Lungenkrebs-Untersuchung
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Wissenschaft

Computermodell für Lungenkrebs aus Graz

Grazer Forscher haben in internationaler Zusammenarbeit erstmals ein digitales Modell einer Krebszelle entwickelt, das die Veränderungen des Membranpotenzials simulieren kann. Gelungen ist das für den Bereich des Lungenadenokarzinoms.

Krankhafte Veränderungen der elektrophysiologischen Spannung der Zellmembran sind im Zusammenhang mit der Krebsentstehung und -weiterentwicklung von grundlegender Bedeutung. Die Computersimulation ermöglicht es vorherzusagen, wie sich Medikamente auf die Zellmembranspannung auswirken.

Nicht erregbare Krebszellen

In der biomedizinischen Grundlagenforschung gehören Computersimulationen seit Jahren zu den Standardwerkzeugen. Bisher beschäftigten sich die Forscher vor allem mit erregbaren Zellen wie Nerven- oder Herzmuskelzellen, wodurch Simulationen elektrophysikalischer Vorgänge auf zellulärer, Gewebs- und Organebene möglich wurden – solche Modelle werden bereits zur Unterstützung von Diagnosen oder auch zur Begleitung von Therapien im klinischen Alltag eingesetzt.

Das Grazer Forschungsteam um Christian Baumgartner am Institut für Health Care Engineering hat unter Mitwirkung der Medizinischen Universität Graz und des Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York den Fokus jedoch erstmals auf die elektrophysiologischen Eigenschaften von nicht erregbaren Krebszellen gelegt. Das Modell haben sie im Fachjournal PLoS Computational Biology präsentiert.

„Im Vergleich zu erregbaren Zellen erfolgen die Änderungen aber sehr langsam und über den gesamten Zellzyklus hinweg, also über Stunden und Tage, und dienen als Signal für den Übergang zwischen den einzelnen Zellzyklusphasen“, erklärt Christian Baumgartner. Er hat gemeinsam mit Theresa Rienmüller und Sonja Langthaler die Idee verfolgt, ein Simulationsmodell dieser Mechanismen zu entwickeln.

Ionenkanäle manipulieren

Eine wichtige Rolle kommt in diesem Zusammenhang den Ionenkanälen zu: „Ionenkanäle verbinden das Äußere mit dem Inneren einer Zelle. Sie ermöglichen den Austausch von Ionen wie Kalium, Calcium oder Natrium und regeln dadurch das Membranpotenzial. Änderungen in der Zusammensetzung der Ionenkanäle sowie ein verändertes funktionales Verhalten selbiger können Störungen in der Zellteilung zur Folge haben, möglicherweise sogar die Zelldifferenzierung beeinflussen und damit eine gesunde Zelle in eine krankhafte (karzinogene) Zelle verwandeln“, erklärt Langthaler. Wenn man Ionenkanäle durch neue, Erfolg versprechende Wirkstoffe und Medikamente gezielt manipulieren kann, könnte man andererseits die Zellmembranspannung und damit das gesamte elektrophysiologische System sozusagen aus der Spur werfen.

Für das Krebszellenmodell wählte das Team das Beispiel der menschlichen Lungenadenokarzinom-Zelllinie A549. Das Computermodell kann die rhythmische Schwingung des Membranpotenzials während des Überganges zwischen den einzelnen Zellzyklusphasen simulieren und ermöglicht die Vorhersage, wie sich das Potenzial durch ein medikamentöses Ein- und Ausschalten von Ionenkanälen verändert. „Wir bekommen also Auskunft über die Auswirkungen gezielter Eingriffe auf die Krebszelle“, erklärte Baumgartner.

Ziel: Zellen in bestimmter Phase halten

Ziel der Forschung ist es, mittels gezielter Steuerung der Ionenkanäle die Krebszellen in einer bestimmten Zellzyklusphase festzuhalten – also quasi im Wachstum einfrieren – oder sogar zum Selbstmord anzuregen. Diese Mechanismen sollen sich mithilfe von Modellen simulieren lassen.

Baumgartner und sein Team sehen das erste digitale Krebszellenmodell als den Beginn umfassenderer Forschungen; um den Detailgrad des Modells zu erhöhen, seien weitere experimentelle und messtechnische Validierungen geplant, die man bereits beim Wissenschaftsfonds FWF zur Förderung eingereicht habe.