Untersuchungshaft; erst als die Ermittlungen abgeschlossen waren und der Akt eingesehen werden konnte, „sagte er plötzlich, sie habe eine Waffe in der Hand gehabt, und er hatte Angst und in Notwehr gehandelt“. Der Bruder soll die Waffe dann verschwinden haben lassen, ehe die Polizei das Haus durchsuchte, so seine Verteidigung.

Acht Schüsse – sechs trafen das Opfer

Der Staatsanwalt schilderte am Montag den „nicht alltäglichen Fall“ und sprach von einem „besonders grausamen Verbrechen“ des Juristen: Er soll seine ehemalige Lebensgefährtin „in zerstörerischer Wut, eiskalt und gnadenlos erschossen“ haben. Acht Mal soll er gefeuert haben, sechs Mal traf er das Opfer. Der Staatsanwalt sah als Motiv die Wut eines gekränkten, verlassenen Mannes: „Er wollte die Kontrolle, und verkraftete nicht, dass sie nichts mehr von ihm wissen wollte.“ Vor der Tat gab es Drohungen, denn „er ertrug die Niederlage nicht“, so der Staatsanwalt weiter, der sich auch überzeugt zeigte, dass der Angeklagte aus „reiner, kaltblütiger Mordabsicht“ gehandelt habe.

Anwalt fordert im Zweifel Freispruch

Der Verteidiger des Angeklagten meinte, dass die Anklage seinem Mandanten gegenüber nachteilig ausgelegt worden sei: „Ob es so war, ist hier in der Hauptverhandlung zu prüfen.“ Im Zweifel müsse man den Angeklagten freisprechen. Sein Eröffnungsplädoyer wurde dann von der Gerichtspräsidentin unterbrochen, denn sie überprüfte die Einhaltung der Covid-Maßnahmen und sorgte für die nötigen Abstände der Zuschauer im Gerichtssaal.

Der Verteidiger führte weiter aus, dass sein Mandant nach der Trennung Ruhe, aber auch noch seine Waffe zurück haben wollte. „Das einzige, was sie noch verband, war diese blöde Waffe, die noch im Haus war.“ Er sei daher ins Haus und wollte sie holen, doch im sogenannten Katzenzimmer traf er auf seine frühere Freundin; es soll sogar ein „halbwegs vernünftiges Gespräch“ gegeben haben, sagte der Verteidiger.

Verteidiger spricht von „Notwehrüberschreitung“

Dann sei alles innerhalb weniger Sekunden passiert: Die Frau soll selbst eine Waffe gehabt haben, der Oberösterreicher habe Angst gehabt und schoss durch eine geschlossene Tür hindurch. Dann sei er hinaus und sah, dass die Frau eine Waffe in der Hand hat: „Er schoss auf sie, ohne dass sie einen Schuss abgeben konnte.“ Dass er dann noch über ihr stand und schoss, sei laut dem Verteidiger „theatralisch“, aber entspreche nicht der Wahrheit.

Der Verteidiger forderte die Auswertung einer Audio-Datei an, die durch den Notruf aufliegen würde und die Licht in die Sache bringen könnte; er ist sich sicher, dass sein Mandant keinen Plan hatte, seine Ex-Freundin zu töten: „Beide hatten eine Waffe, und das heißt dann Notwehr, und wenn diese zu viel ist, ist es Notwehrüberschreitung.“ Der Anwalt kritisierte auch, dass Daten aus Überwachungskameras nicht vorliegen würden – die Datenträger hätten gefehlt. Er meinte, dass die Brüder des Opfers „Zeit und die Möglichkeit“ hatten, Beweise im Haus verschwinden zu lassen.

