Grazer Erklärung zu Sterbehilfe
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Soziales

„Grazer Erklärung“ zum assistierten Suizid

Die Menschenrechtstadt Graz hat eine Erklärung zum assistierten Suizid erarbeitet. Darin wird auf eine „möglichst restriktive Neuregelung“ der Sterbehilfe gedrängt. Auch ein Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizbetreuung wird gefordert.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte im vergangenen Dezember die Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord gekippt, nur die Tötung auf Verlangen ist damit weiterhin strafbar – mehr dazu in Nach VfGH-Urteil: Kriterien für Sterbehilfe gefordert (12.12.2020).

Verfassungskonformes Gesetzes bis Jahresende

Der Bürgermeister der Menschenrechtsstadt Graz, Siegfried Nagl (ÖVP), und sein Vorgänger Alfred Stingl (SPÖ) haben mit Expertinnen und Experten nun eine „Grazer Erklärung“ erarbeitet. Bei der Präsentatition am Mittwoch bekannten sich Nagl und Stingl zwar grundsätzlich zum Spruch des Verfassungsgerichtshofs, bis Jahreswechsel brauche es aufgrund des Spruchs aber ein neu gestaltetes Gesetz.

Nagl Stingl
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„Der Gesetzgeber wird ersucht, eine möglichst restriktive Neuregelung für die Bedingungen des assistierten Suizids zu verabschieden, die zugleich aber vor dem VfGH bestehen kann. Dabei ist auch zu gewährleisten, dass auf diese Weise eine klare Trennlinie zur ‚Tötung auf Verlangen‘ gezogen wird“, heißt es in der Zusammenfassung der „Grazer Erklärung“.

Erklärung im September im Gemeinderat

„Wir müssen rasch und mit einer Reihe von flankierenden Maßnahmen zu einer Kultur des menschenwürdigen Sterbens aber nicht des assistierten Tötens gelangen“, so Nagl. Eben diese Maßnahmen seien im sogenannten Grazer Dialog mit Vertretern der Ärztekammer, den Hospiz- und Palliativanbietern, psychiatrischen, psychologischen und psychotherapeutischen Fachvertretern, Behindertenorganisationen und den Religionsgemeinschaften diskutiert worden.

Die gemeinsame Erklärung der Dialoggruppe werde Mitte September auch in den Grazer Gemeinderat eingebracht. „Es soll eine Petition an die Bundesregierung und den österreichischen Gesetzgeber sein“, sagte Nagl. „Wir haben einige Monate daran gearbeitet, der OGH bekommt unsere Unterlagen, denn er muss bis Anfang Oktober mit dem Vorschlag für das Parlament fertig sein“, sagte Stingl.

Warnung vor vorschnellen Reaktionen

Eine alternativlose Streichung des Paragrafen – ein Auslaufenlassen – sei jedenfalls unannehmbar, meinte Alt-Bürgermeister Stingl. „Es werden sonst Türen geöffnet, die mit der Würde des Menschen nicht vereinbar sind. Lebenshilfe darf nicht von Sterbehilfe übertrumpft werden“, formulierte Stingl sein Unbehagen.

Stingl verwies auch auf die Aussagen der österreichischen Bischofskonferenz: „Zum Leben gehört das Sterben, aber nicht das Töten – damit identifiziere ich mich uneingeschränkt“, so der ehemalige Bürgermeister. „Die Angst vor dem Leid darf uns nicht zu vorschnellen Reaktionen verleiten und Türen öffnen, die wir dann gar nicht mehr zu bekommen“, gab auch Nagl zu bedenken.

Mehr Ressourcen für Hospiz- und Palliativmedizin

Der Beihilfe zum Selbstmord müsse vielmehr eine unabhängige Beratung im Sinne einer fachlichen Expertise vorangehen und die Entscheidung noch vom Betroffenen selbst getroffen werden, die Methoden und Begründungen restriktiv eingeschränkt werden, die assistierten Suizide durch Belegstatistiken zu dokumentieren, führte Nagl einige der festgehaltenen Punkte an.

„Ein assistierter Suizid kann weder eine Lösung noch Erlösung sein, vielmehr müssen Palliativmedizin, Hospiz und psychosoziale Suizidprävention mehr Ressourcen bekommen“, betonte Nagl. Darüber hinaus sei ein Rechtsanspruch für alle in Österreich lebenden Menschen auf Palliativ- und Hospizbetreuung sowie auf psychosoziale Suizidprävention sicherzustellen, schloss der Stadtchef.