KPÖ-Spitzenkandidatin Elke Kahr anl. der Gemeinderatswahl am Sonntag, 26. September 2021, in Graz.
APA/ERWIN SCHERIAU
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Graz-Wahl

Grazer Bürgermeisterin-Sessel für Kahr möglich

Die Grazer KPÖ-Chefin Elke Kahr hat einen Erfolg geschafft, den sie wahrscheinlich nicht einmal selbst für möglich gehalten hätte: Die KPÖ übernimmt Platz eins von der ÖVP. Kahr könnte nun die erste kommunistische Bürgermeisterin von Graz werden.

Bei der Gemeinderatswahl am Sonntag überholte die KPÖ die bisher regierende ÖVP mit Bürgermeister Siegfried Nagl deutlich – mehr dazu in Erdrutsch in Graz: KPÖ auf Platz eins. Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) kündigte noch am Sonntag in der ORF-TV-Sondersendung seinen Rücktritt an – mehr dazu in Bürgermeister Nagl tritt zurück. Bei einem ersten Statement am Wahlabend war Kahr ihrem Wesen gemäß aber nicht triumphierend – mehr dazu in Graz-Wahl: „Mehr als überraschend“.

Entgegen den Umfragen

Kahr hatte vor der Wahl noch gesagt, wenn das zweite, schwach abgesicherte Stadtratsmandat von Robert Krotzer nicht gehalten werden könne, dann gehe sie und übergebe an Krotzer. Davon ist nun keine Rede mehr – eine solche Sensation hatte in Graz niemand erwartet, und auch die Umfragen hatten das nicht hergegeben.

Kahr und ihre Mitstreiter haben sich einmal mehr mit Authentizität als Partei der „kleinen Leute“ positioniert, die auch für Wechselwähler attraktiv ist – offenbar sogar mehr als das: Kahr könnte damit die erste kommunistische Bürgermeisterin von Graz werden.

Stadträtin Elke Kahr (KPÖ) im Rahmen eines Pressegesprächs „Kandidatinnen, Wahlziel und neues Plakat“ anl. der Grazer Gemeinderatswahl am Mittwoch, 18. August 2021, in Graz.
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Jahrelange Beharrlichkeit

Kahr war es schon 2012 gelungen, aus dem Schatten des über Österreich hinaus bekannt geworden früheren Stadtparteichefs Ernest Kaltenegger herauszutreten und an das Sensationsergebnis von 2003 anzuschließen – mit den für die Grazer bzw. steirischen Kommunisten mittlerweile weithin bekannten und typischen Eigenschaften: nachvollziehbares soziales Engagement, Fleiß, Bescheidenheit, Spenden eines Teil des eigenen Gehalts für gute Zwecke („Tag der offenen Konten“ immer am 28. Dezember jedes Jahres, Anm.) und eine jahrelange Beharrlichkeit bei bestimmten Themen wie Sozialcard und Kautionsfonds.

Dabei musste Kahr als Kaltenegger-Nachfolgerin 2008 erst einmal einen Absturz von 20,8 auf 11,2 Prozent verkraften, aus dem ein Verlust von sechs Mandaten und einem Stadtsenatssitz resultierte. 2012 war es wieder anders: Die KPÖ legte wieder um 8,68 Prozentpunkte zu und erreichte mit 19,86 Prozent fast das Ergebnis von 2003, mit einem Stadtsenatssitz und zehn Gemeinderäten – und Platz zwei vor der SPÖ, die seither stetig verlor.

Elke Kahr (KP…)
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Kernkompetenz Wohnraum

Die Grazer KPÖ-Chefin gilt als integer, gelassen, engagiert und in Sozial- und Wohnfragen kompetent. Zuletzt ist noch Bemühen um die Verbesserung der Grazer Verkehrssituation dazugekommen – es wimmelte im Wahlkampf nur so von Vorschlägen der Parteien bezüglich Straßen- bzw. S-Bahn-Forcierung, sogar U-Bahn-Bau steht zur Disposition, favorisiert von der Stadt-ÖVP. Das Wohnressort hingegen war jahrzehntelang eine KPÖ-Domäne gewesen und Teil der Kernkompetenz.