Angeklagter am Wort – Richterin fassugnslos

Der Angeklagte schilderte dann in ruhigen Worten, wie sich alles seiner Ansicht nach abgespielt hatte. Er sei mit einem fremden Auto in die Steiermark gekommen, hätte eine ungeladene Waffe dabei und wollte in dem Auto in einem Wald die Nacht verbringen. Es sei ihm aber zu kalt geworden und daher habe er mitten in der Nacht beschlossen, in das Katzenzimmer beim Haus seiner früheren Freundin einzusteigen und dort zu schlafen. Er wollte dann eine Aussprache mit ihr. Die beisitzende Richterin glaubte ihm nicht und meinte: „Ich bin fassungslos. Ich habe selten so eine Verantwortung gehört.“ „Es war nicht die beste Idee“, gestand der Beschuldigte ein. „Für wie blöd halten Sie uns?“, meinte die Richterin dazu.

Beschuldigter schlüpft in die Opferrolle

Der Beschuldigte gab an, dass es tatsächlich ein, seiner Ansicht nach, gutes Gespräch am Morgen des 23. Februar mit ihr gegeben habe, obwohl er heimlich ins Haus eingestiegen war und hinter einer Tür auf sie gewartet hatte. Erst als der Bruder auftauchte, dem sie noch geschrieben hatte, sei die Stimmung gekippt. Er habe fahren wollen, alle Beteiligten waren bereits draußen, doch dann habe sie ihn bedroht. Als sie ins Haus rannte, weil sie offenbar die Waffe holen wollte, sei er über eine andere Seite hinein, um ebenfalls die Pistole zu holen. Dann sei alles schnell gegangen: Er war zuerst bei seiner Pistole und habe seine ehemalige Partnerin mit einer anderen Waffe gesehen, diese Waffe ist laut Staatsanwaltschaft aber bis heute nicht aufgetaucht.

Flehender Notruf des Bruders im Gerichtssaal eingespielt

Dann er habe „Angst und Panik“ gehabt, sagte der Angeklagte, vergoss Tränen und schluchzte. Er schoss und traf sie durch die Tür in den Bauch, dann sei er ihr nach und schoss noch mehrere Male auf sie, weil diese angeblich auf ihn gezielt hatte. Der vorsitzende Richter wollte wissen, warum der Oberösterreicher denn ihr nachgelaufen sei, wenn von ihr Gefahr ausgegangen ist. „Ich wollte nicht, dass sie auf mich schießt“, war eine seiner Antworten.

Bedrückend wurde die Situation im Gerichtssaal, als der Notruf des Bruders vorgespielt wurde, in dem die Szenen von Anfang bis Ende zu hören waren: Schüsse, Schreie und das minutenlange, verzweifelte Flehen des Bruders nach Polizei und Rettung. Eine Frau, die Mutter des Opfers, begann im Gerichtssaal bitterlich zu weinen, Angehörige trösteten sie. Der Beschuldigte dagegen saß ruhig da. „Sie weinten nur vorher, und jetzt sitzen Sie regungslos wie ein Stein da“, bemerkte der vorsitzende Richter in Richtung des Angeklagten.

Nach der Schilderung des Beschuldigten wurde er eingehend befragt. Der Richter wollte wissen, warum er erst nach sieben Monaten in Untersuchungshaft zum ersten Mal von Notwehr sprach. „Mein Anwalt riet mir, nichts zu sagen.“ Erst als er den Anwalt gewechselt habe, wollte er aussagen. „Wenn ich in Notwehr handle, sage ich das in der Sekunde, nicht erst sieben Monate später“, meinte der Richter.

Erschütternde Aussagen des Bruders vor Gericht

Danach wurde auch noch der Bruder des Opfers gehört, der ebenfalls am Tatort war, alles mitangesehen hatte und auf den der Beschuldigte ebenfalls geschossen haben soll. Er berichtete zunächst von anderen Ex-Freundinnen, mit denen seine Schwester Kontakt aufgenommen hatte. Sie alle sagten, dass der Oberösterreicher sie kontrollieren wollte, sie gefilmt und geschlagen hatte. Sie seien alle froh gewesen, als er weggezogen war. Als der Bruder auf die Stunden vor den Schüssen kam, konnte er seine Tränen nicht mehr halten. Weinend zeigte er den Geschworenen das letzte Foto, das er wenige Tage zuvor von seiner Schwester gemacht hatte: „Sie hat so gestrahlt“, schluchzte er.

