Chronik

Mordprozess: „Zuckerbrot und Peitsche“

In Graz ist am Dienstag der Prozess gegen einen 35-Jährigen fortgesetzt worden, der seine ehemalige Freundin kaltblütig erschossen haben soll. Mehrere seiner Ex-Freundinnen berichteten von massiver Gewalttätigkeit, die befragten Gutachter sorgten dagegen für Erstaunen.

Der Prozess gegen den Oberösterreicher begann am Montag: Die Anklage wirft dem Mann vor, im Februar des Vorjahres seine Ex-Freundin durch mehrere Schüsse getötet und auch in Richtung des Bruders des Opfers geschossen zu haben – mehr dazu in Ex-Freundin erschossen: Kaltblütiger Mord?. Am Dienstag wurde der Prozess mit weiteren Zeugeneinvernahmen fortgesetzt, darunter auch frühere Lebensgefährtinnen und Affären des Mannes sowie der zweite Bruder des Todesopfers.

Angeklagter lieh sich für die Tat das Auto einer Freundin

Sämtliche Zeugen belasteten den Angeklagten schwer. „Wenn er in Rage war, half es nur noch, zu flüchten“, sagte etwa eine ehemalige Lebensgefährtin. Insgesamt wurden drei Ex-Freundinnen des Beschuldigten am Dienstag eingehend befragt. Von einer hatte er sich jenes Auto geliehen, mit dem er im Februar des Vorjahres zum späteren Tatort gefahren war.

Die Besitzerin – mit ihr hatte er offenbar eine Beziehung, als er bereits mit der Steirerin zusammen war – sagte aus, er habe zu ihr gesagt, dass er ein Vorstellungsgespräch hätte und nicht mit seinem Auto hinfahren möchte, weil das zu protzig sei. Dass er in Wahrheit damit zur anderen Freundin, dem späteren Opfer, nach Großwilfersdorf fuhr, habe er ihr verschwiegen. Über ihn selbst konnte sie wenig Positives sagen: „Es stellte sich heraus, dass er oft gelogen hat.“

Nebenbuhlerin Nachrichten diktiert

Das spätere Opfer hatte davor mit der Zeugin Kontakt aufgenommen, um herauszufinden, wie oft er sie belogen hatte. Der Oberösterreicher soll die Zeugin auch überredet haben, der Steirerin Nachrichten zu schicken, deren Inhalt sei aber nicht richtig gewesen: „Er diktierte mir, was ich schreiben sollte.“ Als sie ihm auf die Schliche kam, dass er zeitgleich mit ihr und mit der Steirerin eine Beziehung am Laufen hatte, beendete sie das mit ihm: „Er weinte dabei.“ Das stritt der Beschuldigte allerdings ab: „Ich habe nicht geweint und ihr auch nichts diktiert. Ich habe sie gebeten, das zu schreiben.“

Ex-Freundin: „Es war wie in einer Gefangenschaft“

Anschließend wurde jene Frau befragt, mit der der Angeklagte mehr als zehn Jahre lang eine Beziehung hatte. Sie sagte aus, dass er sehr kontrollierend gewesen sei, viel gelogen habe und gewalttätig gewesen sei, wenn sie nicht gemacht habe, was er wollte. „Es war wie in Gefangenschaft, aus der ich mich sehr spät befreien konnte.“ Sie sprach von Handgreiflichkeiten, Tritten und psychischer Gewalt und meinte, es war wie „Zuckerbrot und Peitsche“. Er habe sie getreten, als sie schon am Boden lag, und wenn sie ihn verlassen wollte, habe er wieder geweint und versprochen, er mache es nie wieder. „Er akzeptiert keine Zurückweisung. Er hat mich dann belagert, bequatscht, Rosen geschickt und Plakate aufgehängt.“

Er hat Gespräche mit ihr aufgezeichnet, die er dann seiner anderen Freundin vorgespielt hatte: „Da klingt es, als wäre er der Vernünftige.“ Sie schilderte auch, dass er ihr gegenüber oft „von Null auf 10.000 gegangen ist, ohne Vorwarnung. Er verfolgte mich, ich fiel hin, und er trat wie wild auf mich ein. Wenn er in Rage war, half es nicht zu flüchten.“

Heimliche Kameraaufzeichnungen im Schlafzimmer

Eine dritte Ex-Freundin unterstrich die Angaben der anderen Frauen: „Er stellte seine Ex-Freundin vor mir als psychisch gestört hin. Er spielte mir die Audio-Dateien vor, die hat er so zusammengeschnitten und verdreht.“ Bei ihr hatte der Beschuldigte sogar heimlich eine Kamera im Schlafzimmer montiert, um zu überprüfen, ob sie noch etwas mit dem Vater ihrer Kinder hat. Als die Kamera entdeckt wurde und sie ihn verklagen wollte, bekam sie Schadenersatz bezahlt, doch er filmte auch später noch durch die Fenster bei ihr ins Haus hinein und überwachte sie. „Er spielte mir etwas vor, was er gerne sein möchte, aber da war ja nix wahr, was er erzählt hat.“