2017 verfiel die neue ÖVP-FPÖ-Koalition auf die Idee, einen Tausch vorzunehmen: Mario Eustacchio (FPÖ) übernahm das Wohnressort, Kahr wurde dafür „sein“ Verkehrsressort zugeteilt – wohl in der Hoffnung, die Kommunistin zu entzaubern. Das Kalkül ging aber angesichts des Wahlerfolgs nicht auf. Kahr ließ sich jedenfalls nicht beirren und führte weiterhin Mieterberatungen durch. Ihr – von der Rathauskoalition um einige Agenden erleichtertes – Ressort für Verkehr führte sie so, wie es unter den Umständen ging.

Kritik lässt Kahr für gewöhnlich freundlich lächelnd und ruhig an sich abperlen – davon hatte es in den vergangenen Jahren genug gesetzt: Die Ablehnung unter anderem des mittlerweile errichteten Murkraftwerks Puntigam hatte das Scheitern der Budgetgespräche im Oktober 2016 eingeleitet und damit die Neuwahl Anfang Februar 2017.

Elke Kahr
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Von der Sekretärin zur Politikerin

Die im Alter von drei Jahren adoptierte Grazerin Kahr – sie ist Jahrgang 1961 – war als Sekretärin in der Kontrollbank beschäftigt, machte nebenbei die Abendhandelsakademie und ist seit fast 30 Jahren Parteimitglied. Die Grazerin lebt seit 1988 in einer Lebensgemeinschaft mit dem früheren KPÖ-Landesparteivorsitzenden Franz-Stephan Parteder und hat einen erwachsenen Sohn.

In den Gemeinderat zog Kahr 1993 ein, 1998 übernahm sie die Führung im KPÖ-Klub. In den Jahren 2003 und 2004 bekleidete sie den Posten einer stellvertretenden Bundesvorsitzenden der KPÖ.

Die KPÖ – dunkelrote Wundertüte

Der Erfolg der Grazer KPÖ ist zwar eine Überraschung, angesichts ihrer lokalen Vorleistungen kommt er aber nicht von ungefähr. Freilich lodert das dunkelrote Feuer nur in der steirischen Landeshauptstadt. Bei diversen Wahlen trat man in den vergangenen Jahren nicht einmal mit dem eigenen Namen an, sondern in Verbindung mit anderen linken Listen, um die Chancen auf ein passables Abschneiden zumindest ein wenig zu erhöhen.

Eine Gründungspartei der Zweiten Republik

Die KPÖ gehört zu den Gründungsparteien der Zweiten Republik. Freilich waren die russischen Besatzer alles andere als amüsiert, als man beim ersten Urnengang nach dem Zweiten Weltkrieg nicht um Platz eins mitmischte, sondern mit 5,4 Prozent von SPÖ und ÖVP meilenweit abgehängt wurde. Immerhin schaffte man es, bis zur ersten Wahl nach dem Ungarn-Aufstand 1959 im Nationalrat zu bleiben, seither sah man das Hohe Haus aber nur noch von außen.

Auch in den Ländern ging es nicht lange gut. Am längsten hielt man sich noch in Wien bis 1969 und in Kärnten und der Steiermark bis 1970 im Landtag, ehe der „Prager Frühling“ das Image endgültig in Richtung Boden rasseln ließ. In Oberösterreich, Vorarlberg und Tirol schaffte es die KPÖ nie zu einem Mandat.

Sonderfall Steiermark

Ein Sonderphänomen wurde im neuen Jahrtausend die Steiermark: Dort war man 1970 aus dem Landtag geflogen, kam aber im Soge der Erfolge in Graz um ihren vor allem auf Wohnungspolitik setzenden Frontmann Ernest Kaltenegger auch landesweit wieder auf eine parlamentarische Vertretung. Seit 16 Jahren sitzt die KPÖ durchgehend im Landtag, wenngleich immer nur knapp über der Vierprozentmarke.

Übertragen ließen sich diese Erfolge der stets auf einen eigenständigen Weg pochenden Steirer nicht. Bei der vergangenen Nationalratswahl kam man beispielsweise nicht über 0,7 Prozent hinaus. In Wien schaffte man als Teil eines Bündnisses 2020 wenigstens zwei Prozent. Dagegen steht man in Tirol und Vorarlberg schon seit Langem nicht einmal mehr auf dem Stimmzettel.