Betrug beim Bau des Semmeringtunnels: Prozess
APA/INGRID KORNBERGER
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Gericht

Millionenbetrug bei Semmeringtunnel: Prozess

In Leoben hat am Montag der Prozess um einen mutmaßlichen Millionenbetrug beim Bau des Semmering-Basistunnels begonnen. Die sechs Angeklagten sollen Baumaterial und Diesel im Wert von rund 1,8 Mio. Euro abgezweigt haben.

Die Staatsanwältin wirft den Angeklagten vor, dass sie vor allem in den Jahren 2018 und 2019 beim etwa sieben Kilometer langen Tunnelabschnitt Grautschenhof in der Steiermark – es handelt sich um das dritte Baulos – Baumaterial im Wert von etwa 1,6 Mio. Euro und Dieseltreibstoff im Wert von rund 200.000 Euro abgezweigt haben. Die Männer sollen unter anderem mit Scheinrechnungen und -lieferungen gearbeitet haben – mehr dazu in Millionenbetrug beim Semmering-Tunnelbau (noe.ORF.at, 25.10.2020).

„Dreh- und Angelpunkt“ war laut der Anklägerin der Zweitangeklagte, ein 35-jähriger Niederösterreicher: Er war als Baukaufmann für die bauausführende Arbeitsgemeinschaft (ARGE) tätig und sollte die Lieferungen und Rechnungen kontrollieren. Er soll – zusammen mit den anderen Angeklagten – die ARGE geschädigt und sich selbst oder Dritte dadurch bereichert haben. Die Staatsanwältin führte weiter aus: „Die Angeklagten haben sich bisher unterschiedlich verantwortet: Manche legten ein umfassendes, sich selbst belastendes Geständnis ab. Andere sprachen von einer Verschwörung gegen ihre Person.“

Gegenseitige Beschuldigungen

Nach der Staatsanwältin waren die Verteidiger am Wort: Zunächst sagte der Anwalt eines 48-jährigen Niederösterreichers, dass sein Mandant beim voll umfänglichen Geständnis bleiben wird. Der Mann habe von Beginn an alles zugegeben und wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen: „Den Tatplan hat der Zweitangeklagte entworfen.“

Dessen Anwalt wies das sofort zurück: „Drei der sechs Angeklagten sind vollkommen unschuldig. Es ist grotesk, wie die Kriminalpolizei da ermittelt hat.“ Sein Mandant sei ein „anständiger Mensch“, Familienvater und habe genug Geld gehabt. Keinen Cent habe der Niederösterreicher illegal in seine eigene Tasche gesteckt. „Die Polizei fand auch nichts. Wo soll das ganze Geld sein?“ Der 35-Jährige habe sein Vermögen auch nicht versteckt, „weil er unschuldig ist“.

„So dilettantisch kann kein Mensch sein“

Die vorgeworfenen Delikte seien viel zu offensichtlich: „So dilettantisch kann kein Mensch sein“, so der Anwalt weiter, „er wäre ein Vollidiot, wenn er das so gemacht hätte“. Der Beschuldigte werde jedenfalls um seinen Ruf vor Gericht kämpfen. Der Verteidiger sagte, dass vielmehr der 48-jährige Niederösterreicher die Schuld trage: „Der versucht sich selbst zu retten und belastet meinen Mandanten.“

Auch der Verteidiger des dritten Angeklagten, es handelt sich um einen 40-jährigen Niederösterreicher, wies die Schuld an den Malversationen von seinem Mandant: „Er ist ein Geschäftsmann, hat mehrere Unternehmen und mit keinem Probleme. Die Staatsanwaltschaft versucht, aus einem Zivilprozess einen Strafprozess zu machen. Mein Mandant hat nichts Unrechtes gemacht.“

„Da werden keine Schrauben gezählt“

Der vierte Beschuldigte, ein 53-jähriger Burgenländer, wird sich laut seines Anwalts ebenfalls nicht schuldig verantworten. Der Angeklagte soll als Magazineur bei der Verwaltung des Warenlagers den Betrug mitverantwortet haben, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Der Anwalt schilderte, dass bei so einer Baustelle ein „unfassbarer Aufwand an Material“ nötig sei. Es würden allein an einem Vormittag vier bis fünf Lkw-Ladungen geliefert. „Bitte daher diese Kontrolle nicht überbewerten. Da werden keine Schrauben gezählt.“

„Da ist nix da“

Der Anwalt des fünften Angeklagten, ein 68-jähriger Oberösterreicher, sagte, dass sein Mandant beim Geständnis bleiben wird. Der Verteidiger des sechsten Angeklagten, es handelt sich um einen 59-jährigen Tiroler, wies die Vorwürfe, die seinem Mandanten unterstellt werden, zurück. Der Mann sei Unternehmer und mit seiner Firma Marktführer, man mache gute Gewinne: „Er hatte das nicht notwendig.“ Außerdem sei er auch nicht für das Tagesgeschäft zuständig. Der Verteidiger kritisierte ebenfalls die Anklage: „Es gibt keine Beweise gegen meinen Mandaten, da ist nix da.“

„Körberlgeld für die Oberen“

Am Nachmittag wurde dann als erster Angeklagter der 48-jährige Niederösterreicher gehört. Er war von Anfang an geständig und gab zu, beim Abzweigen des Diesels geholfen zu haben. Der Zweitangeklagte habe ihn dazu ins Boot geholt: „Er fragte mich, ob ich nicht ein paar Bauern wüsste, die Diesel brauchen, der beim Semmering-Basistunnel übrigbleibt.“

Als er genügend Abnehmer gefunden hatte, kümmerte sich der 48-Jährige unter anderem um das Einkassieren bei den Landwirten, die für den Treibstoff 70 bis 80 Cent bezahlten. Zum Teil sei der Inhalt eines ganzen Tankwagens auf diese Weise verkauft worden. Der Erlös sei das „Körberlgeld für die Oberen“, und das sei so üblich auf derartigen Baustellen, soll der 35-Jährige zum 48-Jährigen gesagt haben. Die Landwirte hätten übrigens alle gewusst, dass der Diesel von der SBT-Baustelle kam. Mitgemacht habe der Beschuldigte auch deswegen, weil er sich als Außendienstmitarbeiter einer Transportfirma weiterhin Aufträge für seinen Arbeitgeber erwarten konnte.

Es drohen bis zu zehn Jahre Haft

Jenen Angeklagten, bei denen die angenommene Schadenssumme den Betrag von 300.000 Euro überschreitet, droht eine Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und zehn Jahren, den übrigen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren. Insgesamt sind elf Verhandlungstage vorgesehen, 18 Zeugen sind geladen. Die Urteilsverkündung wird für Ende April erwartet.