Katholische Kirche  Jesus auf Kreuz
APA/ROBERT JAEGER
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Religion

Karfreitagsansprache von Wolfgang Rehner

Auch die christlichen Osterbotschaften stehen heuer ganz im Zeichen der CoV-Krise. Superintendent Wolfgang Rehner erinnert an unzählige Karfreitagsmomente.

Der Karfreitagsmoment:

Die Frauen stehen unterm Kreuz. Nichts mehr geht. Alles ist so leer, sie sind so hilflos.
Wer im letzten Jahr einen geliebten Menschen in seinen letzten Tagen nur in Gedanken begleiten konnte, kennt einen ähnlichen Schmerz: In der schweren Stunde die Hand nicht halten dürfen, letzte Worte nicht sagen können – das macht das Herz wund. Die Frauen standen unterm Kreuz, aber sie konnten Jesus die Hand nicht halten. Ihre Leere, ihre Hilflosigkeit können nach einem Jahr der Pandemie so viele nachvollziehen.

Der Karfreitagsmoment des Petrus. Er wollte es besser machen. Er wollte allen zeigen, dass es sich lohnt, für Jesus zu kämpfen. Er wollte treu bleiben, wenn alle längst ihr Mäntelchen nach dem Wind gewendet hatten. Aber als das Dienstmädchen ihn auf Jesus angesprochen hat, war er zu feige. Da ging er weg und weinte.

Die deutsche Kanzlerin war nicht feige. Sie trat vor die Öffentlichkeit und sagte: Es ist allein meine Schuld. Sie hatte ihr Mäntelchen nicht nach dem Wind gedreht. Aber es war für sie sehr wohl ein Karfreitagsmoment und an einer Stelle dem des Petrus durchaus vergleichbar: Der Wille, Kurs zu halten, der Wille, dem eigenen Anspruch treu zu bleiben, reicht nicht. Am Ende stand sie zwar nicht weinend da, wie Petrus. Aber sie hatte für einen Lockdown, den sie „Osterruhe“ nannte, gekämpft und verloren.

Der Karfreitagsmoment des Judas. Er hat einen Satz gesagt. Der kostete Jesus das Leben. Diese Schuld erdrückte ihn. Er nahm den Strick.
Wir führen ein Gespräch. Und nachträglich merke ich, da war ein Satz, der mein Gegenüber so verletzt hat, dass es nicht mehr gut zu machen sein wird. Ab hier werden unsere Wege nicht mehr zusammenfinden. Auch wenn weder ich, noch mein Gegenüber danach den Strick nehmen, auch wenn diese Verletzung nicht universale Bedeutung hat: Das ist ein Karfreitagsmoment.

Der Karfreitagsmoment des Gekreuzigten: Da hängt er, so nah an geliebten Menschen und doch nicht erreichbar für sie. Der stärkste unter seinen Begleitern hat sich weinend versteckt und der Verräter hat sich ganz verabschiedet. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Der Schrei der Gottverlassenheit ist im Jahr der Pandemie öfter zu Gott gedrungen. Unzählige Karfreitagsmomente hat es gegeben.

Der Schrei der Gottverlassenheit deutet gleichzeitig die Lösung an. Der Gekreuzigte wendet sich gerade nicht von Gott ab, sondern schreit zu ihm: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Und wir erfahren: Gott bleibt dabei, in der finstersten Stunde, in den Karfreitagsmomenten des Lebens.
In dieser Welt wird es trotz aller Impfungen immer Krankheiten geben. Sterben und Tod werden immer am Ende der irdischen Wegstrecke warten.
Der Karfreitag hat dafür eine doppelte Botschaft:
1) Auch in den finstersten Stunden bleibt Gott in Rufweite, er geht den Weg des Menschen bis in den Tod.
Und
2) Gott, der den Weg des Menschen bis in den Tod geht, will nicht, dass der Mensch im Tod bleibt.
Gottes Licht wartet nicht, bis das Ende des Tunnels kommt. Das Osterlicht leuchtet auf, schon jetzt, trotz aller Karfreitagsmomente. Und nach dem letzten Karfreitagsmoment erwartet uns das Osterlicht in vollem Glanz.

So grüße ich heute und zum Osterfest:
Bleiben Sie gesund, seien Sie gesegnet!