Lager Liebenau Baustelle
Stadt Graz
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Chronik

Lager Liebenau: Einschussloch bei Knochenfund

Bei einem Knochenfund im ehemaligen NS-Lager Liebenau in Graz dürfte es sich um die Überreste eines Opfers eines Kriegsverbrechens handeln. Bei dem im Jänner gefundenen Schädelknochen wurde ein Einschussloch festgestellt.

Die Stadtgemeinde errichtet derzeit auf dem sensiblen Areal am Grünanger einen neuen Wohnbau. Da es sich dabei um eine historisch bedeutsame Fläche auf dem ehemaligen NS-Lager Liebenau handelt, wurden vor Baubeginn archäologische Untersuchungen durchgeführt.

Dabei stieß man zunächst auf einen während des Zweiten Weltkriegs verfüllten Bombentrichter, der viele persönliche Habseligkeiten von Zwangsarbeitern enthielt. Unter einer Vielzahl von Tierknochen wurden menschliche Langknochenfragmente dokumentiert, wenig später wurde auch ein sogenanntes Schädeldach gefunden – mehr dazu in Knochenfund bei Grabungen in Graz-Liebenau (19.1.2021).

Wohl Opfer eines Kriegsverbrechens

Da aufgrund der Begleitumstände (Lage, Plastikspritzen usw.) am Fundort eine Straftat aus jüngerer Zeit nicht ausgeschlossen werden konnte, wurde die Polizei informiert, welche eine Tatortsicherung durchführte. Die Funde wurden dann an die Kriminalpolizei übergeben, die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein.

Die ersten gerichtsmedizinischen Untersuchungen ergaben, dass die Knochenfunde mehrere Jahrzehnte alt sein dürften und das Schädeldach mit einem sieben Millimeter großen Loch zu einem unbekannten Zeitpunkt fachmännisch – vermutlich im Zuge einer Obduktion – aufgesägt wurde. Es dürfte sich daher um ein Opfer eines Kriegsverbrechens handeln.

Gedenktafel
ORF
Eine Gedenktafel erinnert heute an die Gräueltaten auf dem ehemaligen Lagergelände.

Es werden nun forensische, ballistische und anthropologische Analysen gemacht, auch eine Isotopenanalyse des Knochenfundes wird, wenn die Proben aus dem Knochenmaterial ergiebig sind, ins Auge gefasst – diese Isotopen- und DNA-Analysen könnten Auskunft über die Herkunft des Opfers geben; ein Ergebnis soll es in den nächsten Wochen geben. Nach dem Abschluss dieser Arbeiten werden die Knochenfunde an die Kriegsgräberfürsorge übergeben und von dieser bestattet.

Nicht die ersten archäologischen Funde

Auf dem Areal südlich der früheren Kirchner Kaserne waren 1945 jüdische Gefangene auf ihrem Todesmarsch Richtung Mauthausen untergebracht und viele von ihnen ermordet worden. Nach dem Krieg wurden im Jahr 1947 insgesamt 54 Opfer, davon 32 mit Einschusslöchern im Kopf, exhumiert. In den Jahrzehnten danach wurde das Gebiet zum Teil als Grünfläche, zum Teil als Barackensiedlung genutzt – umfassende archäologische Untersuchungen blieben während dieser Zeit aus. Erst im Zuge der Bauarbeiten zum Kraftwerk Puntigam im Jahr 2017 kamen weitere Funde aus der NS-Zeit ans Licht, menschliche Überreste befanden sich damals jedoch nicht darunter.