Bruder erzählte von sterbender Schwester

Neben den Ex-Freundinnen wurde Dienstagvormittag auch der zweite Bruder des Todesopfers gehört. Er traf kurz nach den Schüssen am Tatort ein und versuchte noch, seiner schwer verletzten Schwester zu helfen: „Sie lag am Boden, da war gar nicht so viel Blut, nur an der Mauer. Ich sagte ihr, sie soll da bleiben, weil wir sie brauchen“, schilderte er unter Tränen. „Sie schaute noch einmal her, konnte aber nichts mehr sagen. Ich habe mich bei ihr entschuldigt, dass ich zu spät kam.“

Auf die Frage des Richters, ob er eine Waffe, die die Steirerin laut dem Angeklagten bei sich gehabt haben soll, verschwinden hat lassen, antwortete der Zeuge: „Nein, wie kommt man auf so eine Idee? Meine Priorität war, dass meine Schwester überlebt. Sie war angeschossen und stirbt, da dachte ich nicht an Patronen oder eine Waffe.“ Er klärte auch auf, dass in den Überwachungskameras im Haus nie Speicherkarten waren, auf denen etwas aufgezeichnet wurde.

Gutachter: Kein „Vollbild einer Persönlichkeitsstörung“

Noch am Dienstagnachmittag wurden auch zwei Gutachter gehört – der psychologische und der psychiatrische Sachverständige: Sie hatten die Persönlichkeit des Angeklagten mittels Tests, Gesprächen und seinem bisherigen Leben und möglichen vorliegenden Therapien unter die Lupe genommen. Zur Überraschung vieler kamen sie zu dem Schluss, dass der Oberösterreicher an keinem „Vollbild einer Persönlichkeitsstörung“ leide, sondern lediglich eine sogenannte Akzentuierung aus dem narzisstischen Bereich vorliege – es sei also keine schwerwiegende psychische Erkrankung erkennbar. Sehr wohl aber liegen bei ihm laut den Gutachten Defizite in der Aufarbeitung von Emotionen sowie eine gewisse Empathielosigkeit vor.

Sowohl der Anwalt der hinterbliebenen Brüder, als auch alle drei Mitglieder des Richtersenats hakten rund zwei Stunden lang bei den Gutachtern nach, wie sie zu ihren Schlüssen kamen. Diese erklärten, dass man für die Erstellung der Gutachten mehrere Tests mit dem Angeklagten durchgeführt und seine Krankengeschichte angefordert habe, bisher würden aber keine bekannten Therapien vorliegen.

Ein entscheidendes Kriterium ist laut den Sachverständigen, dass der Beschuldigte in seinen Jugendjahren psychisch nicht auffällig gewesen sei – das sorgte bei einem Richter und dem Anwalt der Brüder für Unverständnis, denn nur weil es keine Aufzeichnungen gibt, heiße das nicht, dass es nicht vielleicht so war.

„Ein Freund reicht? All die Frauen zählen nicht?“

Der Richtersenat und der Anwalt wollten von den Gutachtern wissen, welche Kriterien es denn beim Krankheitsbild Narzissmus geben würde. Als die Punkte aufgezählt wurden, sagte der Anwalt: „Das ist doch genau der Angeklagte, wie er da sitzt.“ Fast alle Kriterien seien erfüllt, ist er überzeugt.

Doch die Gutachter verteidigten ihre Expertisen mit ähnlicher Vehemenz wie die an sie gerichteten Fragen. Für das Vollbild einer Persönlichkeitsstörung müsste der Angeklagte unter anderem Probleme mit allen Menschen in seinem Umfeld haben, nicht nur mit seinen Partnerinnen, doch er habe schon seit zehn Jahren eine intakte Freundschaft, führte ein Gutachter an. „Also ein Freund reicht, um zu sagen, er ist nicht gefährlich. All die Frauen dagegen zählen nicht?“, fragte eine der beisitzenden Richterinnen ungläubig. Die Fachleute blieben bei ihrer Expertise, empfahlen dem Beschuldigten allerdings eine Therapie, um die „Akzentuierung“ aufzuarbeiten.

Lokalaugenschein am Tatort am Mittwoch

Der Prozess wird am Mittwoch mit einem Lokalaugenschein am Tatort in der Oststeiermark fortgesetzt: Alle Geschworenen sowie der Richtersenat, Anwälte, Verteidiger, der Beschuldigte sowie die Brüder sollen da noch einmal zeigen bzw. sehen, wie sich damals alles abgespielt hat – Medien sind dabei aus Pietätsgründen nicht erwünscht; einer der Brüder lebt nun im Haus seiner toten Schwester.