Am Vorabend der Tat hatten sie noch zusammen gegessen und er sorgte sich, dass sie alleine nach Hause fuhr. Gleich am Morgen wollte er von ihr wissen, ob es ihr gut ginge, doch wenig später habe die 34-Jährige ihm geschrieben: „Hilf mir. Er ist da. Ruf die Polizei, er hat mich.“ Er sei sofort zu ihr gefahren und sah sie auf der Terrasse zusammen mit dem Angeklagten: „Sie war im Schlafmantel und kasweiß im Gesicht, ich wusste, dass sie Angst hat.“ Er ging zu ihm und sagte ihm, er soll sie in Ruhe lassen. Wenig später soll der Angeklagte ihm Haus verschwunden sein, um offenbar die Waffe zu holen.

„Auf einmal ging es puff, puff“

Der Bruder schilderte, wie sie ebenfalls ins Haus liefen und die Tür zum Zimmer, in dem die Pistole war, aufdrücken wollten, aber sie ging nicht auf: „Auf einmal ging es puff, puff, meine Schwester schrie“, schilderte der Bruder unter Tränen. Sie liefen weg, in Richtung Küche und der Angeklagte sei da gestanden und habe auf sie beide gezielt und geschossen. „Meine Schwester hielt sich das Gesicht, oh Gott, oh Gott“, brach es aus dem Zeugen heraus. Dann sei der Beschuldigte seiner Schwester nachgelaufen, mit gestreckter Hand und Pistole auf die Frau gerichtet: „Er ging wie eine Maschine mit der Waffe in der Hand.“ Abermals fielen Schüsse: „Sie ging bretteleben nieder, aber es war kein Blut. Ich dachte mir, es ist wie im Film. Dann stellte er sich mit beiden Beinen über sie, hielt die Waffe mit beiden Händen, zielte auf sie und schoss. Die Stirnadern und die Augen drückte es ihm heraus.“

Viele Tränen im Gerichtssaal

Danach flüchtete der Bruder aus dem Haus. Er habe lange gehofft, dass es vielleicht nur eine Schreckschusspistole war, weil er kein Blut und keine Einschusslöcher sah. Doch dann traf die Polizei ein und der Oberösterreicher ließ sich vor dem Haus festnehmen: „Erst als er die Hand hob, sah ich das Blut und ich wusste, dass es echt war“, so der Bruder. Während er den Hergang schilderte, weinte im Zuschauerraum die Mutter des Opfers und so mancher anderer Zuschauer konnte die Tränen ebenfalls nicht zurückhalten. „Sie war im Bademantel, hilflos, hat nichts getan, wie kann man das machen? Sie hat ein Kind“, schluchzte der Bruder.

Der Angeklagte blieb während der emotionalen Aussagen ruhig und gefasst sitzen. Auf die Frage des Richters, was er nun zu den Angaben des Zeugen sagt, meinte der 35-Jährige: „Das stimmt so nicht.“ „Warum soll er lügen? Seine Schwester ist tot, das Schlimmste ist ihm schon passiert“, warf Rom ein. Darauf hatte der Angeklagte kaum eine Antwort parat.

Urteil für Donnerstag geplant

Am Nachmittag wurde dann auch noch eine Aufnahme vorgespielt: Es handelte sich um ein mehr als 20 Minuten langes Gespräch zwischen der Steirerin und dem Beschuldigten. Sie warf ihm an den Kopf, dass er auf Knopfdruck weine und dauernd lüge. Er gestand ihr, sie mehrfach belogen zu haben und meinte, dass er als Jurist verlernt habe, die Wahrheit zu sagen. Gegenüber dem Richtersenat und den Geschworenen beteuerte er aber, dass er hier die Wahrheit sage, denn „in so einem Prozess kann man nicht lügen, ohne entdeckt zu werden“.

Der Prozess wird am Dienstag mit der Befragung von Zeugen fortgesetzt und ist vorerst für vier Tage angesetzt – unter anderem werden zehn Zeugen und vier Gutachter gehört; ein Urteil soll es am Donnerstag geben.